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Inside Iran (IV und Schluss): Jackie Chans Schwester in der Stadt der Mullahs

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Der erste Eindruck: positiv. Die Stadt der Mullahs ist bei weitem nicht so düster und abweisend, wie wir uns das vorgestellt hatten. Zwar sind Turbane, braune und schwarze Mäntel allgegenwärtig. Aber sogar am Astane-Platz, gleich neben dem Schrein der Fatemeh, dem zweitbedeutendsten Heiligtum im Iran, geht es hektisch, laut und bunt zu. Es wird um Preise gefeilscht und Eis gegessen, ein paar Kinder jagen kreischend einem Ball hinterher. Wir sind in Qom, der Hochburg des schiitischen Klerus. Vor seiner Exilierung hatte Khomeini von hier aus schon gegen den Schah gearbeitet, als an eine Islamische Revolution noch lange nicht zu denken war.

Eine Moschee in Qom Foto: florian-grosser Amir und Mahtaab sind es, die endgültig alle Zweifel zerstreuen, ob es eine gute Idee war, hierher zu kommen. „Welcome to Qom! I am always very happy when I see strangers in town”, begrüßt uns der drahtige Amir freudig. Während er erklärt, dass er gerne sein Englisch an uns erproben und uns durch die Stadt führen würde, gesellt sich ein vielleicht siebzehnjähriges verschleiertes Mädchen, Mahtaab, dazu. Ohne eine Spur von Schüchternheit klinkt sie sich in das Gespräch ein. Als sie vorschlägt, in einem Laden in der Nähe einen Milchshake trinken zu gehen, wirkt Amir leicht irritiert von soviel weiblicher Offenheit. Uns irritieren eher die – dem Tonfall nach zu urteilen nicht immer nur freundlichen – Kommentare einiger Passanten, denen die unsere plaudernde kleine Gruppe zu missfallen scheint. Plötzlich steht ein kleiner Mann in Uniform zwischen uns, schreit auf Amir und Mahtaab ein und scheucht beide mit wild fuchtelnden Armen von uns weg. Hinter der nächsten Straßenecke treffen wir sie wieder. Was war das denn gerade? „Das liegt daran, dass unsere Eltern Flüchtlinge aus Afghanistan sind“, erklärt Amir. „Und der Polizist hat geglaubt, wir würden euch gegenüber schlecht über den Iran reden. Eine ‚Schande für den Iran’ hat er uns genannt.“ Wie überall auf der Welt ist der Ruf von Flüchtlingen auch hier nicht der beste. Von der Begegnung mit der Staatsmacht höchstens ein wenig genervt, nicht aber eingeschüchtert, führen uns die beiden in ein enges Café, in dem unsere Begleiterin die einzige Frau ist. Und beginnen aus ihrem Leben zu berichten. Während Mahtaab von Jackie Chan und ihrem Hobby, Taekwondo, schwärmt, versucht Amir, das Gespräch in ernstere Bahnen zu lenken. Der Anglistik-Student ist gläubiger Moslem und erwartet die Rückkehr des Mahdi, des verborgenen Imam, auf dass dieser eine neue, eine gerechte Weltordnung schaffe. Wie das denn sei im Westen mit der Religion im Allgemeinen und mit dem Sex vor der Ehe im Besonderen, möchte er wissen. Aufmerksam hört er sich an, was wir zu sagen haben. „Ich will bestimmt nicht verurteilen, wie ihr euer Leben führt. Aber mich überzeugt das einfach nicht“, meint er, nachdem er eine Weile überlegt hat. Er schlägt vor, ihn zu einer Moschee zu begleiten, die derzeit vor den Toren der Stadt gebaut wird. Als Amir unter deren halbfertigen Minaretten ansetzt, uns den Übertritt zum schiitischen Islam schmackhaft zu machen, fällt ihm Mahtaab pragmatisch ins Wort. „Ehe wirs vergessen – wir müssen unbedingt Emailadressen austauschen.“ Sister_of_Jackie, notiert sie auf einen kleinen Zettel. Beim Abschied beweist sie ihr Kämpferherz und ihren Willen zur Selbstbestimmung, als sie zum Entsetzen von Amir und anderen Umstehenden in aller Öffentlichkeit die unsere Hände – die Hände zweier fremder Männer! – schüttelt.

Kaschan Foto: florian-grosser Ein paar Stunden später sitzen wir beim Abendessen in Kaschan. Mit am Tisch: Fardaad, ein kommunikativer Mitzwanziger, der uns beim Bummel durch die angenehm lethargischen Gassen der Kleinstadt angesprochen hat. Auch Kaschan, auf halbem Weg zwischen Teheran und Isfahan gelegen, sei stark religiös geprägt, erzählt er. „Aber auch wenn ihr in Europa das nicht kapieren wollt: Das bedeutet nicht zwangsläufig Unfreiheit!“ Fardaad selbst zum Beispiel glaubt an Allah und die zwölf Imame – und macht aus seiner Homosexualität kein großes Geheimnis. Zwar spricht er nicht explizit davon, doch gibt er immer wieder klar zu erkennen, dass er persönlich betroffen ist von dem, was er berichtet. „Es gibt so viele Homosexuelle auf der Welt. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass Gott für all diese Leute nichts übrig hat.“ Dass er sich in seiner Heimat nicht wohl fühlen kann, hat, so versichert er, mit der Religion selbst nichts zu tun. Schuld sei vielmehr ein politisches System, das unter dem Vorwand der Religion jegliche Freiheit unterbinde. Deswegen möchte Fardaad für ein paar Jahre raus aus dem Iran, dessen Präsident erst kürzlich offiziell und im Brustton der Überzeugung verkündet hat, dass es in seinem Land keine Homosexuellen gebe. Ins westliche Ausland will er, am liebsten nach Amerika. Nicht nur, um sein Jurastudium dort abzuschließen, wie er mit einigermaßen bizarrem Humor zu verstehen gibt: „One day I want to come back here – with either a PhD or with HIV.” +++++++ Die ersten drei Folgen kannst du hier lesen: Folge Eins, Zwei und Drei.

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