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Keiner will deutsche Serien sehen. Weil sie zu bieder sind? Ein Streit

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Es lebe Benno! – Ein Plädoyer für deutsche Sachlichkeit in Film und Fernsehen. Als Benno 1986 in der Lindenstraße positiv auf HIV getestet wurde, war das ein Schock. Benno war weder schwul noch heroinabhängig. Er hatte sich durch eine Blutspende infiziert. Benno saß da milchig schimmernd in seinem karierten Hemd, seinem Vokuhila vor der blassgelben Wand und Gabi, eine mäßig attraktive Mittzwanzigerin begann zu weinen. Zu einer Zeit, in der Gesetzesentwürfe der bayerischen Staatsregierung forderten, dass "HIV-Infizierte, die nachweisbar uneinsichtig sind, weil sie wiederholt seuchenrechtlichen Anordnungen zuwiderhandelten (...) abgesondert werden können" (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerium des Inneren 1987), war das radikal. Seit Jahrzehnten feuert die Lindenstraßen unästhetische Breitseiten der Realität in die Sonntagabend-Idylle. So muss Fernsehen sein. Bildqualität (milchig, schal, blass) und Handlungsstrang (mehr oder weniger realistisches Drama) gehen eine Symbiose ein, die dem Zuschauer vor allem eines sagt: Das Leben ist härter und vor allem hässlicher, als Du denkst und wenn Du gerade Deinen Sonntagabend wohlbehütet, verkatert und auf einer Couch herumlümmelnd verbringst, dann hast Du Glück gehabt. Auf die Lindenstraße folgen der Weltspiegel mit Reportagen über verstümmelte Vergewaltigungsopfer in Zentralafrika und schließlich der Tatort mit fettleibigen oder neurotischen Kommissaren. Das ist deutsche Sachlichkeit in PAL.

Deutschland. Lindenstraße. Und die ist viel besser als die weich gezeichneten Plastik-Schmonzetten aus Hollywood. Gute Serien und Filme müssen das Gefühl vermitteln: Ja, so könnte es gewesen sein. Wenn in dem Film „A Beautiful Mind“ die Frau von Nash nach 20 Jahren Ehe noch immer wie die Sünde persönlich aussieht, dann ist das schlicht Schwachsinn. Opium fürs Volk, das in Schöne-Heile-Welt-Optik Heimatfilmen in nichts nachsteht. Fernsehen muss dem Zuschauer das Gefühl geben, in die Wohn- und Schlafzimmer der Nachbarn zu blicken. Und da ist es eben selten schön. philipp-mattheis Auf der nächsten Seite liest du die Entgegnung von Christina Waechter beziehungsweise Peter Wagner, die ausnahmsweise mit einer Stimme sprechen. Sie sagen: "Verpiss dich, Benno! Ein Hoch auf die US-amerikanische Bild-Ästhetik. Die Amis wissen wenigstens, wie Unterhaltung aussehen muss."


Verpiss dich, Benno! Ein Hoch auf weichgespülte und überinszenierte Film-Ästhetik á la USA Immerhin verstehen wir uns auf dieser Ebene: In Hollywood-Filmen- und Serien gibt es eine andere Ästhetik, ein anderes Licht. Alles ist weich und sanft und smart. Genauso wie die operierten und ins unglaubwürdige geschminkten Gesichter der schwammgesichtigen Hollywood-Wunderschönheiten. Ich finde das super. Dieses Licht, diese Bildästhetik sind sofort zu erkennen, wenn ich mit der Fernbedienung durch die Kanäle tippe. Nicht, dass schon die US-Weichzeichner-Ästhetik ein Ausweis von Qualität wäre. Aber sie gibt die Gewissheit, dass wir ich mich auf diesem Sender nicht mit den Problemen der Leute von nebenan beschäftigen muss. Das ist keine Ignoranz, das ist nur meine Art, ein Maß an Entspannung zu bewerkstelligen, das ich mir beim abendlichen Entspannungs-Glotzen wünsche. Wenn ich nach Hause komme, ist mein Bedarf an Realität nämlich schon reichlich gedeckt. Was ich dann will, ist Ablenkung. Ich will für eine Stunde Jack Bauer Bomben entschärfen lassen, Verschwörungen aufdecken, Präsidenten beschützen und ihm zusehen, wie er nebenbei kurzatmige Küsse mit einer hübschen Frau austauscht.

USA. 24. Ich will ganz sicher nicht dieses Tatort-Derrick-SoKo-artige, scharfkantig-bieder-nüchtern deutsche Fernseh-Einerlei, das mir vorheucheln möchte, die Wirklichkeit abzubilden und in Wahrheit einfach nur la-a-a-ngweilig ist. Genauso wie die ewig gleichen Deutschland-Darsteller Armin Rohde, Heino Ferch, Christine Neubauer und wie sie alle heißen, die in ihrer Trostlosigkeit und ständigen Wiederkehr nervenaufreibend sind. Und deren Humor und Semiprominenz in Verbindung mit ihrer Onmipräsenz in Talkshows und deutschen Filmen mir das Fernsehen auf ewig vergällen. Im Übrigen kann man diesen Realismus-Fetischismus auch ganz einfach Einfallslosigkeit und Mutlosigkeit nennen. Statt einmal etwas Neues und Spannendes zu entwickeln und auszuprobieren, setzen die Verantwortlichen in den Sendeanstalten immer und immer wieder auf die selben zwei Rezepte: entweder Realo-Tristesse in der Trabantenstadt oder schlecht nachgemachte Remakes englischer oder amerikanischer Originale (siehe Stromberg oder Verliebt in Berlin). Und warum ich mir die schlechte Kopie des genialen Originals antun soll, hat mir noch keiner erklären können. Und auch all die anderen, halbrealen und in der Jetztzeit angesiedelten Geschichten stoßen bei mir auf vorurteilsbehaftete Ablehnung. Mögen viele Tatort-Folgen auch inhaltlich vernünftig sein – warum versucht sich jeder zweite Regisseur in dieser Reihe in der Bebilderung deutscher Provinz- oder Großstadt-Tristesse? Sozialkritik und genaues Hinschauen schön und gut: Ein kaum zu übersehendes Merkmal des deutschen Fernsehfilms und der deutschen Serie ist die Abwesenheit von Saftigkeit, von Mut zur Vollbusigkeit im übertragenen Sinne. Deutsch-Film ist so herb. USA-Film ist so süß. Ich bin in der Hinsicht ja auch verdorben. Aufgewachsen mit der Bill Cosby-Show und Melrose Place und der unbedingten Absicht, dieses Land namens USA für immer zu verehren, weil es Disneyland und den Grand Canyon und New York hat. Und weil die Menschen dort vermeintlich entspannter und auch zugänglicher für Unterhaltung im puren Sinne sind. Vielleicht ist es das auch, was die amerikanische Film-Ästhetik ausmacht: US-Film ist auf angenehme Weise leicht hyper-real. Ein Stückchen mehr als Echt, zuviel Echt, besser inszeniert und ins Märchenhafte verfrachtet. Und große Unterhaltung war schon immer märchenhaft. christina-waechter peter-wagner

Text: peter-wagner - christina-waechter, philipp-mattheis; Fotos: dpa, 24

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