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Leben und Verzweifeln mit MitbewohnerInnen.

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von Katherine erkannte man daran, dass sie überall war. Kaum war sie bei uns eingezogen, okkupierte sie ungefähr die Hälte der 210qm Wohnungsfläche mit Stoffen, die sie für ihre Designkarriere brauchte, mit Kameras, die für ihre Filmkarriere wichtig waren oder mit tibetischen Bitterkugeln, die für ihr inneres Gleichgewicht sorgten. Das kam nämlich manchmal durcheinander nach dem siebten Joint am Tag, das begriffen wir beinahe so schnell, wie wir einsahen, dass es vorbei war mit dem Wg-Frieden.

Es fing an mit dem Badezimmer. Nach zwei Tagen hatten wir zwei neue Spiegelkästen, nach drei Tagen zwei neue Ablagen für Duschzeugs und nach vier Tagen die Feuerwehr mit Blaulicht vor der Tür. Katherine hatte nämlich vergessen, dass zu dem Werkzeug, das einen halben Schrank am Flur einnahm, auch noch Können von Nöten war, um kaputte Heizkörper zu reparieren. Da lachten wir anderen noch und erzählten allen davon, was für eine verrückte Mitbewohnerin wir uns eingeheimst hatten und wie aufregend plötzlich doch alles war. Ein halbes Jahr später, Katherine hatte neben zwei Zimmern und dem halben Badezimmer auch noch zwei Drittel der Küche eingenommen, sowie einen der beiden Kühlschränke, wurden unsere Gesichter immer länger und das Lachen blieb immer öfters im Halse stecken. Eines war klar: Wir hatten uns den Antichrist ins Haus geholt. Katherine sah das natürlich anders. Für was gäbe es denn Platz, wenn man ihn nicht nützen würde. Für uns, antwortete ich einmal. Da sah sie mich aber nur seltsam an und räumte weiter Schuhe aus dem Schuhkasten, die sie für das allerletzte hielt, um mit ihren 50 Paar alles ästhetischer zu machen. Geschichten über Katherine gibt es wie Sand am Meer. Ich habe sie alle ohne Ende erzählt und damit unzählige Menschen erheitert. Meistens haben sie dann auch mich erheitert und ich vergaß, dass es sich dabei um eine meiner Mitbewohnerinnen handelte, die, sobald ich wieder zuhause war, mich mit neuen grandiosen Ideen überraschte, wie den Dachboden aufbrechen, um noch mehr Platz zu bekommen oder ein Loch in den Boden zu bohren, um mal zu schauen, wie es um das Parkett, unter dem PVC, eigentlich so steht. Es dauerte zwei Jahre bis ich begriff weg zu müssen, weg von dieser Mitbewohnerin, die sich ausbreitete wie Jahrhunderte früher die Pest und genau die Pest war es, die wir ihr nicht selten an den Hals wünschten. Die restlichen drei Mitbewohner klagten und heulten, meinten, ich dürfe das sinkende Boot nicht frühzeitig verlassen und machten das gleiche, nur Monate später, bis irgendwann nur noch Katherine übrig war, die unsere leeren Zimmer als Nähzimmer, zweites Wohnzimmer und drittes Gästezimmer benützte und beim Auszug der Vermieterin unseren Küchenschrank abluchste, um dann festzustellen, dass es ein Designerstück aus den 20er Jahren war und damit 3000€ bei einer Auktion ergatterte. Wir haben all das überwunden. Wir haben geflucht und geschrien, haben aus Wut unzählige Weinflaschen hinutergekippt und ihr bei heimlichen Besuchen Pfeffer in die Kaffeemühle geleert. Irgendwann haben wir geschwiegen und sind alle in unsere neuen Wohnungen verschwunden. Denn der Punkt, auf den alles hinauslief, war einfach, war grauenvoll, war niederschmetternd: so sehr wir unsere Mitbewohnerin gehasst haben, war es doch dieser Hass, der uns andere zusammenhielt. Als dieser mit den Monaten langsam verschwand, wurde auch unsere ewig geschworene Freundschaft lockerer bis sie mit dem Jahrestag des Auszuges ganz verschwand. Mit Katherine war auch unser Hauptgesprächsthema der letzten Jahre gegangen. Ehrlich gesagt, tat das am Anfang gar ein wenig weh. So schön hatten wir uns das ausgemalt, wöchentliche Treffen, bei denen Elena auf ihrer Geige spielte und Nikola auf dem Kontrabass, Alex dazu Glühwein kochte und ich zum zehnten Mal erzählte, wie Katherine die Küche überflutet hatte. Aber es war nicht dasselbe. Wir verloren uns, bis auf einen, vollkommen aus den Augen. In meiner neuen WG sollte alles anders werden, beschloss ich, und zog mutig mit vier Männern zusammen. Die können zwar keine Ordnung halten, pinkeln im Stehen und haben kein Problem mit vergammelten Töpfen, aber hey, sie sind nicht Katherine. Das war mein Leitmotiv der letzten Monate. Und es funktionierte. Mit Augen zudrücken und manchmal leise fluchen. Doch in den letzten Wochen passierte es. Ferdinand begann sich auszubreiten. War es anfangs nur der Platz vor seinem Zimmer, dann die Kästen am Gang, dann die Handtuchablagen im Badezimmer, so haben wir seit sechs Tagen kein Wohnzimmer mehr. Ferdinand hat dafür ein "total krasses" Tonstudio. Und ich habe nun einen total krassen Entschluss gefasst. Noch vier Wochen und ich packe meine Sachen und packe sie erst wieder aus, wenn ich in einer Wohnung angekommen bin, die zwar kein Wohnzimmer hat, aber auch niemanden, der es mir wegnehmen könnte. Ich werde ihm zum Abschluss keinen Pfeffer in die Kaffemühle schmeißen, das wäre nicht richtig. Aber ich werde nachher in unser Tonstudio gehen, die Stecker rausziehen und zu ihm sagen: "Du kannst mich mal." Das sollte zum Wiederfinden des Seelenfrieden erstmals reichen.

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