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Leben wir in langweiligen Zeiten?

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Sind wir wirklich so langweilig? Besteht unsere ganze Kultur gerade nur aus Neu-Aufgüssen alter Designs und längst dagewesener Musik? "You say you want a devolution?" heißt ein Text aus der aktuellen Ausgabe der amerikanischen Vanity Fair. Der Autor beklagt, kurz gesagt, dass wir seit 20 Jahren im Stil-Stillstand leben. Seit 1992, schreibt er, würden wir feststecken. Die Sechziger, die Siebziger, in Teilen auch noch die Achtziger seien durch einen besonderen Stil ausgezeichnet gewesen. Aber die Neunziger? Die Nuller?

Die Nerd-Brille ist das reaktivierte Kassengestell aus den späten Sechzigern, Lady Gaga ein dreister Madonna-Remix und auch der iPod war zumindest optisch schon mal da, als Braun Taschenradio. So geht die Retroklage, von der man immer wieder lesen kann, die uns immer wieder erklärt, dass wir einfach nichts Neues schaffen.

Wer ist schuld daran?

Der stagnierenden, rückwärtsgewandte Geschmack, so Vanity Fair, sei Produkt des  rasanten technischen Fortschritts, welcher beim Menschen die Sehnsucht hervorrufe, häufiger mit Altem und Vertrautem konfrontiert zu werden. Außdem setze die Industrie  in schwierigen Zeiten lieber auf Stabilität und Vorhersehbarkeit. Geschmacksveränderungen seien momentan schlichtweg zu teuer.

Aber stimmt das auch? Darf man die Gegenwart so betrachten?

Ich glaube, dass die Aussagen der Zeitgeist-Pessimisten hinken. Schließlich entsteht eine Ära nicht aus den Vielfältigkeiten, die in einem bestimmten Zeitraum geschehen. Sie entsteht dann, wenn sie an einem bestimmten Punkt beschlossen wird. Sie wird bezeichnet durch das, was nach der Ära nicht mehr geschieht. Das Mittelalter endete mit der Reformation. Die Frühe Neuzeit mit der Aufklärung. Krieg endet mit Frieden. Schlaf endet mit Wachsein.

Wir können aber nicht sagen, was von der Musik, von den Designs oder den Kleidern, die uns heute umgeben in zehn Jahren noch existieren wird. Wir können es nur mutmaßen.
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Und guckt man heute beispielsweise eine Folge der trendaufgeblasenen Neunziger-Serie "Beverly Hills 90210", hat man doch nicht wirklich das Gefühl, man sähe eine aktuelle Sendung, nur weil dort Leggings, Schulterpolster und Hüfthosen zu sehen sind, mit denen man - glaubt man den Modegazetten-  jeweils auch heute vor die Tür gehen kann, oder?
Schließlich geschieht das Wiederbeleben ausgewählter, alter Trends in einem Zitat.

Die Frage danach, welche Trends vergangener Jahrzehnte wir auswählen, und wie wir sie in unser Jetzt integrieren, ist die Frage, die uns dem Neuen unserer Ära, unserem geschmacklichen Fingerabdruck am nächsten bringt. Wohlgemerkt nur am nächsten bringt. Konkret fassen können wir ihn wohl nicht. Denn dazu fehlt es uns an Objektivität.

Zum Glück, muss man sagen. Schließlich würde es einem sonst jeden Morgen beim Blick in den Spiegel ähnlich unwohl ergehen, wie beim Sichten alter Fotos.


Text: julia-friese - Foto: Jesus.vol2/photocase

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