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Lutscher des Underground: Die Untoten des Rock´n´Roll sind zurück

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Wenn Punk und Rock´n`Roll zusammen ein Kind gezeugt hätten, dann würde diese Band diesem Kind mal ordentlich den Hintern versohlen – mit diesem Satz wurde die Band „Horrorpops“ bei einem Live-Auftritt im US-Sender „abc“ angekündigt, und damit wurde wahr, was Freunde wie Feinde befürchtet hatte: Psychobilly ist zurück von den Toten. Psychobilly? Was ist das denn?

Eine gute Frage, eine sehr gute Frage, denn wer sie stellt, beweist vor allem eines – dass er keiner der fanatischen Jünger dieser Musik ist, die man in der Tat am besten als Bastard von Punk und Rock´n´Roll bezeichnen könnte. Psychobilly, das ist ein peitschender Standbass, dreckige Gitarren und ein marschierendes Schlagzeug, was sich dann im besten Fall so anhört, als ob Elvis Presley seine Seele verkauft hätte, um mal so richtig finster zu klingen. Psychobilly, das ist Mutanten-Rock und Mad Man-Roll, der lebende Beweis, dass böse Menschen eben doch Lieder haben, und zwar über Tod und Teufel und alles, was sonst noch auf der dunklen Seite der Macht oder zumindest in B-Movies zuhause ist. Psychobilly, das ist die Musik, die für das Ozonloch verantwortlich ist, wegen ihrer Fans: Das sind diese seltsamen Gestalten, die ihre fehlfarbenen Flat-Tops, überdimensionierte Tollen, jeden Morgen mit Tonnen von Haarspray fixieren, um dann in ihre Creeps zu steigen, die mit Tigerfell besetzte Lederjacke über das ärmellose T-Shirt zu ziehen und in ihrem Oldsmobile zum Tätowierer zu fahren, um sich ein paar neue Eight-Ball-Tattoos auf den Oberarm stechen zu lassen – und wehe, wehe, dreimal wehe, wenn irgendjemand etwas dagegen sagt, dann werden sie fuchsteufelswild, weil Psychobilly gleich nach dem Rad die größte Erfindung der Menschheit ist. Man könnte auch sagen: Psychobilly ist ganz schön anstrengend. Denn Psychobilly ist so etwas wie die Subkultur der Subkulturen, wilder als Punk, ehrlicher als Hardcore, echter als Rockabilly und vor allem: so Underground, dass man schon Tiefenbohrungen in den Endmoränen der Popmusik anstellen muss, um es zu entdecken. Glaubt man den Eingeweihten, entstand Psychobilly irgendwann in den 80ern – Poptheoretiker stöhnen hier schon auf, weil irgendwie ja alles in den 80ern entstand, Punk, Hiphop, Wave – , und zwar als Reaktion auf den langsam schon das Stinken anfangende Rockabilly. Bands wie Demented Are Go oder The Meteors schufen sich vor allem durch Live-Auftritte ein Heer von vor allem männlichen Fans, die ihre tätowierten Körper zu der aggressiven Musik in den „Wrecking Pit” warfen, um dort zu tanzen beziehungsweise zu „wrecken“, was Pogo wie eine nette Einladung zum Tanztee aussehen lässt. Schnell wurde Psychobilly, wie jede ordentliche Subkultur, zu einer Glaubensfrage um das einzig wahre, echte, pure, und so kam es bald, wie bei jeder ordentlichen Kirche, zu einem Schisma – es gab Streit um die Deutungshoheit, den „The Meteors“ beendeten, in dem sie ex cathedra verkündeten, sie und nur sie allein spielten den echten Psychobilly. Danach spielte Psychobilly außer in den Außenschuppen von Jugendfreizeitheimen im Ruhrgebiet keine Rolle mehr. Bis jetzt.

Denn nun gibt Psychobilly sein Comeback, und zwar ausgerechnet im Vaterland des Rock´n´Roll, den USA. Was ist passiert? Springen wir schnell über das ganze Insider-Geplapper hinweg und hinein in die Erfolgsgeschichte der Horrorpops : Das ist eine Band aus Kopenhagen, deren Logo zwei gekreuzte Lutscher unter einem Totenschädel sind, und so klingt auch ihre Musik. Was Sängerin Patricia Day und ihr Mann Kim Nekroman, Frontmann der Psychobilly-Legende Nekromantix aus Dänemark, da machen, ist sauber auf Stil gebürsteter Psychobilly, immer noch dreckig, aber doch so adrett, dass auch normale Menschen daran Gefallen finden können. Und so ist es auch passiert: In der Vereinigten Staaten sind die „Horrorpops“, zusammen mit einer weiteren Psychobilly-Band, Tiger Army , vom Underground-Act zum heißen Scheiß aufgestiegen – sie spielten die Festivals, ihre Lieder standen erst in schlechten Konzermitschnitten, dann in echter Video-Qualität auf YouTube, ihre Freundeslisten auf MySpace quollen über, schließlich sah man Clips von „Tiger Army“ sogar auf MTV oder die „Horrorpops“ auf abc. Inzwischen sind die Dänen nach Kalifornien gezogen, Musik machen und sonst nichts. Die Gralshüter des Psychobilly wittern dabei Verrat, Ausverkauf, Mainstream. Die restlichen Fans freuen sich, dass sie ihre Musik auch mal woanders hören können als auf miesen Konzerten. Die „Horrorpops“ selbst sagen: „Hey, wir schämen uns nicht für das, was wir tun – wir spielen einfach.“ Fotos: Horrorpops/ Octavio Arazala

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