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Martin ist kein einziges Mal gestorben

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Irgendwann im Laufe des Tages werden Soldaten das Dorf stürmen. Sie werden die Türen zu der Schule aufstoßen, in der zwar Bänke aber keine Schüler sind. Sie werden das Dorfbordell durchsuchen, in dem Plüschsofas stehen, aber keine Mädchen arbeiten. Vielleicht rollen ein paar Panzer, vielleicht wird sogar jemand erschossen. Ein bisschen Krieg gehört zum Tagesprogramm. Martin, 23, ist von Beruf her friedlicher Iraker. Offiziell heißt sein Job „Statist-Civilian on the Battlefield“ – Zivilstatist. Das Stück, der in dieser Kulisse spielt, heißt „irakisches Dorfleben“. Wenige Monate vorher, hat er bei einem Statisten-Casting mitgemacht und daraufhin eine Einladung nach Hohenfels bekommen - dem größten Truppenübungsplatz in Europa. Tief in Bayern, irgendwo zwischen Regensburg und Nürnberg, spielt er nun einen irakischen Zivilisten, während um ihn herum ein Übungs-Krieg tobt. Drei Wochen dauert sein Einsatz. Drei Wochen ohne Alkohol, ohne Internet, ohne Handy, ohne Ausgang. Für ungefähr 100 Euro Tageslohn verzichtet Martin darauf. „Ja, ich machte hauptsächlich wegen der Kohle mit“, sagt er. „Aber Neugier war auch dabei. Ich wollte wissen, wie es ist, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Ich wollte kurz aus meinem Leben aussteigen." Und Martin dachte, Kriegspielen sei leicht verdientes Geld.

Einige halten die ständige Bereitschaft nicht aus So leicht verdient ist das Geld dann aber doch nicht. Martin schläft in der Kaserne neben dem Dorf, um fünf Uhr morgens muss er aufstehen. Privatleben hat er fast keines mehr. Von sieben Uhr morgens bis manchmal spät in die Nacht müssen sich die Statisten in der Siedlung aufhalten und das irakische Dorfleben simulieren. Sprich: So tun, als seien sie beschäftigt. Und warten, bis die Soldaten das Dorf stürmten, um Geiseln zu befreien oder Terroristen zu jagen. Die Amis kämen meist überraschend. Und auch wenn die Geschosse nur Platzpatronen sind, sei die Anspannung nie ganz weg. Wenn einer von den Statisten getroffen wird, fiept der kleine Rucksack namens „Miles“ auf seinem Rücken. Dann weiß der „Verwundete“, dass er still liegen bleiben muss. Martin ist kein einziges Mal gestorben. Die ständige Bereitschaft sei trotzdem zermürbend, erzählt er. Einige hielten das nicht aus. Die Veranstalter haben Verständnis dafür – jeder darf gehen, wann er will. Die Konsequenzen sieht man allerdings auf dem Lohnzettel: Den Abbrechern werden nachträglich 20 Euro pro absolviertem Arbeitstag abgezogen. Laut Arbeitsvertrag besteht auch kein Anspruch auf Entschädigung von „psychischen und körperlichen Folgeschäden“, die durch „realistische Situationen des militärischen Einsatzes in Krisenregionen“ entstehen könnten. Katja, 22, macht die Kampfatmosphäre nichts aus. Sie spielt eine irakische Zivilistin, Kopftuch und züchtige Kleidung inklusive. „Nach einer Weile ist das Geballer einfach nur nervig“, sagt sie. Am ersten Tag sei sie noch etwas eingeschüchtert gewesen. „Aber wenn der 15. Panzer an dir vorbei rollt, ist es Alltag. Man gewöhnt sich. Vielleicht ist genau das das Erschreckende dran.“ Anderseits sei genau das notwendig, um die Soldaten zu desensibilisieren. Auf der nächsten Seite: Die Langeweile und warum Katja und Martin nichts über ihren Aufenthalt erzählen dürfen.


Für viele Amerikaner ist Hohenfels die letzte Station, bevor sie in den echten Krieg geschickt werden. Bis dahin sind Spielterroristen, die von erfahrenen Soldaten gespielt werden, ihr größter Feind. Der größte Feind der Statisten ist die Langeweile. Denn auch bei den Einsätzen hat Martin nicht viel zu tun. Die Hauptrollen haben bei seiner Übung – genannt Rotation - die Araber. Sie spielen Scheiche, Dorfälteste, Händler oder Übersetzer, damit die Soldaten lernen, mit ihrer Kultur umzugehen. „Es eine andere Art zu arbeiten.“, sagt Martin. „Das hat nichts mit geistiger oder körperlicher Anstrengung zu tun.“ Das Geld sei nur der Ausgleich dafür, dass man in seiner Freiheit beschnitten ist. Wenn man Glück hat, ist es wie eine Klassenfahrt Katja vermisst am meisten die Abwechslung. Es gebe kaum Verbindung zur der Welt außerhalb von Hohenfels, das Gelände darf man nur verlassen, wenn man krank ist. „Es gibt keinen Input“, sagt Katja. Die Tage glichen einander wie eineiige Zwillinge. „Man liest, man geht rum, man erzählt sich Geschichten.“ Die Einsätze der Soldaten sind neben Sudoku eine der wenigen Ablenkungen. Und Karten. Noch nie in ihrem Leben hat sie so viel Karten gespielt – drei Stunden am Tag, mindestens. Theoretisch ist es erlaubt, bestimmte Sendungen im Fernsehen anzuschauen und ab und zu vom Handy der Betreuer nach Hause zu telefonieren. Martin aber verzichtet darauf: Er findet es gut, für ein paar Wochen unerreichbar zu sein. Nach einer Weile hat er sich an die Eintönigkeit gewöhnt. Sie habe etwas Meditatives. „Wenn es keine Reize von außen gibt“, sagt Martin, „beschäftigt man sich automatisch mit sich selbst und stellt sich Fragen, für die man sonst keine Zeit hat.“ Auch Katja telefoniert sehr wenig, zu Hause ist das kaum jemanden aufgefallen. „Das normale Leben geht ohne dich weiter.“ Abgekapselt von Freunden und Familie, konzentriere man sich ganz auf die anderen Statisten. „Es kommt auf die Gruppe an, ob man durchhält“, sagt Katja. Wenn man Glück hat, ist es wie eine Klassenfahrt. Stimmen die Leute nicht, braucht man erst gar nicht seine Koffer auspacken. Wer mitmacht: Rentner, Studenten, Arbeitslose Die Firma „SST GmbH“ rekrutiert seit 1999 Statisten in Deutschland. Sie möchte keine Angaben darüber machen, wer und wie viele sich als Rollenspieler bewerben. Die Mitarbeiter möchten überhaupt keine Auskunft geben. Katja und Martin haben jedenfalls den Eindruck, dass größtenteils Rentner, Studenten und junge Arbeitslose mitmachen. Auch die beiden dürfen eigentlich nichts über ihren Einsatz erzählen, eine Klausel im Arbeitsvertrag verbietet, die Erlebnisse in Hohenfels journalistisch oder schriftstellerisch zu verwerten. Die Begründung: Sicherheitsvorkehrungen. Das sei großer Blödsinn, sagen die Ex-Statisten: In Internetforen könne man ohnehin alles nachlesen. Und bei E-Bay kann man problemlos die Ready-to-Eat-Meals ersteigern - Tagesmenüs für Soldaten und Statisten, die man nach dem Lego-Prinzip zusammen baut. Der Verkauf ist eigentlich verboten, Käufer zahlen aber bis zu 30 Euro für die Fresspakete der U.S. Army. Doch auch wenn es „viel Geheimniskrämerei um nichts ist“, wollen Martin und Katja ihre echten Namen nicht verraten. Auch Fotos gibt es keine – im Trainingscenter werden alle Geräte abgenommen, mit denen man etwas aufnehmen kann. Hohenfels ist ein Abenteuer, sagen beide. Wegen der 70 Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und miteinander auskommen müssen. Der Krieg dagegen ist langweilig.

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