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Mein eigenes Babel

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Als ein Freund von mir aus dem Urlaub zurückkam, sprach er plötzlich anders: In jeder Situation, die nicht bierernst war, hing er an nahezu sämtliche Substantive ein S an. „Kann ich mal an deinen Computers?“, fragte er mit niedlicher Miene oder er sagte kauend und grinsend: „Leckeres Schnitzels!“ Nach drei bis fünf Tagen war der Sprachspielspuk vorbei. Manchmal, wenn er auf diejenigen trifft, mit denen er im Urlaub war, kommt das S zurück und mit ihm wahrscheinlich die Erinnerung an den bereisten Ort.  

Ich bin geneigt, den Kopf darüber zu schütteln, weil es so albern wirkt, aber nur, weil ich außerhalb des Urlauberkreises stehe. Innerhalb eines Kreises erliege ich dem gleichen Effekt und spreche ebenfalls eine Art Soziolekt. Zum Beispiel kann man es ganz deutlich hören, wenn ich ein Wochenende mit alten Schulfreunden verbracht habe. Menschen, die mir nahestehen und nicht zu diesem Freundeskreis gehören, die mich wieder um sich haben, wenn ich von dem Wochenende zurückkomme, hören es. Ich kann es sogar selbst hören. Es sind weniger die Worte als vielmehr die Klangfarben, die nach diesem Treffen anders sind: eine Art ironischer Grundton bei allen ernsthaften Aussagen, sowie eine übertrieben kindliche Intonation bei erfreuten. Wir haben schon immer auf diese Art miteinander gesprochen und so ist es geblieben. Es ist nicht einmal mehr ganz klar, wer damit angefangen hat. Klar ist nur, dass diese Form des Sprechens uns verbindet, so sehr wir uns auch verändert haben seit Schultagen. Das bestätigt auch die Linguistin Dr. Katalin Mády, die im Excellenzprojekt „Sprachmerkmale und die Sprachgemeinschaft“ der LMU mitgearbeitet hat: „Die eigene Gruppensprache ist ein wichtiges Mittel zur Bildung der Gruppenidentität: die Gruppenmitglieder signalisieren sich ihre Zusammengehörigkeit und allen anderen, dass sie nicht dazugehören“, sagt sie. Hinzu komme bei der Bildung der Gruppensprache, so Mády, dass in jeder Kommunikationssituation auch eine unbewusste Imitation, also  eine Annäherung an die Sprechweise des Gesprächspartners stattfindet.  

Dass man sich gegenüber verschiedenen Menschen, in verschiedenen Gruppen und Situationen unterschiedlich verhält und sich das auch sprachlich äußert, erscheint logisch. Die Treffen mit dem alten Freundeskreis, mit der Familie oder mit den Kollegen stehen schließlich unter jeweils anderen Vorzeichen, es werden andere Schwerpunkte gesetzt, man teilt bestimmte Erfahrungen, Wünsche und Aufgaben miteinander. Sprache sei immer kontextgebunden und werde immer aus dem Kontext heraus interpretiert, erklärt Mády. Die Linguistin liefert gleich ein Beispiel aus ihrem eigenen Umfeld mit: „Eine Tante von mir hat ein Familienfest vorbereitet und ich habe dabei geholfen. In der Zeit klingelte ständig das Telefon, Leute aus unserer recht großen Familie haben abgesagt oder wollten sich erkundigen, was sie mitbringen sollen. Bei jedem Gespräch veränderte sich die Sprechart, Tonhöhe und Intonation meiner Tante, so dass ich während des Gespräches meistens schon wusste, wer am anderen Ende der Leitung ist.“ Diese Verwandlung der Kommunikation könne man grob mit dem Kleidungsstil vergleichen: Die Frage „Wie ziehst du dich an?“ könne man nicht beantworten, ohne zu wissen, wann, wo, wofür. „Wir haben zwar einen für uns typischen Kleidungsstil, innerhalb dieses Stils variiert aber die konkrete Verwendung der Kleidungsstücke entsprechend den klimatischen Verhältnissen, den gesellschaftlichen Erwartungen, den funktionellen Anforderungen und so weiter“, erklärt Mády. So verhält es sich auch mit dem Sprachstil.  

Doch die Sprache bestimmt viel von meiner Außenwirkung, weil sie meine Interessen, meine Meinung und meinen Humor in die Welt trägt, weil ihre Klangfarben über meinen Charakter und meinen Gemütszustand Auskunft geben. Und dass sie sich ständig verändert, gibt mir das Gefühl, dass die Unterschiede, die sich durch die verschiedenen Rahmenbedingungen ergeben, viel tiefgreifender sind und mehr bedeuten, als sich anzupassen und eine Gruppe zu bilden. Ich muss befürchten, jede der vielen verschiedenen Arten zu sprechen, formt mir ein anderes Selbstbild und auch das Bild, das andere von mir haben. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, welches davon das Original ist. Kann man das herausfinden? „Es gibt vielleicht eine Varietät, in der wir am häufigsten kommunizieren, aber es gibt niemals die einzige, die uns eigen ist“, glaubt Katalin Mády. „Die verschiedenen Varietäten, die wir einsetzen, vermitteln immer einen anderen Aspekt unserer Persönlichkeit“, erklärt sie. Dabei spiegelten sie auch einen bestimmten Teil unserer Identität wider. Aber eben nur einen einzigen. „Die eingesetzte sprachliche Varietät ist dabei letztlich nur ein Mittel, dem Gegenüber das Bild zu erwecken, das man von sich vermitteln möchte. Bewusst oder unbewusst.“ Eine Originalsprache gibt es also nicht oder alle Varianten zusammen ergeben ein sehr buntes Original. Das angehangene niedliche Urlaubs-S meines Freundes spiegelt ihn genauso wider wie der lässige Tonfall, der sich bei ihm plötzlich einstellt, wenn ihn sein Mitbewohner anruft. Gerne würde ich erleben, wie er spricht, wenn er seine Urlaubsfreunde und den Mitbewohner gleichzeitig um sich hat.  

Es bleibt das eher beunruhigende Wissen, dass die Wahl der Varietät oft unbewusst passiert und so die Gefahr besteht, dass man sprachlich einen Charakterzug in die Welt hinausposaunt, den man lieber gar nicht hätte. Eine Logopädin bescheinigte mir mal, dass ich lispele, wenn ich unsicher sei, und damit die Mädchenrolle ausspiele, die vom Gegenüber Schonung fordere. Gewollt habe ich das nie, aber es geschieht natürlich auch in Situationen, in denen ich mich unwohl fühle. Im Kreise der Freunde hingegen fühle ich mich sicher, nicht zuletzt, weil dort ein Tonfall als Erkennungszeichen fungiert, den ich gut beherrsche und den ich bewusst wählen kann. Er ist nicht das Original, aber er spiegelt immerhin einen Teil von mir, mit dem ich gut leben kann. Und an diese Teile des Selbst sollte man sich halten.               


Text: nadja-schlueter - Foto: Lasse Siegmund / photocase.com

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