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Mein Professor ist echt ne Type

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1. Die Forscherin

Ihr Terminkalender ist leicht aus der Balance zu bringen, was kein großes Wunder ist, wenn man Telefonate, Budgettreffen und Doktorandenbesprechungen im 15-Minuten-Takt absolviert. Abends hat sie dann noch die edle Aufgabe an der Backe, als Reviewer für diverse wissenschaftliche Journale in Amerika und Großbritannien tätig zu sein. (In jenen Ländern geht er ja ab, der Forscherpunk.) Erst nachts darf sie an ihre eigenen Projekte. Die Forscherin hat nämlich, wenn sie es ernst meint, einen sehr langen Tag und stets immens was um die Ohren. Ihre Professor hatte sie damals zur Promotion überredet und bald entwickelte sie Ehrgeiz. Sie lernte auf Konferenzen die „großen Forschernamen“ kennen, die in Australien, Singapur und Amerika ihr Geld verdienen. Sie nahm ein Streichholz und entzündete in ihrem Herzen die Leidenschaft. Etwas prosaischer kann man sagen, dass sie arbeitete wie ein Stier. Die Liste ihrer Publikationen ist monströs. Sie ist ein Forschercrack und deshalb als Studentenbetreuerin denkbar ungeeignet. Denn eine alte Indianerregel besagt, dass man nie mehr als eine Sache sehr gut machen kann. In ihren Vorlesungen wirkt sie zwangsläufig blass und neben der Spur, bisweilen auch unzugänglich. Für manche ist das abschreckend, weil ein Professor doch menschlich sein soll und ein guter Erklärer obendran. Andere finden das toll, weil sie zum ersten Mal erleben, wie Leidenschaft aussieht: ein bisschen blass um die Nase aber sehr hell dahinter.


2. Der Fernsehprofessor

Es stimmt, dass ein bisschen Zauber auf die Studenten abfällt, die einen berühmten Professor als Professor haben. Wenn sie etwa ein politisches Fach studieren ist es gut möglich, dass ihr Lehrmeister in Fernsehnachrichtensendungen nach seiner Einordnung gefragt wird. Dann blendet der Sender eine sogenannte Bauchbinde ein, in der, je nach dem, der Name des Professors und seine Profession steht, die gemeinhin auf das Schlusswort „-experte“ endet. Er kann also Afghanistanexperte, Nahostexperte oder Parteienexperte sein. Wenn er nix mit Politik zu tun hat, kann er, aktuell zum Beispiel, Währungsexperte oder Bergbauexperte sein. Weil nun immer noch nicht alle Menschen im Fernsehen waren, ist es immer noch etwas besonderes, im Fernsehen zu sein und als sozusagen oberster Deuter auftreten zu dürfen. Das sind die seltenen Momente, in denen man als Student die Eltern anrufen kann: "Schaut mal ins heute-journal, der Typ neben der Slomka gehört zu mir." Dann nicken die Eltern andächtig und haben den Eindruck, dass der Professor was zu sagen hat. Denn das Fernsehen ist bei Eltern noch eine echte Währung. Naja, und dann kann man noch hergehen und dreimal im Freundeskreis mit dem Fernsehprof angeben und dann hat sich der Spaß an der Prominenz des eigenen Lehrers aber auch erschöpft. Schließlich will man ja was lernen und das ist nicht so leicht, wenn der Herr einem immer nur in Form von Gastbeiträgen in der Zeitung unter die Augen kommt oder als Sachbuchautor („Das Afghanistandilemma: Was die Bundeswehr jetzt tun muss“ oder auch „SOS Tschilp: Warum die Amsel ausgesungen hat“). Seine Mails werden gemeinhin von der Sekretärin beantwortet oder von ihm selbst, dann aber mit superknappen und offenbar nebenbei getippten Antworten: „bun unterwegs, nächste wiche da“. Von der Existenz des Fernsehprofs gehen zwei Signale aus. Signal eins: Viele Wissenschaftler wollen gerne ins Fernsehen, weil sie nicht nur Studenten unterrichten wollen. Signal zwei: Um seinen Professor einmal wieder zu sehen, sollte man nicht das heute-journal anschalten müssen.


3. Der Unternehmer

Puh, atmet der ehemalige Unternehmer und lässt sich im Sessel seines neuen Professorenbüros an einer Fachhochschule in der deutschen Provinz nieder. Dann denkt er, dass das ja noch mal gut gegangen ist. Er macht sich daran, die erste Vorlesung seines ersten Semesters vorzubereiten. (Das ist ja das schöne an Fachhochschulen, dass sie nicht nur praktisch ausbilden sondern auch ehemalige Praktiker hinter das Lehrpult stellen.) Er schlägt das BWL-Basisbüchlein auf und scannt mit flottem Blick die Themen, die man im Laufe eines Studienjahres vermitteln sollte. Er schüttelt den Kopf. Muss es so präzise sein, denkt er? Ist er hier der Buchhalter oder der Mann fürs Große und Ganze? Na also, denkt der ehemalige Unternehmer, versammelt seine Weisheit im Gehirn und notiert knackige Anekdoten aus seinem kurzen Unternehmerleben: Es begann mit einem Startup vor zehn Jahren mit einem Internetportal zur Regionalvermarktung. Schöne Idee, wollte halt keiner, viel Geld versenkt. Dann Business studiert mit Master und Diplom. Dann promoviert. Nach dieser universitären Auszeit begann das Berufsleben für unseren Unternehmer wieder neu. Er wurde Geschäftsführer bei einem Automobilzulieferer, der ein Standbein in Rumänien hatte. Dann kam die Finanzkrise, dann der Absatzeinbruch und dann kam zum Glück das Angebot von der FH dort ganz hinten im Bundesland. In der ersten Vorlesungsstunde schildert der Unternehmer die erste Anfahrt nach Rumänien. Dann erzählt er ein Semester lang, wie es bergab ging in Rumänien. Nebenbei lesen die Studenten Zettel, die aus dem BWL-Basisbuch kopiert wurden. Aber ist das schlimm? Wer sagt denn, dass man nicht auch aus Scheitern lernen kann? Eben, sagt der Unternehmer und hält nach einem Jahr nach einem neuen Job Ausschau. So ein Professorentitel, denkt er, ist ja was Feines für den Lebenslauf. Aber für immer? Und weg ist er.


4. Die Charmante

Die Charmante ist zum Beispiel 32 Jahre alt und Juniorprofessorin, sie hat zwei Kinder. Sie hat manchmal eine feine Ähnlichkeit zu Familienministerin Kristina Schröder. Aber vielleicht will man sie in Wahrheit mit der siebenfachen Mutter Ursula von der Leyen vergleichen, vom Workload her? Die Charmante ist sehr umgänglich und ziert sich nicht, auf ein Bier mitzugehen. Dort vor dem Glase in der Kneipe ist es dann nicht mehr so einfach, die ordentliche Distanz zu ihr zu wahren. Die Charmante erschüttert die herkömmlichen Koordinaten. Während zwischen Professoren und Studenten meist ein Höhenunterschied besteht, durch den das Wissen umstandsfrei von oben nach unten rieseln kann, ist es hier anders. Denn wenn jemand nur zehn Jahre älter ist, traut man sich leichter mal nachfragen und Dinge in Zweifel stellen. Denn auch wenn die Charmante wahrscheinlich sehr viel weiß und diverse Exzellenzprogramme durchstanden und viele Bücher durchschaut hat – meist haben sich die Gewissheiten der Wissenschaft bei ihr noch nicht so arg eingeschleift wie bei älteren Professoren. Man kann ihr noch widersprechen! Deshalb steckt die Charmante manchmal in der ähnlich doofen Situation wie eine Referendarin in der ersten Unterrichtsstunde am Gymnasium. Die Referendarin geht ins Klassenzimmer und schnuppert an dem Wissen, das sie hier erst vor wenigen Jahren erworben hat und nun, man glaubt es kaum, schon selber weitergeben soll. Die Schüler sehen ihr das an. Sie sehen, dass der Seitenwechsel gerade erst vollzogen wurde und das fühlt sich für beide Seiten komisch an. Dagegen hilft nur eines: Älterwerden. Und lernen kann man von der Charmanten auch was. Nämlich, dass Professoren und Lehrer nie als solche geboren werden - auch Profs und Lehrer haben irgendwann ihr erstes Jahr.


5. Der Übersehene

Manche Menschen fühlen sich in ihrem Berufsleben so, als würden sie Tag für Tag ein bisschen mehr ausbluten. Sie entwickeln irgendwann einen tüchtigen Fatalismus und gegebenenfalls auch Hass auf den Gegenstand ihrer Arbeit. Mit solch einer Haltung wird aber niemand geboren, auch Professoren nicht. Aber es kann vorkommen, dass ein Professor in eine saubere Stellung hinein verbeamtet worden ist und danach um ihn rum die Hochschule reformiert wurde. Fachbereiche wurden geschlossen oder ausgelagert und neue Chefs übernahmen das Ruder. In solchen Phasen pflegen Professoren um ihre Pfründe, um ihr Fach zu kämpfen. Wer bei diesen Kämpfen einmal die falsche Waffe gezogen hat, wem einmal der mutige Mund zu weit aufgegangen ist, der kann bisweilen Probleme haben, sich wieder mit seiner Arbeit zu arrangieren. Denn was tut man, wenn man Mitte 50 ist, Beamter und beim Chef in Ungnade gefallen? Sich neu orientieren? Ergibt das Sinn? Für viele nicht. Sie treten den Weg in die innere Emigration antreten? Der Mensch ist vielleicht so veranlagt, dass er die Sicherheit seiner jeweiligen Position der Unsicherheit vorzieht, die bei ihm in der Haustür steht, sobald er sich dafür entscheidet, ins Leben zu gehen. So geschieht es, dass manchmal Professoren vor einem stehen, die wie übersehen wirken. Sie sind irgendwann in ihrer Karriere falsch abgebogen und dort stehen sie nun, in der Sackgasse. Dort lehren sie und werden von ihren Studenten kopfschüttelnd betrachtet. So will ich nicht werden, denken die Studenten, und haben sogar ein bißchen Mitleid. Weil sie nicht wissen können, mit wieviel Verve der Mann, der da vor ihnen steht einmal gelehrt hat.

Text: yvonne-gamringer - Illustrationen: Alper Özer

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