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"Menschenrechtscharta statt Schulordnung"

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Sind Menschenrechte zurzeit Teil des Lehrplans an den deutschen Schulen? Es gibt eine Empfehlung seitens der Kultusministerkonferenz, Menschenrechte im Unterricht zu behandeln. Die stammt aus den Achtziger Jahren. Seitdem ist nach meinem Wissen nicht viel passiert. Kann man sagen, wo und wie Menschenrechte im Unterricht behandelt werden? Naja, im bayerischen Landtag fragte die SPD die Regierung offiziell nach dem Stand der Menschenrechtsbildung in Bayern. Die Antwort vom Schulministerium war sehr vage: Ja, die Menschenrechte werden behandelt. Das klingt abstrakt und unkonkret. Schon. Richtig dingfest kann man das nicht machen. In Geschichte und Politik, ja, da kommen Menschenrechte vor, aber eben auch als abstraktes Thema. Was bringt Menschenrechtsbildung an der Schule? Es ist die präventive Maßnahme überhaupt, um Verletzungen der Menschenrechte zu verhindern. Die Schüler sollen nachher in der Lage sein, sich selber für die Rechte von Anderen, aber auch für die eigenen Rechte einzusetzen. An welche Situationen denken Sie? Menschenrechte werden nicht nur andernorts verletzt, bei uns gibt es auch genügend Grenzsituationen. Nicht an allen Schulen werden zum Beispiel die Schülerrechte gewährleistet. Was heißt das? Jackenklau oder Mobbing zum Beispiel – es hört sich brutal an, das muss aber an der Schule verfolgt werden, aufgeklärt werden. Klingt das nicht arg theoretisch? Welche Clique, die gerade einen Schüler drangsaliert, lässt sich mit dem Verweis auf Menschenrechte schrecken? Entschuldigung, aber sollen wir deswegen überhaupt nicht von Menschenrechten reden, nur, weil sie nicht wie ein Schutzschild wirken? Menschenrechte sollten in jede Schulordnung kommen. Damit meine ich nicht, dass jeder alle dreißig Artikel auswendig lernen soll. Die Schüler und Schülerinnen sollen wenigstens die Bereitschaft entwickeln, sich mit Menschenrechten auseinander zusetzen. Sie sollen sehen: Was kann ich machen, was können andere machen. Machen das schon Schulen? Ja, einige Schulen haben zum Beispiel keine Schulordnung sondern eine Menschenrechtscharta. Wie sieht die aus? Der Inhalt kann sein: Gegenseitige Meinung zulassen, ohne aggressiv zu werden. Regeln, wie sich Schüler und Schülerinnen untereinander anreden. Das Ziel ist, die Charta nicht von oben aufzudrücken. Die Lernenden sollen sie selbst entwickeln und vor allem dann selbst aktiv werden. Was können die Schüler machen? Es fängt, ganz einfach, mit dem Engagement in der Schülervertretung an. Es gibt Amnesty-Schülergruppen, die Ausstellungen zu den Menschenrechten machen, Theateraufführungen organisieren und wenn es um ein Land geht, in dem Menschenrechte missachtet werden, können es Unterschriftenaktionen sein. Wenn ich sofort was tun will: Was soll ich machen? Bei der Aktion „1 Million Gesichter“ mitmachen, die läuft im Moment noch, im Rahmen der internationalen Kampagne „Waffen unter Kontrolle“. Amnesty, Oxfam und das Internationale Aktionsnetzwerk gegen Kleinwaffen sammeln dabei Fotos von Menschen, die für eine wirksame Kontrolle des internationalen Waffenhandels Gesicht zeigen. Gut 600.000 Leute in aller Welt haben mit ihren Portraits schon mitgemacht und im Juni 2006 soll die Foto-Petition den Vereinten Nationen in New York übergeben werden. Oder man macht bei "Make some noise" mit. Das ist ein globales Musikprojekt für die Menschenrechte und verbindet Musik und Party mit Aktionen, um Menschen zu unterstützen, denen Freiheit und Gleichberechtigung vorenthalten werden. Amnesty will bald Menschenrechte Online vermitteln. Wie? Materialien, wie man Menschenrechte an der Schule vermitteln kann, gibt es schon. Jetzt planen wir den ersten E-Learning-Kurs, mit dem wir Klassen ansprechen wollen. Er hat zwei Module. Das Erste: Menschenrechte allgemein. Wir zeigen: Wo finden Menschenrechtsverletzungen statt? Was sind die Hintergründe? Dann gründen die Schüler ein virtuelles Land, das möglichst menschenrechtskonform gestaltet werden soll. Jeder Teilnehmer ist zuständig für ein bis zwei Rechte. Beispiel: Menschenrecht auf Arbeit oder auf Bildung. Er hat ein Budget und kann damit haushalten. Mehr in Schulen oder mehr in die Lehrerausbildung investieren? Zusätzlich muss er mit den Klassenkameraden diskutieren und um das Budget streiten. In der Zwischenzeit vergeht ein virtuelles Jahr, politische Ereignisse treten ein und der Schüler lernt vielleicht: Jetzt habe ich mich zu sehr um die Lehrerausbildung gekümmert, nun ist kein Geld mehr für die Schulräume da. Also eine Simulation. Ein Planspiel. Und der zweite Teil? Im zweiten Teil geht es um Diskriminierung. Da klären wir: Woher kommen Vorurteile? Welche psychologische Funktion haben sie? Wie gehe ich mit Stammtischparolen um? Im Rollenspiel geht es um Jugendliche mit Migrationshintergrund. Im Spiel geht eine Spielerin ins Ausland und trifft auf typische Vorurteile. Beispielproblem: Eine ausländische Schülerin bewirbt sich bei einer Bank, sie trägt ein Kopftuch und will es weiter tragen. Ein Schüler ist der Bankdirektor – wie wird er reagieren? Wir wollen den Gesprächsausgang bewusst offen halten, die Lehrkraft kann aber Eingreifen. Bringt der Unterricht in dieser Form was oder macht man sich da nur etwas vor? Je nachdem, wie man es eintütet. Wenn ich von Amnesty für neunzig Minuten in eine Klasse geladen bin, um über die Todesstrafe zu reden, dann weiß ich nachher nicht, was zurückbleibt. Wenige Schüler ändern während einer Stunde Diskussion ihre Meinung zu einem Thema und geben es auch noch zu. Es muss reichen, Denkprozesse anzustoßen. Und dieses Anstoßen sollte nicht nur in der Stunde vor Ostern passieren. Wann können Lehrer und Schüler den Kurs nutzen? Im Herbst will ich den Kurs mit Lehrern durchgehen und dann Ende des Jahres mit den ersten Klassen ausprobieren. Interessenten können sich bei ai-mrb@gmx.de melden.

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