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Mit dem Bus durch Polen - Teil 1

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In Polen anzukommen ist gar nicht so einfach. Die Züge lassen sich immer etwas einfallen, damit die Fahrt spannend bleibt. So auch jetzt. Fast eine Stunde steht der Zug auf einem Bahnhof, der schon lange außer Betrieb zu sein scheint. Mit besorgter Miene läuft der Schaffner draußen auf und ab. Schließlich fahren wir ein kurzes Stück und bleiben mitten im Wald stehen. Als ich endlich an meinem Ziel, der Vernissage der Comic-Ausstellung, bin, reicht mir Martin Sonntag, Kurator der Ausstellung und Chef der Caricatura in Kassel, folgendes nach: Er habe in einem anderen Waggon gesessen und gesehen, dass im Wald ein weiterer Zug liegen blieb und wir die Passagiere eingesammelt haben. Da finde ich eine Stunde Verspätung eigentlich noch okay.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Durch die Verspätung entgehen mir die Reden der Vernissage, nicht aber die Comics von drei deutschen und drei polnischen Zeichnern. Es ist frustrierend, dass man sich kaum etwas erschließen kann, wenn man des Polnischen nicht mächtig ist. So verstehe ich nur wenig von den polnischen Comics. Einer der Zeichner, Andrzej Lichota, scheint eher links zu sein. Aber dadurch, dass die deutschen Comics polnisch untertitelt sind, habe ich zwei interessante Sachen gelernt: Job heißt auf polnisch "robota" und "habe Hunger" ist "jestem glodny", wobei das L in glodny durchgestrichen ist und gesprochen wird wie das w im englischen Wort "what". Mein sprachliches Unvermögen führt aber auch zu Begeisterung, bei bescheidenen Erfolgen. Als ich in einem polnischen Redeschwall das Wort für "fünf" heraushöre, bin ich richtig stolz. Ich habe keine Ahnung, ob es um fünf Zloty für ein T-Shirt oder fünf Sekunden bis zur Detonation ging - aber glücklich, dass ich etwas verstanden habe. Nach der Vernissage lerne ich den Bus kennen. Er ist Baujahr 1961, morgen fahren wir mit ihm 250 Kilometer nach Lodz. Dafür sind fünf Stunden eingeplant. Der Bus ist eher dekorativ als praktisch. Das ist überraschend, genau wie mein erstes Treffen mit dem Organisator Hannes Minz. Ich hatte ihn mir älter vorgestellt, dabei ist er nur 28 Jahre alt. Zusammen mit ihm, Martin Sonntag, der polnischen Partnerin des Projekts, der studentischen Mitarbeiterin Anna Wala, dem in Köln wohnhaften, aber ursprünglich polnischen Zeichner Martin Zak und dem polnischen Cousin von Martin Sonntag gehe ich essen – in einem Restaurant, das sich durch wenig geschmackvolles Interieur auszeichnet. Giftig grünes Licht umfließt die Gäste, die aussehen, als hätten sie eine akute Lebensmittelvergiftung.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Geradezu fantastisch ausgeleuchtet ist hingegen der Marktplatz. Poznan ist schön. Der Marktplatz ist eingefasst von Bürgerhäusern, es gibt Kellerkneipen und pittoreske Gassen. Ich frage einen Einheimischen, ob das original ist oder - wie in Warschau - nach dem zweiten Weltkrieg wieder neu aufgebaut. Alles sei nur Fassade, erzählt er uns, auch Poznan sei im zweiten Weltkrieg dem Erdboden gleich gemacht worden. Warum die Polen ihre Innenstädte wieder aufgebaut haben, während die DDR sich alle Mühe gab, alte Bausubstanz zu vernichten, ist eine Frage, die es noch zu klären gilt. So ist es jedenfalls schade, dass wir morgen schon weiter müssen. Dafür bleiben wir in Lodz gleich einige Tage. Hannes und ich haben uns schon vorgenommen, eine Milchbar zu besuchen. Die hat angeblich nichts mit Milch zu tun, serviert aber die authentischste polnische Küche. Anna, die Muttersprachlerin ist, wird die Speisekarte übersetzen. Ansonsten zeigen wir Kurzfilme und Dokumentationen, und Schulklassen besuchen den Bus, um etwas über Deutschland zu lernen. Vielleicht lernen sie auch etwas so Spannendes wie ich: In Polen muss man ein Taxi bei der Zentrale bestellen. Wenn man einfach irgendeins nimmt, nur weil es neben einem steht, wird es teuer.

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