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Mit dem Bus durch Polen - Teil 3

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Wenn die Sonne scheint, sieht jede Stadt gleich viel besser aus. Ich sitze in einem holzvertäfelten Filmvorführungsraum und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht viel Lust habe, die Studentenwerke von Roman Polanski und Krzysztof Kieslowski zu sehen. Der Raum befindet sich in der Filmhochschule von Lodz, an der besagte Regisseure studiert haben. Polanski hat sich in seinem Studium mit Spannern beschäftigt, Kieslowski mit Bürokraten. Wenn ich jetzt sagen würde, dass die Filme gut waren, wäre das redundant. Die Geschichte hat den beiden sowieso Recht gegeben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Filmhochschule ist auch wieder, wie so oft in Polen, eine faszinierende Mischung von alt und neu. Das Fernsehstudio riecht noch nach frischer Farbe, wobei das auch von der Deko kommen kann, aber in den Räumen, wo man schwarz-weiß-Filme entwickeln kann, könnte man problemlos einen Nazi-Film spielen lassen; vielleicht sogar einen Film über das Leben der Marie Curie. Der Conrektor Andrzej Bednarek erklärt uns, dass die Schule es für einen Vorteil hält, wenn man das Handwerk von der Pike auf lernt. Außerdem seien die Studenten ganz wild darauf, mit 35mm-Film arbeiten zu dürfen. Die Filmemacher lachen. Die Filmhochschule ist, wie so oft in Polen, eine faszinierende Mischung von alt und neu. Das Fernsehstudio riecht nach frischer Farbe, doch in den Räumen für die Entwicklung von Schwarz-Weiß-Filmen könnte man auch problemlos einen Nazi-Film drehen. Vielleicht sogar einen Film über das Leben der Marie Curie. Konrektor Andrzej Bednarek erklärt uns, die Schule halte es für einen Vorteil, wenn man das Handwerk von der Pike auf lernt. Außerdem seien die Studenten ganz wild darauf, mit 35mm-Film arbeiten zu dürfen. Die Filmemacher lachen. Die Filmemacher sind drei junge Regisseure, deren Werke hier auf dem dreitägigen Festival gezeigt werden, und zwei Organisatorinnen von "First Step" - jenem Festival, das jungen Filmemachern eine Plattform bietet. Nach der Besichtigung sorgen sie sich um die technischen Details im Kino, in dem am Abend die Filme laufen werden. Die drei Regisseure versuchen, DVDs mit polnischen Filmen aufzutreiben. Ich suche mir indes einen Supermarkt. Da ich auf meinen Reisen oft keine Zeit habe, Einheimische kennen zu lernen, habe ich mir angewöhnt, immer einen Supermarkt aufzusuchen. Zwar sind Supermärkte oberflächlich gesehen alle sehr ähnlich, doch im Detail kann man viel über die Alltagskultur erfahren. Hier gibt es zum Beispiel nicht eine einzige "Barilla"-Packung, aber dafür sechs Regale voll mit Süßigkeiten. Dabei ist "Taubenmilch" - eine Praline, die wie eine Mischung aus Schokolade überzogener Gelatine und Baiser schmeckt - besonders beliebt, neben gefüllten Waffeln. In den letzten Tagen sind mir wahnsinnig viele Zahnarztpraxen im Stadtbild aufgefallen. Bald scheint Kommunion zu sein, denn in den Sonderangebotszonen sind stapelweise Pralinenschachteln aufgetürmt, die mit betenden Kindern in Erst-Kommunions-Kleidern bedruckt sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es ist immer noch sonnig und warm, und ich setze mich in die ulica Piotrowska. Neben mir verkaufen zwei Männer und zwei Frauen Parfüm aus dem Rucksack, auf einem Platz singt ein Chor Gospels. Rickschahs fahren auf und ab. In Süd-Ost-Asien, heißt es, wurden sie längst durch Mofas ersetzt. In der Stadtmitte von Lodz feiern sie offenbar ein Comeback. Wie auf einem Thron sitzen Passagiere darauf, die zugleich aussehen, als sei ihnen das irgendwie unangenehm. Mitten durch das Gewusel läuft ein kleiner, dicker Hund. Er ist sehr alt und offensichtlich allein unterwegs. Abends treffen sich alle wieder im Kino Cytryna, das heißt Zitrone. Hier laufen Kurzfilme von deutschen und polnischen Jungregisseuren. Sie handeln davon, dass in Deutschland Menschen mit ihren persönlichen Problemen nicht fertig werden, während die Menschen in Polen in einem frustrierenden Leben gefangen sind und daraus ausbrechen wollen. Die Bude ist gerammelt voll. Ein deutscher Film kommt besonders gut an. Er beschreibt die Nacht eines unverbesserlichen Tunichtguts, ist aber eigentlich ein Film über Frankfurt am Main. Als flüchtige Südhessin kommt es mir merkwürdig vor, dass ich nach Lodz fahre, um einen Film über meine ungeliebte Heimat zu sehen. Reisen bildet eben. Gelernt habe ich auch, dass es in polnischen Kurzfilmen leider nicht reicht, zu sagen, dass es kein schönes Gefühl sei, morgens aufzuwachen und nichts zu tun zu haben – weshalb man dringend einen Job brauche. Den Job bekommt dann ein anderer. Nach der Vorstellung unterhalte ich mich mit der Frau hinter der Bar. Sie findet es lustig, dass die gesamte deutsche Gruppe nur den orangefarbenen Multivitaminsaft trinkt. Es gibt nämlich noch einen in grell-grün. Als ich ihr erzähle, dass ich in einem Warschauer Kino mal ein eher unschönes Geschmackserlebnis mit einem grell-blauen Multivitaminsaft hatte, kann sie meine Vorsicht verstehen. Grell-blau wäre ihr auch suspekt, sagt sie.

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