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Morbide oder ästhetisch? Die Fotoserie "Zweiunddreißig Kilo"

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„Zweiunddreißig Kilo“ ist eine Fotoserie, die das krankhafte Streben nach dem Dünnsein thematisiert. Durch digitale Nachbearbeitung verwandelt Ivonne Thein, Jahrgang 1979, schlanke Menschen in fadendünne Körper; das Ergebnis sind anorektische Puppen, morbid und ästhetisch zugleich. Ivonne will mit ihrer Arbeit auf Phänomene wie "Pro Ana" aufmerksam machen, einer Bewegung junger Mädchen, die Magersucht zum Lifestyle verklären. Ihre Bilder sind bis 11. Mai 2008 in der Galerie C/O in Berlin zu sehen. jetzt.de hat mir Ivonne über ihre Arbeit gesprochen [b]jetzt.de: Sind die Models auf deinen Bildern auch in Wirklichkeit magersüchtig oder erscheinen sie allein durch die digitale Nachbearbeitung so übernatürlich dünn?[/b] [b]Ivonne[/b]: Die abgebildeten Mädchen sind in Wirklichkeit schlank, aber nicht untergewichtig. Außerdem verzichtete ich auf professionelle Models und fotografierte ganz normale Menschen, Freunde und Bekannte. Ich lehne Modefotografie nicht grundsätzlich ab, aber bei dieser Arbeit wollte ich mich bewusst von der Modeindustrie abgrenzen. [b]jetzt.de: Wie haben die Fotografierten auf die bearbeiteten Bilder reagiert?[/b] [b]Ivonne[/b]: Sie waren schockiert und erkannten sich nicht wieder. Niemand von ihnen würde die Fotos an die Wand hängen. Für sie waren es einfach kranke Körper, trotz der Ästhetik der Bilder. [b]jetzt.de: Ist es nicht riskant, Magersucht so formvollendet darzustellen?[/b] [b]Ivonne[/b]: Jein. Normale Menschen würde das nicht zum Abnehmen animieren. Wenn aber jemand in diese Richtung tendiert, dann ist es vermutlich nicht ungefährlich. Der Grad zwischen „vertretbar“ und „abstoßend“ ist sehr schmal. Aber selbst professionelle Models sind ja hart an der Grenze - wären die Körper ein wenig dicker, könnten meine Bilder ja auch als Modefotos durchgehen.

Ivonne Theins Bilder aus der "Zweiunddreißig Kilo"-Serie sind digital bearbeitet. Für die ursprünglichen Bilder hat sie, so Ivonne, "ganz normale Menschen, Freunde und Bekannte" fotografiert. [b]jetzt.de: Warum tragen die Mädchen medizinische Bandagen und Korsetts?[/b] [b]Ivonne[/b]: Genau da ist der Bruch in der Ästhetik. Ihre Kleidung ist nicht attraktiv. Sie engt ein. Damit wollte ich zeigen, dass Magersüchtige in ihrem Körper gefangen sind. Ich wollte zum Ausdruck bringen, dass Anorexie keine Willenstärke ist, sondern Pathologie. [b]jetzt.de: Welchen Effekt willst du beim Betrachter erzeugen? Ekel? Faszination?[/b] [b]Ivonne[/b]: Keinen Ekel, nein. Ich wollte die Gesellschaft für solche Phänomene wie „Pro Ana“ sensibilisieren. Fotografie spielt bei dieser Internetbewegung eine große Rolle – die magersüchtigen Mädchen orientieren sich stark an Bildern vom Laufsteg. Manche Mitglieder bearbeiten sogar selbst die Fotos ihrer Stars und machen sie dünner. [b]jetzt.de: Du machst nichts anderes.[/b] [b]Ivonne[/b]: Ja, gewissermaßen stimmt das. Ich habe aber andere Gründe und eine andere Herangehensweise. Mir ist ja bewusst, wie stark die Modefotos verändert sind. Viele Frauen denken aber gar nicht dran, wie viel Manipulation dahinter steckt und orientieren sich an diesen falschen Vorstellungen. Die meisten sind zum Beispiel so an glatte Haut aus Hochglanzzeitschriften gewohnt, dass ihnen die unbearbeiteten Gesichter seltsam erscheinen.

Ivonne Theins Bilder aus der "Zweiunddreißig Kilo"-Serie sind digital bearbeitet. Für die ursprünglichen Bilder hat sie, so Ivonne, "ganz normale Menschen, Freunde und Bekannte" fotografiert. [b]jetzt.de: War diese Manipulation durch die Modebranche der Hintergrund deiner Arbeit?[/b] [b]Ivonne[/b]: Durch einen Artikel in der NEON kam ich zum ersten Mal damit in Berührung, dass es Mädchen gibt, die auf solche falsche Ideale fokussiert sind. Das warf viele Fragen auf: Was hat man für eine Verantwortung in dieser Branche? Muss ich an die Konsequenzen denken oder kann ich jedem selbst überlassen, was er mit meiner Fotographie anfängt? [b]jetzt.de: Und was ist die Lösung? Auf Bildbearbeitung verzichten?[/b] [b]Ivonne[/b]: Nein, man kann die Werbeindustrie nicht ändern. Aber wir müssen die Leute aufklären, wie die Bilder zustande kommen. Dann können wir kaum mehr tun, als auf den gesunden Verstand der Konsumenten zu appellieren. [b]jetzt.de: Ist das Thema Magersucht nicht in den letzten Jahren genug behandelt worden?[/b] [b]Ivonne[/b]: Magersucht ist ein medienträchtiges Thema. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Hype die Leute teilweise abstumpft. Das Problem ist aber nach wie vor aktuell. Die Zahlen sprechen aber für sich.

Text: wlada-kolosowa - Bearbeitete Fotos: Yvonne Thein

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