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Natalie streikt: Das erste Mal Arbeitskampf

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„Nach meiner Ausbildung war ich natürlich erst mal heilfroh, von der Telekom übernommen zu werden. Man muss sich wirklich glücklich schätzen, zu den zehn Prozent zu gehören, die von der Telekom dafür vorgesehen sind. Aber nach nur einer Woche ging es schon los: Anfang Februar wurde die Umstrukturierung des Unternehmens bekannt gegeben. Stellen und Abteilungen wurden umbenannt, plötzlich fand sich kaum noch jemand in seinem Fachgebiet wieder. Die Kollegen und ich hatten das Gefühl, völlig willkürlich durcheinander gewürfelt in unbekannten Positionen zu arbeiten. Das absolute Chaos. Im März wurde es dann noch schlimmer: Es wurden Zeit- und Leiharbeiter eingestellt, um die schon wegrationalisierten Stellen günstig zu besetzen. Leute aus allen Alters- und Berufsgruppen kamen auf einmal hinzu. Gelernte Metzger zum Beispiel oder Friseure, die natürlich keine Ahnung von ihren neuen Aufgabengebieten hatten. Die Schulung und Einarbeitung dieser Leute mussten wir, die Angestellten, übernehmen, aber gleichzeitig die Leistungsvorgaben einhalten. Diese Doppelbelastung war schon ein ziemlicher Stress. Im April fanden dann die ersten Warnstreiks statt, die Stimmung unter den Kollegen wurde zusehends schlechter. In den Pausen gab es Kundgebungen, die einen möglichen Vollstreik voraussagten. Anfang Mai beschloss die große Tarifkomission von ver.di in der Urabstimmung den Aufruf zum Vollstreik. Dabei haben die stimmberechtigten ver.di-Mitglieder drei Tage Zeit, ihre Stimme abzugeben. Am 10. Mai wurde das Ergebnis bekannt gegeben: Von allen Stimmberechtigten haben 93 Prozent abgestimmt, davon waren 96,5 Prozent für den Streik, der ab dem 11. Mai dann auch begonnen wurde. Ich war erst mal ein bisschen zwiegespalten, denn so sehr sich die Zustände auch verschlimmert hatten – man weiß, dass im Streikfall der Kunde immer der Leidtragende ist. Deswegen habe ich die Arbeit, die ich noch zu erledigen hatte, an Kollegen delegiert, die verbeamtet sind. Beamte dürfen nämlich nicht streiken, und so war wenigstens sichergestellt, dass nichts liegen bleibt. Das ist übrigens etwas, das man in Eigenregie macht, denn der Arbeitgeber macht sich über solche Ausfälle keine Gedanken. Ein Streik ist also keine Faulenzerei, sondern erfordert einiges an Organisation. Es gibt lokale Streikleiter, die die Streikenden informieren, ob, wann und wo eine Kundgebung oder ein Zug stattfindet. Auf http://www.verdi-bayern-bfb09.de werden die Infos für den jeweils kommenden Tag bekannt gegeben. Meistens gibt es einen allgemeinen Treffpunkt, wo sich die Streikgruppen versammeln. Dort werden dann auch die Protestmaterialien, also Westen, Trillerpfeifen und Spruchbänder verteilt, die man natürlich gerne entgegen nimmt. Der Streik muss maximale Aufmerksamkeit erzielen, damit er etwas bewirkt, und das schafft man nur durch Engagement. Die Haltung der Telekom-Geschäftsleitung kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. René Obermann schüttet auf einen Streich drei Milliarden Euro Dividende aus und erklärt dann, das Geld sei alle. Wir Angestellten sollen deshalb jetzt vier Stunden pro Woche mehr arbeiten, aber neun Prozent weniger Gehalt bekommen. Obendrein sollen weitere tarifliche Leistungen wie die Bildschirmpause gestrichen werden. Und das Schlimmste daran ist, dass der Service immer mehr darunter leiden wird, der bei der Telekom eh nicht den besten Ruf hat. Dagegen müssen wir jetzt ein Zeichen setzen und sagen: Stopp! Ich denke, dass unser Streik auf jeden Fall etwas bewirken wird. Wir wollen damit die Geschäftsleitung zur Annäherung bewegen und eine Signalwirkung gegenüber Mitarbeitern anderer Unternehmen erzielen. Es gab seit Monaten Stimmen von Mitarbeitern, die sich vergeblich an die Geschäftsleitung gewandt haben, auch mit Blick auf die BenQ-Katastrophe, die ja bekanntlich ähnlich angefangen hat. Ich habe den Eindruck, der Telekom-Vorstand will das Unternehmen zerfleddern, um noch das Bestmögliche aus dem sinkenden Schiff heraus zu holen. Ihre Kunden und Mitarbeiter sind ihnen dabei offenbar vollkommen egal. Und deswegen gehen wir jetzt auf die Straße!“ Foto: privat

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