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Reiche Kinder, komische Äpfel. Fünfmal junge Literatur

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"Blut im Wasser" von Alexander Schimmelbusch (Blumenbar Verlag) In der kleinen Biographie im Buchumschlag liest man vom Aufwachsen des Autors Schimmelbusch (Jhrg. 1975) in New York und einem Volkswirtschafts-Studium in Washington. Das erklärt, warum er mit diesem schmalen Roman in die Welt zweier rich kids an der amerikanischen Ostküste tauchen und sie mit so großer Souveränität und sehr detaillierten Accessoires versehen kann. Pia und Alexander sind zwei verlorene Sprösslinge der obersten Oberschicht, beide letztlich todgeweiht, die eine konkret, der andere zumindest mental. Sie kannten sich früher, jetzt treiben sie einzeln wieder aufeinander zu. Es sind die letzten Tage des Jahres, die sie auf ihre Art verbringen, jeder in seiner überprivilegierten Umgebung und Ausstattung und auch geistig auf Topniveau – schließlich haben ihre Eltern in die besten Schulen investiert. Dieses perfekte Ralph-Lauren-Leben ist nichts anderes, man ahnt es nach der ersten Seite, als eine sterile Geisterbahn, in der die Kellner lautlos servieren, die Mädchen sich auf einen Wink hingeben und die First-Class-Sitze schon beim Start zurückgeklappt werden. Die Leser kennen diese Welt, entweder von Bret Easton Ellis oder aus den Wallstreet-Filmen der 80er. Immer ist es der Kontrast von großem Geld und großer Verkommenheit, von Dekadenz an der Grenze zum Wahnsinn, der dabei geschildert wird. Fast zwanzig Jahre nach „American Psycho“ und 15 Jahre nach „Faserland“ wirkt dieses nüchtern komponierte Buch deswegen auch eher anachronistisch, was ihm aber nicht schlecht steht. Es ist nur eine kleine Geschichte, die nicht so sehr mit ihrer Handlung beeindruckt, sondern tatsächlich mit den Requisiten. So unglücklich und haltlos die Protagonisten sind, ihr Eingebettetsein in den Luxus, der tatsächlich auch bis zu einem gewissen Grad Halt geben kann, ist der verführerische Funkelstein in einer superreduzierten Fassung. Dieser Überfluss verhindert Mitleid und ziert sie außen bis zum letzten Atemzug, trotz innerer Verwahrlosung bzw. Krebs. Die Geschichte läuft auf Montauk zu, jenen literarisch und zivilisatorisch überfrachteten Sehnsuchtsort an der Ostspitze von Long Island. Draußen treibt der Atlantik einen verlorenen Container an, drinnen im Strandhaus bekommt Alex einen geblasen. Das Ende bleibt offen, wie die Ärmelknöpfe der Juppie-Anzüge. Toll, irgendwie.


"Herr Blanc" von Roman Graf (Limmat Verlag) In diesen Tagen fällt er wieder etwas öfter, der Begriff der „Institutsliteratur“. Gemeint, und meistens abfällig gemeint, ist eine gewisse Art zu schreiben, deren Ursprung auf Literaturinstitute, und da insbesondere das Leipziger, zurückzuführen sei. Tatsächlich befördert dieser schöne Studiengang alle zwei, drei Jahre ein paar Dutzend neue Schriftsteller ans Licht und die meisten haben ihr Buch schon unter ein Verlagsdach gebracht, wenn sie dort abgehen. Nun ist ein Roman aber eigentlich ein Paradeexemplar einer individuellen Einzelleistung und es fällt ein bisschen schwer zu glauben, dass mehrere Semester Gemeinschaftsarbeit überhaupt keinen Einfluss auf die Eigenständigkeit von Stil, Aufbau und Thema der Nachwuchsschreiber haben. „Herr Blanc“ von Roman Graf (Jhrg. 1978) jedenfalls, passt perfekt in den Durchschnitt junger, deutschsprachiger (Instituts-)Literatur. Ein Protagonist, männlich und die Altersmitte schon überschritten, wird geschildert, dessen Schüchternheit und Anstand schon beinahe ans Sonderliche grenzen. Sein Leben ändert sich ex macchina (Kündigung), woraufhin er auf possierliche Art anfängt, sein geregeltes Leben in Frage zu stellen, schließlich, sehr langsam, die Dinge gegen sein Gewohnheit zu verändern und dort anzuknüpfen, wo das Herz zuletzt richtig geschlagen hat (eine Studienfreundin). Das alles ist sehr gut erzählt, der Stil ausgewogen und fein, wenn man mal davon absieht, dass der schon etwas arge „telling name“ „Herr Blanc“ auf jeder Seite etwa fünfzehnmal vorkommt. Mit so einer Geschichte gewinnt man problemlos Literaturpreise denn handwerklich passt alles, aber das Herz des Lesers gewinnt man nicht. Es bleibt so staubig, wie die Welt des Herr Blanc, es will ihn gar nicht begleiten, auf seiner Reise und auf seinen vielen Erinnerungen. Langweilige Menschen bleiben, wenn man nicht aufpasst, auch als Literatur langweilig.


„Fütter mich“ von Cornelia Travnicek (Verlag Skarabaeus) Frau Travnicek (Jhrg. 1987) ist eine Autorin aus Österreich, die auch ein sympathisches Blog führt. Mit „Fütter mich“ legt sie einen Band von Erzählungen vor, die allesamt das Thema „Füttern“ mal näher, mal weiter umkreisen. Es sind kurze Geschichten von teilweise ganz ungeheurer Intensität, wie etwa „Ouroboros“. Ein Obdachloser wird mitgenommen, von einem netten Menschen, bekommt Essen und Wärme und steigt am Schluss ganz von selbst in die Tiefkühltruhe des Wahnsinnigen, so schön ist es. Das kippt den Leser um und weil die Geschichten kurz sind, ist die Lektüre des Buches ein einziges Kippen und Atmen und Sehen. Das Essen oder Nichtessen ist in den Geschichten präsent, ohne so richtig ins Licht zu treten, was sehr angenehm ist, weil damit viele erwartbare „Mädchen schreiben über Essensprobleme“-Ansätze ausbleiben. Stattdessen unterhält der sehr genaue, niemals leichtfertige oder verkünstelte Stil dieser Dame gut und leicht, trotz der behandelten Vorfälle, die meistens das Gegenteil sind. Dazu hätten die Geschichten gar nicht so betont jede für sich speziell und eigen sein müssen, im Gegenteil, das Leseauge sehnt sich nach etwas Platz und mehr Zeit für die Vorgänge. Das war ein Wink mit dem Romanzaunpfahl, Frl. Travnicek. Große Leseempfehlung.

Wortlaut 09. Gold (Luftschacht Verlag) Das Frl. Travnicek ist auch in dieser Anthologie vertreten, die das Ergebnis des FM4-Literaturwettbewerbs "Wortlaut" veröffentlicht. Von Österreichs Jugend hat man ja ein permanent schizophrenes Bild, auf dessen einer Seite die FPÖ und ihre junge Skilehrer-Demagogie steht und auf der anderen die wunderbar vielfältige Popkultur, gewachsen zwischen FM4 und Ja, Panik. Genau dorthin gehört natürlich diese Sammlung, die man nicht kaufen muss, wie man beinahe keine Anthologie unbedingt kaufen muss, die aber doch den Nachttisch nicht schlecht schmückt – und zwar nicht nur, weil sie fesch aussieht. Die Siegertexte, die hier abgedruckt sind, lesen sich zusammen wie ein Kaleidoskop des Jungseins und sind wohltuend ungeföhnt und wild, durcheinander und verrotzt, wie man sich das so vorstellt (und wie es ein Literaturinstitut vielleicht nicht lehren kann). Ein feines Geschenk für alle, die zum Studieren nach Wien ziehen.


"Vier Äpfel" von David Wagner (Rowohlt) David Wagner (Jhrg. 1971) ist mit Sicherheit der etablierteste Autor in der hier vorgestellten Runde. Er darf aber trotzdem noch mitmachen, weil er mit seinen Debüterfolgen „Meine nachtblaue Hose“ (2000) oder „Was alles fehlt“ (2002) mustergültige junge Literatur geschrieben hat und so alt ja auch noch nicht ist. „Vier Äpfel“ ist ein Kammerspiel, der Protagonist verbringt den ganzen Roman in einem Supermarkt beim Einkaufen. Eine reizvolle Einstellung. Er kauft ein, häuft die Produkte in seinen Wagen und erzählt anhand dieser Dinge Erinnerungen, vornehmlich an die Zeit einer glücklichen Beziehung, aber auch lose Assoziationen zu den Produkten und ihrer Herkunft. Wie man eben so einkauft: in einer Mischung aus Gedankenlosigkeit und großem Weltverständnis. Sonst passiert nicht viel, zwar gehen am Rand der Wahrnehmung des Einkaufenden manch' seltsame Dinge vor und wie das so sein muss, verliert er sein Zeitgefühl, treibt also ewig durch den ewigen Supermarkt und als er ihn endlich verlässt, ist das Buch zu Ende. Irgendwie hat man nach dieser letzten Seite das Gefühl, wenn David Wagner ein Auto wäre, hätte er seine eigene PS-Stärke nicht ausgenutzt, wäre immer nur so getuckert. Natürlich spiegelt das gemächliche Erzählen und die dosierten Erinnerungen das Mittelmaß eines Supermarkteinkaufes wieder, diese immergleiche Kniebeuge der modernen Zivilisation. Aber irgendwie hätte die Schnittstelle „geistige Reflexion/eingeschweisstes Knäckebrot“ noch mehr hergeben müssen, als lakonische Einbahngedanken über die Produkte. Manches versteht man auch nicht. Das Werk ist mit Fußnoten, teils halbseitenlang, gespickt, die aber nichts anderes sind als weitere Absätze der Erzählung, die also als Fußnote nichts taugen und eben auch nur eine formale Zerstreuung bewirken. Man folgt diesem zerstreuten Ton nicht ungern, es sind sehr gute Beobachtungen und treffende Analysen von Alltagsszenen dabei, es plätschert launig bis melancholisch und entspricht damit ja der häufigsten eigenen Stimmung. Beinahe fühlt man sich aus den Seiten von Supermarktmusik beschallt. Aber passiert heute noch was? Nö. Ein Buch wie ein normaler Tag.

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