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Schlemmen in Lublin - Mit dem Bus durch Polen (5)

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Lublin wird hart: als der Wecker um sechs klingelt, glaube ich erst, ich habe schlecht geträumt. Hier werden wir nur eine örtliche Schule besuchen, da die geplante literarische Begegnung kurzfristig ausgefallen ist. Und die Schule fängt um acht Uhr an. Beim Frühstück sind wir alle sehr still. Ein Mann spricht mich an, Anna lacht. Ich weiß bis jetzt nicht, was er gesagt hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Angeblich wird Europa, je weiter man in den Osten fährt, ärmer und weniger entwickelt. In Lublin ist davon jedoch wenig zu spüren. In den vergangenen sechs Jahren (seit meinem letzten Aufenthalt hier) wurde eine Vielzahl von Häusern saniert. Zwar fahren wir auf dem Weg zur Schule durch ein Plattenbauviertel, aber hier hat das Prinzip von viel Grün und bunten Wänden funktioniert. Über die Schule staunen wir: Die Flure sind Marmorgetäfelt, es gibt eine große Bibliothek, einen großen Sportplatz und ein eigenes Schwimmbad für den Schwimmunterricht. Und die Lehrerin, Hanna, erzählt noch, dass diese Schule in einem eher ärmeren Gebiet liegt. Nachdem Hannes, Wolfgang und ich für die Schülerzeitung interviewt worden sind, fahren wir in die Innenstadt. Es ist warm und sonnig und wir brauchen dringend einen Kaffee. Dafür ist Lublin perfekt. Die Altstadt ist wunderschön und auf dem Marktplatz gibt es jede Menge Straßencafés. Wir lassen uns auf einer Terrasse nieder und hören Marvin Gaye aus dem Radio. Vorher sind wir noch ein wenig durch die engen Gassen gebummelt. In dem mittelalterlichen Kern der Stadt sind noch nicht alle Häuser renoviert, auch wenn hier schon sehr viel gemacht wurde. Das Haus, das mich bei meinem letzten Besuch fasziniert hatte, weil es aussieht, als hätten sich die Wohnbedingungen seit ungefähr 1347 nicht verbessert, steht noch unverändert da. Wolfgang verlässt uns und Hannes und ich gehen auf den Markt. Der ist überdacht und sehr eng gebaut. Es riecht an jeder Ecke anders: nach frischem Brot, würzigem Leder, sauren Gurken, neuen Kleidern oder Wurst. Die Kleider- und Gemüsestände sind knallbunt. Auf dem engen Weg, probieren Menschen Schuhe an oder lassen sich über die Vorteile von knallroten Emailtöpfen beraten. Wir holen uns etwas zu trinken und setzen uns vor das Schloss in die Sonne. Ich überrede Hannes dazu, seine Postkarten gleich zu schreiben. Er wirft sie sogar ein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Inzwischen ist es Nachmittag geworden und die Stadt ist voll von Menschen in bunten T-Shirts. Vor einem Dönerstand bildet sich eine Schlange, alle Sitze im Freien sind belegt. Am Straßenrand stehen Künstler, die Ansichten von der Altstadt verkaufen oder Bernsteinschmuck von der Ostsee. Weil es mein letzter Abend vor der Rückreise nach Deutschland ist, gehen wir noch einmal polnisch essen. Niemand kennt Polen als ein Land, in dem man besonders gut speisen kann. Das ist ein Fehler. Ich bestelle Piroggen auf russische Art. Das sind mit Kartoffeln und Quark gefüllte Teigtaschen. Das Essen ist einfach und üppig und wir gehen alle satt und glücklich ins Hotel zurück. Mein Sonnenbrand spannt leicht. Wenn ich das nächste Mal nach Polen fahre, werde ich an die Sonnencreme denken. Auch im April - womit ja keiner rechnet. Mal sehen, ob die polnische Bahn es morgen schafft, diesen guten Eindruck abzurunden. Entweder durch eine reibungslose Heimreise oder durch eine besonders interessante Panne.

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