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Sorry for my bad English

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Es gibt ein paar Fähigkeiten im Leben, für die galt für mich sehr lange das Prinzip Hoffnung: Man geht einfach mal davon aus, dass man wenigstens mittelgut im Bett ist, zuhören kann und fließend und verständlich Englisch spricht. Immerhin machen alle anderen den Eindruck, dass das bei ihnen auch alles klappt – sie erzählen zumindest selten Gegenteiliges, und das ist im Zeitalter des Breitensports Koketterie ja schon eine Besonderheit. Und darauf, dass es bei mir anders wäre, hat mich schon aus Höflichkeit nie jemand hingewiesen. So wankt man dann durchs Leben, bis sich die Evidenzen zu häufen beginnen, dass die Hoffnung einen getäuscht hat.  

Ich mag die englische Sprache sehr gerne, ehrlich gesagt sogar lieber als die deutsche. Ich sage gerne “crisis” und “shibboleth” und “any port in a storm” und lese lieber Salinger als Schnitzler. Nur leider reiht sich auch Englisch in die lange Reihe meiner unerwiderten Lieben ein.



Es ist nicht so, als hätte ich nie was gemerkt. Ich unterhalte mich auf einer Party mit dem amerikanischen Austauschstudenten und bekomme als Antwort nur einen verdutzten Blick. Auf Konferenzen ist „I am sorry, could you say that again?“ der Satz, den ich am häufigsten höre, und englischsprachige Interview-Partner seufzen zwischendurch leicht. Aber am Anfang konnte ich das alles noch irgendwie weginterpretieren: Na ja, mir fehlt bloß die Übung! Das wird schon! Und was man sich dann alles so sagt.  

Seit ein paar Monaten arbeite ich an einem Uni-Institut, an dem kaum jemand Deutsch spricht. Im Kollegen- und Bekanntenkreis muss ich jetzt fast immer Englisch reden. Und es ist nichts anders geworden, höchstens schlimmer. Ich habe bisher wahrscheinlich nicht eine Frage oder Verneinung in der Vergangenheitsform gebildet, bei der ich nicht beide Verbteile ins Präteritum gesetzt habe („I didn’t went there yesterday!“). Vokabeln kann ich auch keine, neulich hat man mich wieder ausgelacht, weil ich „cable car“ zur Straßenbahn gesagt habe. Das Schlimmste aber sind die falschen Betonungsmuster: Man kann das „th“ so perfekt aussprechen, wie man will, die beste Grammatik der Welt an den Tag legen und die seltensten Wörter kennen – wenn man am Ende alles an der falschen Stelle betont, versteht kein Mensch mehr was. 

Jaja, Fehler machen ist nicht so schlimm. Ist es aber doch, wenn es wirkliche Kommunikation verhindert: Wenn ich nicht so sein kann, wie ich bin, weil mir die Wörter nicht einfallen, die ich normalerweise benutzen würde. Wenn ich unbedingt zeigen will, dass ich genauso lustig bin wie alle anderen, aber das Gespräch schon wieder ganz woanders ist, bis ich mir die pointierte Antwort zusammengestottert habe. Auf Englisch über Kunst, Fußball oder Gefühle zu reden, kann ich gleich vergessen. Aber was bleibt dann noch von einem übrig?  

Je mehr das Prinzip Hoffnung sich als unzureichend herausgestellt hat, desto mehr habe ich angefangen mich zu schämen: Nicht nur vor den englischsprachigen Kollegen und Bekannten, die wahrscheinlich bald schon keine Lust mehr haben werden, sich mit mir zu unterhalten, sondern auch vor meinen Freunden – immerhin scheinen die ja alle keine Probleme mit ihrem Englisch zu haben! Kein Englisch, das können doch nur unsere Eltern! Ich dachte: Ohne Englischskills, die dazu ausreichen, die eigene Persönlichkeit zumindest ansatzweise auszudrücken, bleibe ich mit meiner blöden Persönlichkeit eingesperrt in meiner blöden kleinen deutschen Gartenzwergwelt. Ich kam auf diesen erschreckend pubertären Gedanken, eine kleine Schwester von „Warum bin ich so hässlich und alle anderen so schön?“: Warum bin ich der einzige, dem Englischsprechen nicht leicht fällt? So richtig kann ich ja nichts dafür. Ich konsumiere wie jeder andere auch Unmengen Englisch, von der Sitcom bis zum Essay aus dem „New Yorker“. Mir fehlt wahrscheinlich einfach das Gen für Sprache oder das Talent. Und ich muss für immer Außenseiter bleiben, wo grade nicht Deutsch gesprochen wird. Andere Fremdsprachen kann ich natürlich erst Recht nicht.  

So dachte ich. Mittlerweile aber habe ich das Gefühl, es hat auch etwas Gutes – dass man endlich mit genug Situationen konfrontiert ist, die einen einsehen lassen: Mein Englisch ist mies, es hat mir nur nie jemand gesagt. Ich kann es jetzt nicht mehr leugnen, weder vor mir selbst noch vor Freunden – die kriegen es ja mit, wie ich mich am Telefon in gebrochenem Englisch mit Kollegen zum Bier verabrede. Und wenn man es eh nicht mehr leugnen kann, kann man es ja auch gleich offen zugeben. Statt so zu tun, als hätte ich keine Probleme mit meinem Englisch, jammere ich jetzt im Privatkreis ausgiebig darüber, wie schlecht es ist. Seitdem habe ich auch nicht mehr das Gefühl, so ganz alleine damit zu sein. Es erzählen dann auch andere, die gerade irgendwo ihr Tag- und Nachtwerk verrichten, wo die Gebrauchssprache Englisch ist, wie schwer es ihnen fällt. Dass sie zwanzig Minuten und linguee brauchen, um eine SMS mit „Gehe jetzt erst los, komme dann einfach nach“ auf Englisch zu schreiben.  

Es gibt Tabus in allen Größenordnungen, schlecht Englisch zu sprechen ist für mich ein mittelgroßes gewesen. Und wie immer bei Tabus ist es dann auch eine mittelgroße Erleichterung, wenn man zugibt: „Mein Englisch ist mies!“ Und dann erfährt, dass man nicht der einzige aus seinem Milieu ist, dem es so geht.     



Text: lars-weisbrod - Foto: una.knipsolina / photocase.com

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