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Stadt, Land, Stuss

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Mit der Pose eines Olympiasiegers und mit knallroten Schnürschuhen steht Emanuel Lundgren auf der Bühne im Münchner Club „Ampere“ und plärrt: „Ladies and gentlemen, tonight I am David Lee Roth“. Mit dem ehemaligen Van Halen Sänger hat der wunderbare Konfetti-Pop von Lundgrens Band zwar nichts zu tun – doch das Spiel mit dem Namen ist im Pop ja traditionell beliebt. Und Lundgren ist ein Meister in diesem Spiel. Seine Band heißt „I’m from Barcelona“, ihr Hit „We’re from Barcelona“ gilt in der katalanischen Metropole als eine Art inoffizielle Stadthymne. Dabei kommen Emanuel Lundgren und seine Musiker aus Jönköping, Schweden. Das 2500 Kilometer entfernte Barcelona kannte er nur aus dem Fernsehen. Als die Band dort 2006 zum ersten Mal beim Primavera Sounds Festival auftrat, wurden sie gefeiert wie richtige Stars: „Auch der Bäcker beim Brötchenholen kannte unsere Musik“, sagt der lockige Sänger. Sogar der Bürgermeister von Barcelona hat die schwedische Band offiziell empfangen – als der FC Barcelona mit der Unterstützung von tausenden singenden Fans die Champions League gewann. „Wir haben uns schon fast wie Politiker oder Botschafter gefühlt“, sagt Lundgren. Immer wieder kam die Frage: Habt ihr euch so benannt, weil ihr die Stadt so liebt? „Es war gar nicht so leicht, den Leuten dort zu sagen, dass wir noch nie in Barcelona waren“. Benannt hat sich die Zuckerwattenpop-Big-Band nämlich nach dem spanischen Kellner Manuel aus der 1970er BBC-Serie Fawlty Towers, der außer seiner Herkunft („I’m from Barcelona“) kaum einen englischen Satz herausbrachte.

Viele Leute, keiner aus Barcelona. Die Band I'm from Barcelona Damit sind "I’m from Barcelona" im Indie-Universum die zur Zeit wohl bekanntesten Repräsentanten einer Stadt, mit der sie eigentlich gar nichts zu tun haben. Endgültig vorbei ist also die Zeit, in der man Bandnamen noch tatsächlich mit der Herkunft der Musiker in Verbindung bringen konnte. Die New York Dolls kamen – logisch! – aus New York City und die Progrocker "Kansas" sind in der Tat aus dem Bundesstaat im Mittleren Westen. Die verqueren Avantgarde-Pioniere von "La Düsseldorf" stammten tatsächlich vom Rhein. Aber heute? Da kommen die "Dresden Dolls" aus Boston (benannt nach Puppen aus Meissner Porzellan), "Of Montreal" aus Athens/Georgia (benannt nach einer verflossenen Liebe aus der kanadischen Stadt), und der Musiker Zach Condon der unter dem Namen "Beirut" um die Welt reist, stammt aus Santa Fe, New Mexico. Je mehr solche Beispiele sich finden lassen, desto interessanter wird die Poplandkarte: Der Go-Go-Pop der Band „Brooklyn“ wird in Paris produziert, während die schnittigen Indiemusiker der Band „Paris“ aus Schweden kommen. Was dabei auffällt: Viele dieser musikalischen Selbstverortungen haben mit Orten in den USA zu tun, die sich toll idealisieren lassen. "The New Amsterdams", das Akustikprojekt des ehemaligen "The Get Up Kids" Chefs Matthew Pryor heißt wie der ursprüngliche Name von New York City. Die Band kommt allerdings aus Kansas, was wiederum gleich neben dem US-Bundesstaat Missouri liegt, der die Nürnberg/Hamburger Wonnecountry-Band "Missouri" zu ihrem Namen inspirierte. "Texas" ("Here comes the summer son") stammen aus Glasgow, "Delaware" sind Norweger und die LoFi-Popband "Slow Down Tallahassee" kommt nicht aus Floridas Hauptstadt sondern aus dem englischen Sheffield. Was alle diese Namen gemeinsam haben? Sie klingen gut. Und sie führen das ziemlich nervige Image-Gepose von Orten ad absurdum, die sich mit ihrer Popcoolness schmücken wollen. Siehe die Popakademiestadt Mannheim und ihre "Söhne Mannheims" oder die aktuelle Europäische Kulturhauptstadt Liverpool mit ihrem rauspolierten Beatles-Image. Wenn nun eine Band trotz ihres Namens beim besten Willen keine Söhne oder Töchter des namensgebenden Ortes sind, ist die Verwirrung perfekt. Außerdem können diese unverortbaren Bandnamen zu lustigen Verwechslungen führen. Die 25-jährige Münchner Stargeigerin Julia Fischer reagierte letztes Jahr ziemlich verwundert auf die Frage, was sie denn von "Tokio Hotel" halte - "ich wohne in Tokio immer in einem anderen Hotel", sagte die Musikerin. Von der Magdeburger Band hatte sie bis dahin noch nie etwas gehört.

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