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Straßenbier verboten: Besuch auf St. Pauli, kurz bevor es trockengelegt wird

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Gegen das Trinkverbot hat hier keiner was. „Ich meine, auf dem Kiez geht’s nachts ja echt ab“, sagt Christoph, 24, der heute genau dorthin unterwegs ist. Es ist der erste Samstagabend im Dezember, gleich halb elf, und Christoph steht vor einem Altbau-Haus im Hamburger Karoviertel. Zusammen mit Jan, 23, und Lennart, 24, und ein paar Flaschen Astra. Gleich werden auch Anika und Lisa da sein, in fünf Minuten höchstens, wie eine der beiden gerade durch die kratzige Gegensprechanalage angekündigt hat. „Da kannst du ja nach Mitternacht kaum langgehen, ohne dass dich ein Besoffener anrempelt oder anpöbelt“, sagt Christoph und meint die Reeperbahn. "Echt kein Spaß mehr.“ Ein Trinkverbot ab 23 Uhr sei da echt mal eine Maßnahme, pflichtet Lennart bei und nimmt einen Schluck Bier. „Auch wenn das ziemlich krass klingt für Leute, die da noch nie waren.“ Und eigentlich, sagt er noch, fände er es auch krass. „Ich meine, hallo – das ist ja St. Pauli.“ Zwei Tage vorher hatten der Hamburger Senat und die Bürgerschaft beschlossen, ab 1. Januar auf die einschlägig bekannten Straßenzüge im Herzen von St. Pauli ein besonders Auge zu werfen. Was konkret unter anderem heißt: Kiosk- und Ladenbesitzer sollen keine Glasflaschen und nach 23 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen – auf der Grundlage einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Hat die keinen Erfolg, soll Alkohol zu bestimmten Uhrzeiten komplett verboten werden. Nach derzeitigem Stand soll dann schon jeder mit einem Bußgeld im zwei- bis dreistelligen Bereich belangt werden, der eine Bierflasche nur in der Hand trägt. So wie gerade Christoph, Jan und Lennart, die immer noch auf Anika und Lisa warten. Und diskutieren. „Ein Problem wird nur, die Sache zu kontrollieren“, sagt Lennart. „Die Kioske, okay, das ist hinzukriegen.“ Aber – alle Leute? „Heißt es eigentlich Kioske oder Kiosks?“, murmelt Lennart noch, bevor er Anika und Lisa begrüßt: Bussi links, Bussi rechts, „wollt Ihr’n Bier?“ Her damit. Getrunken wird auf dem Weg, natürlich, so wie von allen hier. Um diese Zeit ist im Karoviertel niemand ohne Bier in der Hand auf der Straße. Niemand. „Aber in diesen Bereichen haben wir bisher nicht solche Probleme wie im Bereich der Reeperbahn“, sagt Bernd Krösser, Referatsleiter für Polizeiliche Grundsatzangelegenheiten in der Hamburger Behörde für Inneres, Abteilung Öffentliche Sicherheit.

Die strikte Durchsetzung ordnungsrechtlicher Vorschriften, wie er das Alkoholverbot nennt, solle deshalb allein für die Reeperbahn und das nahe Umfeld gelten – die berühmt-berüchtigte Rote Meile. Deren Erscheinungsbild, sagt Krösser, habe sich in jüngster Zeit stark verändert: „Vor und an den Wochenenden halten sich dort immer mehr junge Menschen auf, um auf der Straße zu feiern.“ Grundsätzlich sei dagegen gar nichts zu sagen, auch nicht aus Sicherheitssicht. Nur: „Ein wesentliches Element dabei ist exzessiver Alkoholkonsum.“ Was nicht zuletzt eine hohe Grundaggression bedeute, die sich, so Krösser, „aus geringfügigen Anlässen entladen kann“. Und die sich immer wieder entlädt – auch und gerade dann, wenn die Polizei einschreitet. Ab kommendem Jahr sollen Polizeistreifen und Sicherheitskräfte deshalb verstärkt darauf achten, dass bestehende und neu erlassene Vorschriften eingehalten werden. Verstöße sollen mit Bußgeldern geahndet werden. Etwa auch dann, wenn jemand dabei erwischt wird, wie er Flaschen, Becher oder anderen Müll auf die Straße wirft – oder in Hauseingänge, Hinterhöfe oder einfach auf die Straße pinkelt. „Das“, sagt Lisa, „ist ja auch echt asozial.“ – „Macht aber jeder“, grinst Christoph. – „Eben, stell Dir mal vor, Du wohnst da.“ Der Weg von Anikas und Lisas WG bis zum Kiez reicht für eineinhalb Bier. Jan macht gerade sein zweites auf. „Auf dem Weg darf man dann aber schon noch trinken, oder?“, fragt er. „Dann geht das ja echt.“ Fünfhundert Meter noch, dann beginnt die Reeperbahn. Und jetzt – Flaschen weg. „Echt jetzt?“, fragt Anika, „jetzt ist das aber doch noch nicht verboten hier?“ Nein. Immer noch trägt jeder hier eine Flasche in der Hand. Meistens Astra, manchmal Becks, gerne auch Wodka. Zwei Minuten vor elf. Links vorne eine Gruppe aus vielleicht zehn Jungs, die gerade entweder sehr lautstark viel Spaß haben oder gleich die Polizei und einen Krankenwagen brauchen; rechts eine mittelalte Frau, bei der wohl ein paar Stunden Schlaf reichen, damit der Rausch verschwindet. Wer noch nichts getrunken hat oder nicht genug, kann sich alle paar Meter versorgen. „Die Regelung ist aus hiesiger Sicht realistisch“, sagt Sicherheitsexperte Krösser - „wenn auch klar ist, dass es nicht ganz einfach sein wird, sie umzusetzen. Wie immer im Leben gibt es sicher eine Reihe von Dingen, die noch geregelt und gelöst werden müssen, die aber mit Sicherheit regel- und lösbar sein werden.“ Zum Beispiel? „Wir müssen sehen, wie wir die berechtigten Interessen der Anwohner berücksichtigen. Die müssten ja weiterhin irgendeine Möglichkeit haben, zu ihrer Wohnung zu kommen“ – genau wie Gäste mit einer Flasche Wein. „Und mit den Gaststätten soll auch eine Regelung getroffen werden, wie mit den Gästen umzugehen ist, die mal vor die Tür gehen wollen.“ Zum Beispiel zum Rauchen – ab 1. Januar tritt in Hamburgs Kneipen das allgemeine Rauchverbot in Kraft. „Au backe“, sagt Lennart, „stimmt ja. Au, das ist übel.“ Dann also: entweder draußen rauchen. Oder drinnen trinken. „Und das nennt sich dann Vergnügungsviertel“, sagt Jan. „Aus hiesiger Sicht kann St. Pauli nur gewinnen“, sagt Bernd Krösser. „Gewalttaten sind fürs Image mit Sicherheit nicht gut. Jeder Bürger, jeder Tourist und auch jeder junge Mensch soll sich auf St. Pauli nicht nur amüsieren können, sondern sich auch sicher fühlen können.“ Letztlich seien viele der Regeln eigentlich Selbstverständlichkeiten - „die man aber allem Anschein nach einfach mal wieder verdeutlichen muss“. Viele Stunden, etliche Betrunkene und noch mehr Biere später kommen Christoph und Lennart auf dem Heimweg an einem Wahlplakat vorbei. „Rettet die Eckkneipen“, steht darauf, und klein darunter: „Gegen das Rauchverbot.“ Die beiden gucken. Und sagen erstmal gar nichts. „Rettet die Eckkneipen - das passt ja wie die Faust aufs Auge“, sagt Lennart. Auch wenn die Verschärfungen mit dem Wahlkampf nichts zu tun haben – nicht in erster Linie. „So richtig doof“, sagt Christoph, „ist es ja eigentlich nur für uns.“ Weil nur zwei Auswege bleiben: entweder in der Kneipe für ein Bier dreimal so viel bezahlen als jetzt am Kiosk. Oder: anderswo hingehen. „Denn ich meine, mal ehrlich – wer stellt sich denn hin und sagt: Weg mit dem Verbot – ich will weiter auf der Straße saufen?“

Text: florian-zinnecker - Illustration: Katharina Bitzl

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