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Und wie war's bei dir? Die Typologie der Aufklärung

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Eltern (1): Die Normalen

Wann: Zwischen 10 und 13 Jahre Anzeichen:Wenn die Eltern schon seit mehreren Wochen vermehrt tuscheln und sich vielsagend ansehen, weil das Kind „geil“ sagt. Außerdem viel kritisches Betrachten von Liebesszenen im Fernsehen, mit aufmunterndem Blick auf das Kind - in der abwegigen Hoffnung, es möge vielleicht von selbst Fragen stellen. So geht’s los: „Du Jakob, komm doch mal her, leg mal das Computerspiel weg, die Mama und der Papa erklären dir jetzt mal was, bevor es irgendwie in der Schule passiert und du das falsch aufschnappst. Du hast dich ja sicher auch schon gefragt….“ Hilfsmittel: Ein Buch mit dem Titel „1000 Fragen an den Körper“, aus der Bücherei, das die Eltern seit einer Woche absichtlich auf dem Küchentisch liegen hatten. Wo: Im Wohnzimmer, Mutti hockt mit angezogenen Beinen schräg auf der Couch, Vati steht betont leger am Bücherregal, übt joviales Lächeln und sagt immer nur: „Das ist ganz normal“. Ergebnis: Eltern sofort um vier Jahre gealtert, Kind kaum, wusste eh schon alles und meistens auch, dass es diese Situation noch vor sich hatte. Peinlichkeitsschwangere Stimmung, die mit einem gemeinsamen Pizza-Essen (Idee von Papa) notdürftig kaschiert wird. Nächste Seite: Die offensiven Eltern


Eltern (2): Die Offensiven

Wann: Sehr früh, irgendwann zwischen Kindergarten und Einschulung, wahlweise auch bevor das Geschwisterchen auf die Welt kommt. Anzeichen: Keine. Papa und Mama laufen vielleicht noch öfter als sonst nackt in der Küche herum oder schmusen exzessiv im Flur. So geht’s los: „Ola! Luna-Marie, dürfen wir mal in deinen Bereich kommen? Wir wollen heute über Sex sprechen. Sex ist etwas total Schönes und superintensiv. Gestern Nacht zum Beispiel, habe ich zu Jens gesagt, dass er in mich eindringen soll, das bedeutet…“ Hilfsmittel: Die eigenen Körper, ein Bildband mit Uschi Obermaier, diverse, auch lustige, Verhütungsmittel. Wo: Im Bereich der Eltern. Oder im Yoga-Raum. Oder einfach so beim Einkaufen, um die Natürlichkeit zu unterstreichen. „Schau mal, die Karotte da sieht aus wie ein Glied, weißt du was ein Glied ist, Luna-Marie…?“ Ergebnis: Größtmögliche traumatische Verstörung des Kindes inkl. Langzeitschäden und genauer Gegenteilwirkung, nämlich anhaltender Nackt-Phobie. Oder eben auch: Teenager-Schwangerschaft. Nächste Seite: Die verklemmten Eltern


Eltern (3): Die Verklemmten

Wann: Zwischen 14 und 16 Anzeichen: Mutti ist bei einer Beratungsstelle der Kirche gewesen, Vater kam zum ersten Mal mit leichter Pils-Fahne nach Hause. So geht’s los: „Thomas, dein Vater möchte dich im Arbeitszimmer sprechen. Ich werde mitgehen. Deswegen gibt es heute etwas später Abendbrot.“ Hilfsmittel: Die Bibel, eine Ankleidepuppe aus den Fünfziger Jahren, ein Ultraschall-Foto vom betreffenden Kind, mit dem man, sehr schnell, zum angenehmeren Teil der Aufklärung übergeht: Wie nett Babys heranwachsen und wie dick Mama damals war! Wo: Im Arbeitszimmer, Vater trägt Sakko, Mutti eine Lesebrille, um beim Erklären diveser Schautafeln keinen Fehler zu machen. Ergebnis: Ein wichtiger Baustein zum gründlichen Generationenhass ist gelegt und das Vorhaben, eine Punkband zu gründen bestärkt. Nächste Seite: Aufklärung duch Bravo & Co.


Bravo und Co.

Wann: Sobald man lesen und ein Heftchen bedienen kann. Wenn ältere Geschwister entrümpeln oder man via Banknachbar erfährt, dass es in der Bravo nicht nur um Tokio Hotel geht. Oder anders - wenn man zwar bereits alle Tokio-Hotel-Texte gelesen hat und die Woche immer noch nicht rum ist. Anzeichen: Man will unbedingt reingucken, obwohl man die Bravo doch eigentlich blöd und kindisch findet. Unter hysterischen „Wäh, eklig!“-Rufen fliegen diverse Seiten durchs Klassenzimmer. So geht’s los: „Viele Mädchen fühlen sich noch nicht bereit für das erste Mal und möchten lieber noch ein wenig warten, bis sie den Richtigen für Petting und Geschlechtsverkehr gefunden haben. Das ist vollkommen okay, es kommt beim Sex nämlich nicht…“ Hilfsmittel: Dr. Sommer Team, sowie die Erfahrungs-Geschichten „Sie ging mir zwischen die Beine“ von Lukas (16) und „Es tat gar nicht weh“ von Marisa (17). Außerdem die Selbstauslöser-Aktfotos von Mandy (18) und Kevin (17), die verstören, weil das, was Mandy zwischen den Beinen an Behaarung fehlt, bei Kevin am Kinn wieder zu finden ist. Wo: Mit der Taschenlampe im Bett. Auf der alten Tischtennisplatte im Hof. Im Juze! Ergebnis: Angenehm langsames Verdauen der Tatsachen, allerdings auch dauerhafte Kontamination mit Begriffen wie: „Scheidenflüssigkeit“, „Pille danach“, „Zungenkuss“ „Einführen & Abtasten“, „Lusttropfen kann schon Samenflüssigkeit enthalten“…, die einen bis spät in die Zwanziger begleiten. Nächste Seite: Aufklärung mit den Kumpels und Verwandten


Kumpels&Verwandte

Wann: Mädchen 9-12, Jungs 12-17 Anzeichen: Nach dem Fußball wird nicht gleich Computer gespielt, sondern noch ein bisschen „gemütlich rumgestanden“. Man verspätet sich, weil man sich „verratscht“ hat. Vor dem Besuch der älteren Cousine stattet man das Baumhaus mit Kissen aus und kauft Knabbermischung, um eine Atmosphäre für brisante Gespräche zu schaffen So geht’s los: Jungs: „Hey Alter, ey, äh, erzähl noch mal das mit deiner großen Schwester, das ist so hart, echt, ich muss dauernd dran denken.“ Mädchen: „Duhuu Sandi, du hast doch schon mal mit dem Joschi geknutscht…““ Hilfsmittel: Derbe Ausdrücke und weltliche Metaphern, z.B.: „Das fühlt sich an, als würdest du in eine zermatschte Pampelmuse greifen“ - „Was is’ denn ne Pampelmuse?“ - „Na, Grapefruit halt, du Asso!“ Wo: Umkleidekabinen, Bierzelte, hinterm Autoscooter, im alten Baumhaus. Ergebnis: Recht lebensnahe Heranführung, die allerdings auch keine Garantie für ihre Quelle bietet, was zu langwierigen Missverständnissen führen kann: „Ich dachte immer, die kann nur schwanger werden, wenn sie auch einen Orgasmus hat. Und die hatte hundertpro keinen!“ Nächste Seite: Aufklärung der Schule


Schule

Wann: Sechste Klasse, Biostunde. Vielleicht auch siebte, wenn der alte Herr Bruckmair mit der Ausrede durchkommt, dass dann ja die nette junge Referendarin das übernehmen könnte. Anzeichen: Wenn der Lehrer nicht wie sonst, „Tafel wischen!“ und dann ab hinters Pult, sondern irgendwie versöhnlicher auftritt. „Heute brauchen wir das Buch erstmal nicht“, sagt und sich auf die Pultkante setzt, dabei in schwierigen Klassen evtl. auch eine Ritterrüstung trägt. So geht’s los: Veraltet: „Handzeichen Herrschaften, wer hat denn jüngere Geschwister und wer war vielleicht sogar bei der Geburt dabei?“ Modern: „Gestern habe ich auf dem Pausenhof das Wort 'Fickamsel' gehört – wer kennt noch Wörter aus diesem Bereich? Einfach reinrufen, bitte!" Hilfsmittel: Eine Banane für die Kondomübung, in reichen Schulen auch ein flexibel gelagerter Holzpenis, Landkarten mit der Gebärmutter etc. Wo: Im Klassenzimmer, gerne auch im Stuhlkreis. Ergebnis: Höhepunkt der Schulzeit, Kicherkaskaden und reichlich Platz für Klassenclowns sich Meriten zu verdienen, amtliche Lehrerdemütigung und erstes Aufreißen der Kluft zwischen „Psst Jungs, ihr seid echt so peinlich!“-Streber-Fraktion und „Herr Bruckmair, der Thorsten hat öfter ein Hörnchen, ist der schwul?!“-Sitzenbleiber-Gruppe.

Text: fabian-fuchs - Illu: katharina-bitzl

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