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Vom Wissen und Nichtwissen über den Sohn von Kim Jong-il

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Nordkorea ist ein schwieriges Land. Amnesty International (ai) hat neulich einen Report veröffentlicht, der sich dem Ernährungszustand der Bevölkerung und dem Gesundheitssystem in der Diktatur widmet. Dazu wurden 40 Nordkoreaner befragt, die in den vergangenen Jahren aus ihrer Heimat geflohen sind. Die Ergebnisse der Gespräche sind ziemlich erschreckend, aber vielleicht auch nicht verwunderlich. Immer wieder gab es in Nordkorea Hungerkrisen nach miesen Ernten. Am schlimmsten war es Anfang der 90er Jahre, als nach Angaben aus verschiedenen Quellen bis zu zwei Millionen Menschen wegen Mangelernährung ums Leben kamen. (Damals hatte das Land um die 22 Millionen Einwohner, heute sind es 24 Millionen.) In den Interviews mit ai berichten viele, dass sie in Nordkorea häufig nur einmal am Tag essen konnten, wenn überhaupt. Sie beschreiben, wie sie in klammen Zeiten sogar von der Regierung dazu angehalten wurden, sich „von den Früchten des Waldes“ zu ernähren, von Pilzen zum Beispiel oder von Baumrinde. Vielen blieb mangels Alternative auch nichts anderes übrig. Nicht wenige wurden krank, was bei der Ausstattung des Gesundheitssystems fatal sein kann. Medikamente, so steht es in dem Report, müssen auf dem Markt gekauft und dann zur Injektion oder Anwendung mit ins Krankenhaus gebracht werden. Wer sich operieren lassen muss, muss dafür bezahlen. Viele Menschen verzichten deshalb auf dringend nötige Operationen und sterben. Diesen Sommer nun wurde das Land von Überschwemmungen heimgesucht und benötigt zum Beispiel Getreidelieferungen, die, so berichten Zeitungen, sogar aus dem verfeindeten Südkorea kommen sollen. Nicht nur wegen solcher Reports oder wegen der Drohungen mit Atomwaffenangriffen begegnen die meisten Menschen Nordkorea mit Kopfschütteln. Das Land ist vor allem wegen seiner selbst gewählten Isolation und wegen seines seltsamen Führers zum Phänomen geworden. Das meiste, was man über die politische Führungsriege und insbesondere über das Leben der Diktatorenfamilie um Kim Jong-il weiß, stammt aus "Geheimdienstquellen" oder aus Berichten von Menschen, die aus dem Land geflüchtet sind. Man muss also viele Nachrichten mit Vorsicht genießen. Vor einigen Jahren zum Beispiel waren, so berichtet es die FAZ, Südkoreaner in einem nordkoreanischen Restaurant essen und sahen, dass einige Nordkoreaner Anstecker mit dem Portrait von Kim Jong-chol trugen. Er ist der zweite von drei Söhnen Kim Jong-ils. Schnell verbreitete sich die Nachricht, der Führer habe jetzt wohl seinen Nachfolger bestimmt. Eine falsche Annahme, wie sich herausstellte. Theoretisch wäre ja auch der älteste Sohn namens Kim Jong-nam als Nachfolger seines Vaters an der Reihe gewesen. Der habe sich aber angeblich auf sehr eigenartige Weise bei seinem Vater unmöglich gemacht. Er habe mit einem gefälschten Pass nach Japan einreisen wollen, um, so ist es überliefert, seinem Sohn Disneyland zu zeigen. Kim Jong-il selbst weiß, wie es ist, wenn die eigene Zukunft nur so halb geklärt ist. Er wurde schon 1980 zum Nachfolger seines Vaters Kim Il-sung gewählt, der er aber erst 1994 wurde, nachdem sein Vater gestorben war. Nun scheint sich seine Zeit als Diktator dem Ende entgegen zu neigen. Er kränkelt, heißt es, vor zwei Jahren hatte er angeblich einen Schlaganfall. Vielleicht auch deshalb tritt zum ersten Mal nach mehr als drei Jahrzehnten die Kommunistische Partei des Landes zusammen. Angeblich sollen die Führungspositionen neu besetzt werden. Am 28. September soll es soweit sein, berichtet die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA. Viel mehr weiß man aber nicht über den Parteitag. Nur von Beobachtungen ist in vielen Medienberichten die Rede, nach denen Panzer zwecks Parade in die Hauptstadt Pjöngjang abgestellt würden und das Volk gymnastische Übungen probe, mit denen dem Chef des Landes, dem „größten und perfektesten Führer der Welt“ (so formuliert es die zuständige nordkoreanische Nachrichtenagentur) gehuldigt werden soll.

Sucht man in den Archiven der Nachrichtenagenturen nach Bildern von Kim Jong-un, findet man ein neueres (oben) und ein älteres (unten). Unter dem Bild im Archiv steht immer ein langer Text, der darauf hinweist, dass es sich im Bild "angeblich" um Kim Jong-un handle - einmal im Alter von elf Jahren, einmal im Alter von etwa 27 Jahren neben seinem Vater. Leider muss man, wenn man über Kim Jong-il samt Familie schreibt überhaupt ganz oft das Wort "angeblich" verwenden. Vielleicht gibt es am 28. September aber tatsächlich einen kleinen Umbruch. Kinderchöre proben, heißt es, Lieder, in denen von „Fußstapfen“ die Rede ist, was vielleicht auf Kim Jong-un als neuen Diktator hindeuten könnte. Er ist der jüngste aller Kim Jong-il-Söhne, zählt 27 oder 28 Jahre und wäre ein Novum an der Spitze des Staates. Kim Jong-un hat nämlich geraume Zeit in Europa gelebt. In der Schweizer Bundeshauptstadt Bern ist es eine beliebte und gern erzählte Geschichte, nach der Kim Jong-ils Sohn Kim Jong-un und offenbar auch dessen Bruder Kim Jong-chol die International School of Berne besucht haben. Die Nachrichtenagentur AFP schreibt, dass Kim Jong-un unter dem Pseudonym "Pak-un" als Sohn eines Angehörigen der Nordkoreanischen Botschaft von 1996 bis 2001 an der Schule gemeldet gewesen sei. Über seine richtige Identität gab es aber immer nur Mutmaßungen. AFP zitiert aus einer japanischen Zeitung, die wiederum einen portugiesischen Mitschüler aufgetan habe, dem sich der Nordkoreaner als Sohn von Nordkoreas Staatschef zu erkennen gegeben habe. Der Portugiese berichtete von der Basketballleidenschaft des Nordkoreaners und dass er sogar einmal mit ihm in Paris bei einem Basketballspiel gewesen sei. Andere Quellen wollen von einer Leidenschaft des Nordkoreaners für den Basketballer Michael Jordan und den Schauspieler Jean Claude van Demme wissen. Eine Schweizer Zeitung schreibt hingegen, dass Pak-un an einer ganz anderen Schule in Bern gewesen sei. Im britischen Telegraph steht wiederum, der Junge sei von vorneherein an zwei Berner Schulen eingeschrieben gewesen. Und die Tageszeitung Die Welt hat ein Protokoll mit einem angeblichen Mitschüler Jong-uns veröffentlicht, demzufolge der Junge schon 1993 oder 1994 in die Schweiz kam und sich als „Chol Pak“ vorstellte.

Dieses Protokoll ist vielleicht die spannendste und ausführlichste Beschreibung, die sich zum vermeintlich wahren Leben Kim Jong-uns finden lässt. Darin ist davon die Rede, dass er Comics mochte, im Fußballteam der Schule spielte und viel Zeit mit einem Südkoreaner verbrachte. Und er war wohl nicht allein, denn gleichzeitig besuchte offenbar ein anderer nordkoreanischer Schüler namens Kwang Chol die Schule, der Kim Jong-un wohl selten von der Seite wich, wie der Mitschüler berichtet: "Bei beiden Nordkoreanern spielte Sport eine große Rolle. Chol Pak war recht talentiert. Er war stark und rannte schnell, aber mit Kwang konnte er nicht mithalten. Der hatte einen Körper wie Bruce Lee, ein unglaublicher Athlet, der beste Stürmer im Fußballteam. Weil er so gut spielte, war Kwang beliebter als Chol, aber das schien Chol nicht gestört zu haben. Die zwei haben sich viel über Actionfilme unterhalten, die von Schwarzenegger zum Beispiel – und auch über Kampfsport. Kwang hat immer versucht, Chol Kung-Fu oder Karate beizubringen. Er war richtig gut darin." Es kursierte schließlich sogar das Gerücht, Kwang sei der Leibwächter Chols. "Aber niemand hat ernsthaft in Betracht gezogen, dass es wahr sein könnte", sagt der anonyme Mitschüler in dem Welt-Artikel. Das netteste Detail aus dem Text ist, dass Kim Jong-un wohl Deutsch sprechen dürfte, vielleicht sogar ein bisschen Schweizerdeutsch, weil das in Bern, so der Mitschüler, jeder zwangsläufig gelernt habe. Ob die Schweizer Episode im Leben Kim Jong-uns Anlass für ein bisschen Hoffnung auf Wandel in Nordkorea ist, muss sich erst herausstellen. Angeblich hat der junge Mann nach seiner Rückkehr in sein Heimatland eine Militärakademie besucht. Aber auch das was weiß man ja nicht sicher. Und ob er in die Fußstapfen seines Vaters tritt, weiß man ja auch nicht. Das einzige sichere ist, zumindest nach der Lektüre des ai-Berichts, dass die Dinge für die Menschen in Nordkorea besser sein könnten. Viel, viel besser.

Text: peter-wagner - Fotos: afp, rtr

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