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Was hast du in Mathe?

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Die gefälschte Drei 

Ich war 15 und das Leben war schwierig. Zu allem Überfluss schien die 10. Klasse auch der Tiefpunkt meiner akademischen Karriere zu werden, namentlich in Mathe und Physik. Irgendwas war da in der Zahlenwelt geschehen und es war ohne mich geschehen. Im Winterhalbjahr häufte ich schon eine sehenswerte Mischung aus Vierern und Fünfern an, im Halbjahreszeugnis standen Anmerkungen mit Ausrufezeichen. Es soll Eltern geben, die Noten auf die leichte Schulter nehmen, aber meine gehörten nicht dazu, was bedeutete: Nicht nur in der Schule war es unbequem, sondern auch Zuhause. Dieser Druck beflügelte meine kleinkriminelle Energie. Als wieder eine Schulaufgabe mit einer Fünf in meiner Tasche lag wie ein glühendes Eisen, und meine Mutter schon wiederholt gefragt hatte, wann endlich die Arbeiten korrigiert wären, verfiel ich auf ein perfides Täuschungsmanöver. Ich hatte damals Zugang zu einem Kopierer, also nahm ich das vermaledeite Stück kariertes Papier mit der großen Fünf oben rechts und schnitt ein Stück von einem Post-It so zu, dass es die Note komplett abklebte. Zum Glück stand sie auf dem blanken Rand und nicht auf dem karierten Untergrund, das hätte die Sache erschwert. Auf den Aufkleber malte ich eine schöne 3- und kopierte die ganze Arbeit mit weichen Kontrasten. Aus dem Kopierer kam die gleiche Arbeit, nur mit einer Drei Minus statt mit einer Fünf. Diese Fälschung war niederträchtig und ziemlich kurzsichtig, aber ich war 15, da ist man nicht höllisch klug. Immerhin verschaffte mir die Aktion die nächsten drei Wochen Ruhe. Meiner Mutter sagte ich, ich hätte die Arbeit kopiert, weil sie gleich wieder eingesammelt worden wäre. Ich kam mit der Lüge durch. Vier Woche später, als langsam der Endspurt aufs Jahreszeugnis zu ging, war mein Leben allerdings noch schwieriger. 

max-scharnigg




 Die anstrengende Abinote 

 In meiner ganzen Schulzeit habe ich nie eine Fünf oder Sechs kassiert. Auch Vierer waren selten, meistens stand auf Zeugnissen, unter Klassenarbeiten und Tests „sehr gut“ oder zumindest „gut“. Französisch, Mathe, Geschichte – egal. Mir flog das alles zu. Darüber war ich prinzipiell auch ziemlich glücklich, konnte ich meine Zeit doch immer mit allem Möglichem verbringen, was mir mehr Spaß machte. Gelernt habe ich äußerst selten, Hausaufgaben in der Regel im Bus oder in der Pause hingerotzt. Weil meine Mitschüler das mitbekamen, kam in der Schule auch niemand auf die Idee, mich eine Streberin zu nennen. Außerhalb der Schule hütete ich mich allerdings, über Noten zu sprechen. Es glaubt einem nämlich niemand, der es nicht selbst erlebt, dass man wirklich wenig Energie investiert. Und es gab als Teenager schließlich nichts Uncooleres als übertriebenen Ehrgeiz oder die Schule ernst zu nehmen. Andere mit vielen Einsern auf dem Zeugnis fand ich ja schließlich selbst häufig etwas seltsam: Die gingen lieber zum Klarinettenunterricht als auf eine Party und schwänzten nie den Schulgottesdienst. Dafür standen sie mit 16 immer noch auf ihren alten Knoff-Hoff-Experimentierkasten oder hatten einen Aktenkoffer als Schultasche. Die gewählte Schweigestrategie funktioniert sehr lang hervorragend - bis zur Abi-Zeit, als gute Noten auf einmal erstrebenswert wurden, weil ja alle Medizin studieren wollten. Jedenfalls waren Noten auf einmal überall Gesprächsthema, vor allem, nachdem die Abiturprüfungen vorbei waren. Wenn man in jenem Sommer einem anderen Abiturienten begegnete, war die erste Frage eigentlich immer die nach dem Schnitt. Wohl oder übel musste ich Auskunft geben. Also nuschelte ich schnell 1,2 dahin und versuchte das Thema zu wechseln. Funktionierte aber nie und schnell merkte ich: So misstrauisch, wie ich beäugt wurde, war ich offenbar automatisch mit Aktenkoffern und Klarinettenunterricht in Verbindung gebracht worden. Dass ich gerade in einem mit Nietengürtel am Platz gehaltenen Jeansminirock und einem Cola-Bier in der Hand im schrammeligsten Indie-Club der Stadt rumhing, schien das Strebersignal Abinote nicht ausgleichen zu können. Die Kombination aus Schnitt und Erscheinung wurde zwar mit einem „So schaust du ja gar nicht aus“ registriert, doch manches Gespräch verebbte schnell. Ich will mich bestimmt nicht beschweren, dass mir immer alles leicht fiel. Aber für mein Geschichts- und Sowistudium hätte damals auch ein sozial unproblematisches Zweierabi genügt.   
veronique-schneider




Die unbarmherzige Fünf  

Ich war gerade einmal zehn Jahre alt, also mit Verlaub noch viel zu jung, überhaupt mit Noten belästigt zu werden. Trotzdem meinte mein pädagogisch wenig versierter Heimat- und Sachkundelehrer, er müsse an mir ein Exempel statuieren. Es geschah im letzten Grundschulsommer und legt sich bis heute als dunkler Schleier über meine Erinnerungen an sorglose Kindertage. Herr Barkel bat mich darum, an die Tafel zu kommen. Er wolle uns allen etwas zeigen als Vorbereitung auf das Gymnasium. In freudiger Erwartung und kindlichem Übermut - schließlich war ich eine der Klassenbesten - spurtete ich nach vorne. Wie konnte ich ahnen, dass mir meine erste und zugleich peinlichste, entblößendste und ernüchterndste Wissensabfrage bevor stand. Das Thema war „Fossilien“, aber es hätte auch jedes andere sein können, ich war blank. Abfragen waren mir damals schließlich so unbekannt wie der Übergang vom Pleistozän zum Holozän oder Marihuana. Mit knallrotem Kopf und zittriger Stimme stand ich am Ende vor der 4b - kurz davor weg zu rennen und vor der Tür in Tränen auszubrechen. Alle starrten mich an, entsetzt darüber, welche Folter ihnen im Gymnasium blühen würde. Ich riss mich zusammen, rutschte unter mein Pult und kassierte die erste Fünf meines Lebens. Da begriff ich, dass die unbeschwerten Grundschulzeiten gezählt sind. Flöten, basteln, singen – Kindergarten. Bis heute vermute ich in diesen zehn Minuten die Ursache für meine Panik davor, vor Publikum zu sprechen. Am nächsten Tag fragte mich mein Lehrer zum zweiten Mal ab, als Chance den schlechten Eindruck vom Vortag korrigieren zu können (eine weitere gymnasiale Foltermethode, wie sich später herausstellen sollte). Und obwohl ich genauso planlos war wie am Vortag: Ich war reifer geworden.  

kristina-machalke





Die ewige Sport-Eins

Es gab eigentlich nur zwei Konstanten in meiner Schullaufbahn, die sich von Anfang bis Ende nie änderten. Die eine war kulinarischer Natur: Bananenmilch in der Pause, aus diesen kleinen braunen Fläschchen mit einem Strohhalm zum Oben-Reinstecken. War billig, schmeckte hervorragend und bereitete nur dann Probleme, wenn man sie in einer gefüllten Pausenhalle publikumswirksam fallen ließ und zerdepperte. Die zweite Konstante war die Eins in Sport. Die bekam ich von der ersten bis zur 13. Klasse, sie stand dort so sicher wie um 20.00 Uhr in der ARD die Tagesschau beginnt. Ich habe mich nie sonderlich um sie bemüht. In anderen Fächern musste ich was tun, damit auch dort eine Bestnote im Zeugnis auftauchte. Und selbst dann gelang es meistens nicht. In Sport dagegen musste ich einfach einen Ball ins Tor schießen wie ich es auch in den Freistunden auf dem Pausenhof tat, oder auf einem Trampolin einen Salto springen wie an Sommernachmittagen von dem großen Poller am Dampfersteg am See. Zugegeben, mit dem Reck oder dem unsäglichen Barren war ich nicht ganz so gut befreundet, aber auch diese unschönen Turnereien konnten die Eins nicht gefährden. Die Sport-Eins gab mir irgendwie immer ein beruhigendes Gefühl, ich konnte mich darauf verlassen, zumindest einen Ausgleich für die regelmäßige Mathe-Physik-Schande im Zeugnis zu haben. Und: Eine Eins in Sport ist im Leben eines Jungen glaube ich so etwas wie eine Eintrittskarte in die Beliebtheits-Oberschicht. Eine Klasse voller (Vor-)pubertierender Menschen ist ja zuweilen ein ziemlich plumpes Hierarchiegefüge, weit springen zu können oder einen Basketballkorb zu treffen können da ein ziemliches Plus im sozialen Kapital bedeuten. 

christian-helten

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