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Was muss ich über klassische Musik wissen, David Zinman?
Mit der Musik ist es ja oft so eine Sache. Obwohl: Eigentlich sollte es keine Probleme geben, schließlich findet man wohl kaum jemanden, dem Musik grundsätzlich nicht gefallen würde. Aber es ist eben eine Sache des Geschmack: des einen Rap ist des anderen Jazz, und dann ist es auch immer noch eine Generationenfrage, mit welcher Band, mit welchem Sänger man aufgewachsen ist. Da können sich mitunter Abgründe der gegenseitigen Verständnislosigkeit auftun, selbst wenn nur wenige Jahre dazwischen liegen.
Und dann gibt es natürlich noch die Klassik.
Irgendwann während der Schulzeit hatten Eltern und Lehrer versucht, mit vermeintlich jugendgerechten Kompositionen a la „Peter und der Wolf“ Interesse zu wecken für dieses Genre. Doch das blieb meist erfolglos. Nun aber steht man am Beginn des Berufslebens und unversehens bekommt man es mit Leuten zu tun, die vermutlich regelmäßige Besucher von Opern und Konzerten sind und Klassisches in ihrer Playlist haben. Und gerade bei Bewerbungsgesprächen werden oft nicht nur die für den konkreten Job notwendigen Qualifikationen abgefragt. Immer wichtiger wird die sogenannte „abgerundete Persönlichkeit“ und damit persönliche Interessen, Vorlieben, Hobbys - einschließlich vielleicht der Frage: „Was hören Sie denn so am liebsten?“
David Zinman muss Bewerbungsgespräche nicht mehr fürchten. Er ist 71 und damit auch alt genug, um mit Abstand über Generationenkonflikte urteilen zu können. Zum anderen versteht er als Chefdirigent des renommierten Tonhalle-Orchesters in Zürich mehr als der Durchschnittsbürger von klassischer Musik. Dass er Musik für eine Voraussetzung für ein erfülltes Leben hält, erscheint selbstverständlich. Aber auch für Erfolg im Beruf hält er sie für unverzichtbar: „Musik ist der Schlüssel für alles andere – Kunst, Literatur, Mathematik, Geschichte, Naturwissenschaften.“ Außerdem mache sie enormen Spaß. Als der gebürtige New Yorker sechs Jahre alt war, ließen ihn die Eltern Geige lernen – und er hasste jede Minute, vor allem, weil der Unterricht samstags stattfand und seine Klassenkameraden frei hatten. Seine eigenen Kinder hat er daher nie gezwungen, ein Instrument zu erlernen. Hat er das bereut? Ein wenig muss er schon nachdenken, bevor er das verneint. Viel entscheidender sei doch, sagt er, dass seine Kinder ein „Gefühl und eine Wertschätzung“ für klassische Musik mitbekommen hätten. Eine Faszination für klassische Musik hatte er freilich immer, was – so gibt er zu bedenken – damit zu tun gehabt haben könnte, dass diese Art der Musik damals in der Populärkultur präsenter gewesen sei als heute. „Bei Loonie Tunes spielte Bugs Bunny Liszt auf dem Klavier, und die Titelmusik des ‚Lone Ranger‘ war Rossinis Wilhelm-Tell-Ouverture“, erinnert sich Zinman. Das sei alles andere als abgehoben oder gar elitär gewesen, sondern einfach ein paar schmissige Melodien.
Als Chef des bedeutendsten Zürcher Orchesters hat Zinman versucht, die Kluft zu schließen, die zwischen Pop und Paukensoli, Hindemith und Heavy Metal, klafft. Klassik, so behauptet er, ist keine Frage des Alters, sondern des Umgangs, den man pflegt: „So lange er riskiert, bei einem Konzertbesuch den eigenen Eltern über den Weg zu laufen und nicht den Facebook-Freunden, hört sich kein junger Mensch eine Symphonie an.“ Seine Antwort war bestechend einfach: Konzerte für junge Menschen, kombiniert mit einer Party, einer Disco, einem Rock Concert.
„An einem Freitagabend will man drei, vier verschiedene Dinge mit seinen Freunden tun, deshalb fängt das Konzert erst um zehn Uhr an, da kann man vorher noch essen gehen“, erklärt er. „Wir halten es kurz, eine Stunde, höchstens anderthalb, dann geben wir die Tonhalle frei für Rock. Und wenn ein Solist auftritt, so versuchen wir, nach Möglichkeit einen jungen Interpreten zu finden.“ Davon, dass seine Art von Musik elitär sein, will Zinman nichts wissen. „Auch Mathematik ist elitär, Jazz kann elitär sein“, meint er. „Gut, soll Klassik eben auch elitär sein. Aber sie ist Teil unseres Lebens.“
Autor: Wolfgang Koydl