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"Wenigstens macht Dein Freund was Vernünftiges"

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Schon wieder ist es passiert. Schon wieder dieser furchtbar demütigende Satz von meinem Gegenüber:  

„Na, da können Sie ja froh sein, dass wenigstens Ihr Freund was Vernünftiges macht“.

Es ist Freitagnachmittag und eigentlich wollte ich nur ganz entspannt mit der Bahn fahren. Die alte Dame auf dem Sitz gegenüber sah so herzzerreißend knautschig aus, ich konnte gar nicht anders, als mit ihr ins Gespräch kommen. Wir waren beide auf dem Weg nach Süddeutschland. Sie zu ihrer Schwester, ich zu meinem Freund. Soweit, so harmlos.
Wie in jedem standesgemäßen Smalltalk zwischen Bahnfahrern kam das Gespräch natürlich auch irgendwann auf mein Studium. Nicht, dass ich erwarten würde, dass mein Gegenüber bei der Erwähnung des Wortes „Geisteswissenschaften“ Freudentänze aufführt. Solche Ansprüche legte ich exponentiell zur Länge meines Studiums ab. Aber warum muss immer ein Klischeesatz folgen, wenn ich dann das Maschinenbaustudiums meines Freundes erwähne? Wirke ich so hilflos, dass mir fremde Menschen jemanden mit angsehenem Studienabschluss an die Seite wünschen? Und ist ein Maschinenbaustudium wirklich so viel vernünftiger als alles andere?
Ich denke nicht. 


Schön, dass jeder meint darüber urteilen zu dürfen, wer in der Beziehung das "Vernünftigere" studiert.

Mit dieser Ansicht bin ich argumentativ natürlich im Nachteil. Selbstverständlich finden Maschinenbauer einfacher einen Job als Literaturwissenschaftler. Auch die Berufsgarantie für Mediziner liegt um einiges höher als die einer Theologin. Aber mal abgesehen von der alten Leier, ob etwas „vernünftiger“ ist, nur weil man schnell eine gutbezahlte Stelle damit findet, stört mich an der Aussage der alten Dame noch etwas ganz anderes: Die Unterstellung, dass ich doch froh sein könne, mit jemandem zusammen zu sein, der mein „Exotenstudium“ eines Tages wieder ausbügeln wird.
Denn das ist es, was meinem Empfinden nach in ihrer Aussage mitschwingt: Notfalls wird mein Freund mich schon versorgen können, sollte ich es aus eigener Kraft nicht schaffen.
Die Tatsache, dass auch Geisteswissenschaften zielstrebig und mit Erfolg studiert werden können, wird dabei oft ausgeblendet.  

Wäre dies nun eine Einzelmeinung von alten Damen – geschenkt! Leider kann aber jeder aus meinem Freundeskreis, der in einer Geisteswissenschaftlerin-Techniker-Paarung lebt, derartige Anekdoten zum Besten geben. Egal ob beim Kuchenessen mit der Verwandtschaft oder auf einschlägigen Studentenpartys: Technische oder wirtschaftliche Studiengänge sind stets mit einem gewissen Renommee verbunden, alle anderen Fächer schmieren daneben in der öffentlichen Wahrnehmung ab. „Solche Absolventen werden derzeit nun mal gesucht“, wird dann oft argumentiert. Als ob das große Geld ein Garant für das große Glück und Spaß am Studium sei.  

Und gleichzeitig kommt bei diesen Gesprächen eben doch heraus, dass das Weltbild des männlichen Ernährers die Köpfe meines Umfeldes nicht loslässt. Dabei gibt es genügend gut verdienende Frauen, die ihre Männer mitfinanzieren, anstatt ihnen „den Rücken freizuhalten“, wie es so schön euphemistisch heißt. Diese scheinen aber derart exotisch zu sein, dass man ihnen nicht mal ein Vorurteil widmet. Zumindest habe ich noch nie von einer Maschinenbauerin gehört, die öffentlich dafür gelobt wurde, ihren Philosophen-Freund mitzufinanzieren. Schade eigentlich.

Der alten Dame im Zug konnte ich natürlich nicht böse sein. Ich versuchte ihr also mit behutsamen Worten zu erklären, dass ich es natürlich auch toll fände, wenn mehr Frauen etwas „Vernünftiges“ wie Maschinenbau studieren würden. Das meinte ich auch sehr ernst. Schließlich begann ich aber doch mich in Rage zu reden. „Mein Studium ist kein amüsantes Hobby für mich, das mich später zum Hausfrauen-Dasein mit Doktortitel befähigen soll“, erklärte ich feurig. Meinen Freund würde ja auch niemand gesellschaftlich zwingen wollen, sein Studienfach rein über Versorger-Qualitäten zu wählen.

Die alte Dame blickte mich nur irritiert durch ihre Brille an. Sie murmelte etwas von „aber Maschinenbauer werden doch nun mal gerade gesucht“. Meine Wut tat mir nun Leid, höchstwahrscheinlich war ich mittlerweile einfach zu empfindlich bei diesem Thema geworden und unterstellte jedem gutartigem Menschen mich hinter den Herd verbannen zu wollen. Ich ließ das Gespräch ausplätschern und schaute wieder aus dem Fenster.  

Eine Freundin von mir hatte übrigens vor kurzem das umgekehrte Erlebnis in der Bahn. Sie blätterte gerade in ihrem kommunikationswissenschaftlichen Buch, als eine alte Frau sich ihr gegenüber setzte und nach einer Zeit begeistert ausrief: „Oh sie studieren was mit Maschinenbau, oder?“ Sie hat dann einfach genickt. Und geschwiegen.

Text: friederike-vonhelden - Foto: froodmat-photocase.com

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