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Wie uns eine Initiative einbimst, dass Deutschland Reform braucht

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Dass Soap-Darsteller sinnfreie Sachen sagen, wundert niemanden so recht. Eher ist es wohl umgekehrt. Und daher hätte es eigentlich auffallen müssen, als sich im Jahr 2002 in der Vorabendserie Marienhof plötzlich Dialoge häuften, die allzu offensichtlich politisch bedeutsam waren. In Folge 1961, am 26. Juli 2002 zum Beispiel ging es in einer Szene um Steuern und Sozialabgaben. Die Schauspieler sagten Folgendes: Fechner: „Haben Sie denn noch nie einen Lohnzettel gesehen? 1227 Euro brutto minus 74 Euro Steuern, minus 252 Euro Sozialabgaben macht genau 901 Euro netto.“ Toni: „Das reicht ja noch lange nicht für die Kaution. Das ist ja Wucher!“ Fechner: „Da müssen Sie sich an den Finanzminister wenden (...)“ Es war kein Zufall, dass die Figur „Fechner“ nicht sagte: „Wieso, ist noch ne ganze Menge, was übrig bleibt.“ Die Gespräche in insgesamt sieben Folgen der Serie waren gekauft. Für 58 670 Euro, von einer Organisation namens Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Was da im Vorabendprogramm auftauchte, klingt allerdings für jeden, der ab und zu in den Politikteil der großen Zeitungen rutscht, harmlos und fast verdächtig nach Mainstream: Steuern und Lohnnebenkosten runter, die Sachen selbst in die Hand nehmen, nicht immer auf den Staat verlassen, mehr Wettbewerb, mehr Effizienz. Inzwischen hat man all die Phrasen schon so oft gehört, dass man sich bisweilen fragt: Warum macht es eigentlich keiner? Offenbar liegt es daran, dass der vermeintliche Gesellschaftskonsens keiner ist. Kritikern genügen zwei Worte, um den politischen Standpunkt der Initiative zu beschreiben: „neoliberal“ und „marktradikal“.

Motiv aus einer INSM-Anzeigenkampagne. (Foto: dpa) Organisierte Schleichwerbung Die INSM steht auf der Seite der Arbeitgeber. Sie ist ein Projekt des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall: Dessen damaliger Geschäftsführer Hans-Werner Busch machte sich Ende der 90er Jahre große Sorgen über die Stimmung im Land. Eine Sache wurmte ihn dabei wohl ganz besonders. Dass scheinbar immer mehr Menschen sich eine Soziale Marktwirtschaft wünschten, in das Soziale ganz groß, der Markt aber klein geschrieben wird. Dass es am besten ist, die Wirtschaft sich selbst zu überlassen, schienen jedenfalls immer weniger Menschen zu glauben. Keine guten Aussichten für Unternehmer. Mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft stellte der Arbeitgeberverband gewissermaßen einen großen Lautsprecher ins Land. Der macht zwar keine Musik, aber er versorgt das Volk mit wirtschaftsliberalen Expertenmeinungen. Der Tenor ist stets: Wenn das Land etwas braucht, dann Reformen. Verbreitet werden die Hiobsbotschaften stets nach dem Prinzip TINA - There Is No Alternative. In die Kritik kommt die Initiative, weil kaum jemand zu wissen scheint, wem der Lautsprecher gehört. Es wird oft nicht erwähnt. Genau wie im Jahr 2002, der Fall Marienhof. Als im September 2005 an die Öffentlichkeit kam, dass da einer ideologische Schleichwerbung betrieben hatte, wurde das zu einem kleinen Skandal erhoben. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di empörte sich: „Ein solcher Fall von Manipulation“ übertreffe „alle bisherigen Vermutungen über verdeckte Einflussnahmen durch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.“ Die INSM musste einen Fehler zugeben, denn politische, weltanschauliche oder religiöse Werbung sind laut Rundfunkstaatsvertrag ausdrücklich verboten. Allerdings, so hieß es, sei ihr von der Produktionsgesellschaft versichert worden, dass die Zusammenarbeit im Einklang mit dem Staatsvertrag stehe. Außerdem sei es ohnehin nur darum gegangen, Grundkenntnisse der Wirtschaftsordnung zu vermitteln. Von Manipulationsvorwürfen jedenfalls wollte man nichts wissen. Eine andere Initiative, die für Transparenz und Demokratie (Lobby Control), stellte allerdings in einem kritischen Bericht fest „dass die Schleichwerbung im Marienhof keine neutrale Information war, sondern klar in die Arbeitgeber-PR der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft eingebunden (...)“ war.


Verschwörer ohne Geheimnis

Ein Bild aus dem Jahr 2002: Gemeinsam stellen der Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer (h) und der ehemalige CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble die Kampagne "Chancen für Alle - Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" vor. Damals war Schäuble noch nicht Innenminister. (Foto: dpa) Wer die Diskussion verfolgte, konnte den Eindruck gewinnen, bei der INSM handele es sich um eine verschworene Ideologen- Gemeinschaft, die im Verborgenen ihre geheimnisvollen Hebel umlegt, und die – was auch immer sie macht – irgendwie dubios ist. Von einem verschworenen Zirkel allerdings kann keine Rede sein. An der Spitze der INSM stehen mit Max Höfer und Dieter Rath, der ehemalige Leiter des Hauptstadt-Büros der Zeitschrift Capital und der ehemalige Chef der Öffentlichkeitsarbeit im Bundesverband der Industrie (BDI). Eigentlich sind die beiden überhaupt nicht geheimnisvoll. Das Einzige, was sie vielleicht von anderen Verbandschefs unterscheidet, ist: Sie haben früher als andere verstanden, dass Lobbyarbeit längst nicht mehr nur heißt: Politiker umschmeicheln. Ohne Fernsehinterviews, O-Töne im Radio oder Agenturmeldungen geht kaum noch etwas. Und manchmal hilft es schon, wenn Prominente zur rechten Zeit die richtigen Dinge sagen. Bayern-Manager Uli Hoeneß etwa oder der Tennisprofi Nikolas Kiefer geben sich ganz gerne mal her für die Sache der INSM. Der Finanzexperte von Bündnis’90/Die Grünen, Oswald Metzger beschrieb einmal, wie eine Kampagne der Initiative entsteht. „Die fragen mich an, ob ich Interesse hätte, bei einer Kampagne gegen Kohlesubventionen oder beim Agrarthema etwas zu machen (...). Dann sage ich o.k., das Thema liegt mir besonders, da kenne ich mich aus, da will ich mich positionieren.“ Darin liegt der Reiz für die Experten. Die INSM lässt sie zu Wort kommen, vorzugsweise dann, wenn sie auf einer Linie sind. Was allerdings kein Problem ist – schließlich ist es nicht Aufgabe von Interessengruppen, die Meinungsvielfalt abzubilden. Dafür hat die Presse zu sorgen. Dort aber hört man oft nur die Expertenmeinungen, über die Hintergründe der gezielten Kampagnen dagegen wird selten berichtet. Christian Nuernbergk fand in einer Studie über die Medienberichterstattung heraus, dass vieles von dem, was über die INSM in die Medienmaschine gibt, ungefiltert wieder in Form von Nachrichten herauskommt. Wenn Botschafter der Initiative Journalisten ihre Meinung sagen, bleibt oft unerwähnt, dass die Initiative ihre Finger im Spiel hatte. In nicht einmal jedem sechsten untersuchten Beitrag, in dem ein INSM-Botschafter zu Wort kam, fand Nuernbergk eine Erklärung zu dessen Funktion.


8,8 Millionen Euro jährlich für „Guerrilla-PR“ Der Initiative anzulasten ist das nicht. Sie nutzt lediglich Schwachstellen im Medienapparat. Das Problem liegt in den Redaktionen. Der ökonomische Druck wird ständig größer, die Zeit für fundierte Hintergrundrecherche proportional kleiner. Und die INSM schließt diese Lücke gern. Geld ist für sie nicht das Problem. Nach eigenen Angaben lässt der Arbeitgeberverband Gesamtmetall jährlich rund 8,8 Millionen Euro auf das Konto der Initiative fließen, eine bis 2010 gesicherte Geldquelle. Die meisten Verbandschefs können davon nur träumen. Die Medienprofis der INSM gelten als Vorreiter, wenn es um „integrierte Kommunikation“ geht. Manche sagen auch „Guerilla-PR“ - weil der Erfolg der Kampagnen oft in ähnlicher Weise vom Moment der Überraschung lebt wie ein Partisanenkampf. Die Initiative beschafft geeignete Gesprächspartner, bietet Unterrichtsmaterialien für Schulen zum Download, liefert Hintergrundinformationen, produziert Radio- und TV-Beiträge, teilweise übernimmt sie die komplette Recherche. Für die Zeitung „Die Welt“ fertigten ihre Mitarbeiter vor zwei Jahren ein Dossier zum Thema „Die größten Jobvernichter der Bundesrepublik“. Die Welt druckte den Artikel nicht eins zu eins ab, aber immerhin einige Passagen. Nützliche Partnerschaften Medienpartnerschaften haben für Chefredakteure einen großen Reiz. Ökonomische gesprochen: Redaktionelle Arbeit wird kostengünstig outgesourct. Die Partnerschaften sind beliebt, auch wenn die Grenzen zwischen Journalismus und PR verwischt werden. Für die „Wirtschaftswoche“ entwickelte die INSM ein Reformbarometer, für „Die Zeit“ einen Bildungsmonitor, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ unterstützt die Initiative die Wahl der „Blockierers“ und des „Reformers der Jahres“, im „Focus“ einen Karikaturenwettbewerb. Den Einsatz von knapp neun Millionen Euro übertrifft die mediale Wirkung um ein Vielfaches. Ein Problem ist das eigentlich nicht. Zu einem Problem wird es erst, wenn die Initiative sich nicht als Förderer zu erkennen gibt. Es ginge zu Lasten der Glaubwürdigkeit der Sender und Zeitungen. Und vielleicht würde dann irgendwann niemand mehr glauben, dass dieses Land Reformen braucht. +++

Den Text entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der aktuellen Ausgabe des Online-Magazins daheim, die sich mit dem Thema "Verschwörung" befasst. "daheim" versteht sich als "unabhängiges Online-Magazin. Jede Ausgabe widmet sich einem Thema und beleuchtet dieses aus verschiedenen Perspektiven. Das Magazin möchte Denkanstöße geben und sich dabei die Zeit nehmen, aktuellen Debatten und Fragestellungen auf den Grund zu gehen." Ein Porträt des Daheim-Magazins erschien auf bereits auf jetzt.de.

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