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Wer heute die Welt verbessern will, muss nicht mehr unbedingt auf die Barrikaden gehen. Er kann das ganz einfach auch von zu Hause aus tun. Und zwar in dem er etwa eine Online-Petition unterschreibt. Klar, Petitionen gab es schon immer, aber noch nie waren sie so beliebt wie heute. Plattformen wie „change.org“, „avaaz.org“ oder „38 degrees“ haben es möglich gemacht, dass man weltweit mit ein paar Klicks nicht nur auf Missstände hinweisen, sondern diese auch beheben kann. Das zeigen die zahlreichen Petitionen die schon Abschiebungen verhindert, Senioreneinrichtungen vor der Schließung gerettet und die Einführung europaweiter Pestizidverbote erzwungen haben.   

Engagierter Bürger, oder doch nur ein verwöhntes Kind?

 „We are an open platform, anyone who wants can join us“, sagte Ben Rattray, Gründer von change.org, kürzlich in einem Interview. Rattray wollte eigentlich Investmentbanker an der Wallstreet werden. Dann gründete er seine Online-Plattform und wurde ziemlich erfolgreich. Mittlerweile steht sein Name in der Liste der „Most influential people“ des „Time Magazine“. Die Offenheit der Plattformen sorgt nicht nur dafür, dass sich ein breites Spektrum an Gutmenschen und Weltverbesserern auf der Seite tummelt, sondern auch ganz schön viel Quatsch und Unsinn. Denn willkommen sind auf change.org alle. Auch ein User, der Unterschriften für die Errichtung eines Landes namens „Equestria“ fordert, in dem sein selbst gegründetes friedliebende Volk leben kann oder John, der gerne ein Headset für seinen Freund Thomas hätte, damit man beim Sykpen im Hintergrund nicht ständig seine Mutter staubsaugen hört. 

Neben all dem Nonsense finden sich auch sehr viele Petitionen, in denen sich Einzelne für ihre individuellen Wünsche stark machen. Da gibt es etwa Kevin aus Ockenhausen, der gerne einen MC Donald’s für seine Stadt hätte und Robin aus Fuhlen, der sich einen Kentucky Fried Chicken für Hameln wünscht. Andere versuchen mit der Petition ihre Stars zu erreichen: „Wir wollen ein SwaggerBoy-Album von Raf & Chakuza!“. Wiederum andere sammeln Unterschriften für die Wiedereinführung der Lieblingsserie (zweite Staffel von Skins), des Lieblingscomics (Batman’s Niemandsland) oder das Lieblingsgetränk aus der 90er-Kindheit. Und obwohl diese Petitionen von dem Kleinkindalter längst entwachsenen Menschen stammen,  hören sich ihre Wünsche oft ein bisschen wie die von quengeligen 5-Jährigen an: „Fanta Pink Grapefruit wieder auf den Markt bringen. Sofort!“ 

Neben dem unhöflichen Ton bleibt aber auch oft die Begründung für den Wunsch argumentativ auf Kinderniveau. „Meiner Meinung nach ist die Telekom das schlechteste, aber wirklich schlechteste, das es gibt.“, steht bei einer Petition zur Abschaffung der Telekom. Oder „In Wiesmoor ist eine große Nachfrage, dass ein MC Donalds entsteht.“ Mehr steht da nicht. Aber wieso auch, auf seiner Wunschliste an das Christkind musste man früher schließlich auch nicht erklären, wieso man ein rotes Bobbycar, die Special Edition des Piratenlegos, oder die eine Baby Born haben wollte. 

Die Existenz solcher Petitionen bringt einen zum Grübeln darüber, welche seltsamen Dinge passieren, wenn Menschen plötzlich ein Mitspracherecht erfahren. Offensichtlich aktiviert die Aufforderung zur Partizipation nicht automatisch den Teil in unserem Gehirn, der für Nächstenliebe und soziale Verantwortung verantwortlich ist. Viel mehr wirkt es so, als würden viele da plötzlich zu kleinen Kinder werden, die ganz heiß darauf sind, mit ihrem Wunschkonzerten loszutröten. Eine Petition verspricht dabei nicht nur die Erfüllung der First-World-Problems, sondern führt manchmal auch zu ein bisschen Fame und Beachtung. Endlich wird die eigene Meinung gehört. Endlich darf man mehr, als nur einen langweiligen Wahlzettel in die Wahlurne werfen, der dann in einer Masse von ganz vielen Wahlzetteln untergeht. Die Petition reißt einen ein Stück aus dieser traurigen Masse hervor. Alle Augen auf meinen Wunschzettel.

Dabei scheint die eigentlich gut gemeinte Idee, der Mitbestimmung, irgendwie in die falsche Richtung zu gehen. Denn sie fördert im Grunde die unreife und passive Haltung, dass „die da oben es schon richten werden“, anstatt selbst aktiv zu werden. In diesem Fall ist das aber nicht mehr Mama, sondern eben der Coca-Cola-Konzern, der einen das Objekt der Begierde auf dem Silbertablett servieren soll. Die Online-Petition ist so gesehen oft nichts anderes als ein spießiger, fauler Beschwerdebrief. Neu daran ist vielleicht, dass er nicht mehr nur bei Dreadlocksträgern und frustrierten Rentnern beliebt ist, sondern auch bei ganz normalen Kids, die im Gegensatz zu ihnen, aber Petitionen nicht ins Leben rufen, um ein Stück Wald zu retten, sondern weil sie ganz gerne die Lieblingsfastfood-Kette vor der Haustür hätten.

Text: simone-groessing - Foto: time/photocase.com

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