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Die Lieder der Woche. Von Wilco, The Lodger, Muff Potter

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Lied: „Impossible Germany“ von Wilco Ausgesucht weil: So ein Lied, so ein Titel, so ein Solo - viel, viel Schönes Ausgesucht von: „Sky Blue Sky“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es hat hier hinter diesem Fenster drei Tage lang sehr geregnet. Das war die beste Zeit, die ich seit langem hatte, weil Wilco dazu aus dem Kopfhörer kam. Genau wie der Regen, der ja gar nicht besonders traurig war, auch nicht lustig, sondern irgendwie richtig, ist dieses sechste Album geraten. Wilco ist der Prototyp einer Kritikerband. Ich kenne vier Dutzend Menschen die über Musik schreiben und die allesamt zu bierbeseelter Stunde aus dem Stand stundenlange Lobreden über diese Musikanten aus Chicago halten. Ich gehörte bislang nicht dazu - mehr aus Zeitgründen denn aus tatsächlicher Ablehnung. So gelassener Alternative-Folk mit dem wir es bei Wilco zu tun haben, zuletzt immer mal mit ein paar elektronischen Sperenzchen garniert, braucht naturgemäß ein bisschen Zuwendung, bis man ihm ganz verfällt. Dieses neue Werk funktioniert aber sofort, wirkt schon nach wenigen Minuten angstlösend und beruhigend. Ganz zurückhaltender Folk-Rock, wobei Rock ja schon mal gar nicht und auch nicht Folk, eher einfach ruhige Männermusik, mit Jazz, Blues und ganz Nordamerika mit drin und dann noch Gitarrenzupferei - von Elektronik übrigens keine Spur mehr. Als wäre das Album während eines Stromausfalls im Dunkeln ausgedacht worden, ein paar Kerzen vielleicht, die aber ein imposantes Gitarrensolo wie im ausgewählten Lied auch wieder ausbläst. Jeff Tweedys Stimme: ruhig und fest, manchmal sehr traurig gerissen aber nie weinerlich oder zu wild. Wilco ist vielleicht die unpeinlichste Band der Welt. Mit diesem Werk markieren sie Altersweisheit und Geisteshoheit, übertrumpfen spielend die letzten Werke von Giant Sand oder Calexico und sind trotzdem lebendig genug, um sich mit Modest Mouse zu vertragen. Und mit dem Regen vor allen Fenstern dieser Welt.

Wilco mit einem Lied von der neuen Platte. Lied: „Let Her Go“ von The Lodger Ausgesucht weil: Verdammte Pophymne in Dur Ausgesucht von: Dem interessanten Debütalbum “Grown-Ups”

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schöne Überraschungen gehen so: Man kriegt eine Platte auf der steht „The Lodger“, man liest die Stichworte „Leeds“ und „UK-Geheimtipp“, erwartet in gottergebener Langeweile abermaligen Instant-Hypesound mit drastischer Bratzgitarre und Jungmann-Genöle und dann – dann hört man etwas viel Netteres. Ich stehe ja so unheimlich auf leichten, smarten Gitarrenpop. Aber nur wenn er von unterbezahlten Kleinbands ist und ich habe eigentlich seit den Shins nicht mehr viel Gutes in dieser Richtung gehört, schon gar nicht von England her, wo es ja immer so großmäulig sein muss. Jetzt aber Lodger, super! Das ausgewählte Lied ist, nur mal als kleine Empfehlung, der Sommerhit für Leute mit leicht unterdurchschnittlicher Laune, es ist süß und traurig-trotzig und man mag postwendend jemandem ein paar Astern schicken. Rein musikalisch kommt hier nun nicht gerade Zwölftonmusik ums Horn, sondern allerbestes Belle&Sebastian-Mittelmaß, mit Trompeten, sanft trabendem Schlagzeug und gitarrespielendem Sänger, aber einem, der bei jedem Lied darauf achtet, dass es funkelt. Sorgfältige Einfalt kann ich sehr gut lieb gewinnen. Wer Rohmaterial für Mixkassetten und mittellange Autofahrten sucht, wer sonntagmorgens barfuss unterhalten werden will, ohne die Wohnung zu verlassen, wer sich leicht beim Musikhören langweilt: Hört in diese Platte rein.

The Lied! Na gut, der Sänger wirkt ein bisschen kicherig, aber dafür ein Supermädchen am Schlagzeug! Lied: „Das Finkelmann’sche Lachen“ von Muff Potter Ausgesucht weil: Schöner straighter Song, bumm zack, bumm zack, schnell schnell, guter Refrain. Ausgesucht von: „Steady Fremdkörper“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ah, huch, Muff Potter aus Münster klingen ja gerade genau wie Tomte. Früher hatte ich die MP ja so als akzeptable Deutschpunk-Poeten auf dem Nebenbildschirm, jetzt kommt schon das zweite Album beim, hihi, Tocotronic-Label Universal raus und klingt, zumindest die ersten fünf Minuten, ganz arg wie Hamburg vor zwei Jahren. Zum Glück entfernt man sich dann vom Uhlmannschen Gitarrenschmoll wieder hin zu einem kecken, nostalgischen Punksound, wie beim ausgewählten Lied – Punk ist hier freilich mehr Green Day als Social Distortion. Damit ist der Horizont für die ganze Platte aufgespannt. Es bleibt nie beim schnellen, gefälligen Zorngeprügel, die Potters rutschen auch immer wieder in etwas ab, das nach Virginia jetzt! in Lederjacken klingt. Und adaptieren dabei sehr oft die Tomte/Kettcar-Art Texte zu dichten: Die Finger noch am Abzug Das Pulver längst verschossen Die Herzkammern geplündert Die schönsten Tränen längst vergossen … („Das Halbvolle Glas des Kulturpessimismus“) Mich langweilt diese „wackeres Trinkerherz“-Melancholie feat. herzzerreißendem Nur-Mut-Refrain schon seit der letzten Kettcar-Platte und ich finde es seltsam, dass sie eine ganze Generation von Alternativ-Songwritern beeinflusst. Nun ja, für Abwechslung ist bei Muff Potter trotzdem noch ganz ordentlich gesorgt und wer mit dieser Band sozialisiert wurde, dürfte keine Probleme haben, hiermit wieder glücklich zu werden. So richtig breitbeinig weiterschenken würde ich das aber auch nicht. Lied: „Schlimmer“ von Wolke Ausgesucht weil: Hätte ich sonst nie gehört und meiner Lieblingslied-Sammlung hätte was gefehlt. Ausgesucht von: Der vierten großen Liedsammlung des Plattenlabels Tapete „Müssen alle mit 4“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Weil wir gerade in diesen Gefilden sind: Auch der vierte Tapete-Sampler ist wieder sehr zu empfehlen, denn er deckt die letzten 24 Monate deutscher Popmusik nahezu vollständig ab. Das Schöne an dieser Compilation ist traditionell erstens, dass nicht nur Tapete-Bands draufkommen, und zweitens, dass wirklich die jeweiligen Hits ausgesucht sind. Kein B-Seiten-Ödnis, kein Live-Geschrammel, sondern Best Of Germansprachig Pop. Manches hat man da schon längst selber im Ohr, wie etwa Tele oder Die Sterne, gleichzeitig gibt es viel neues lieb zu gewinnen, das schöne „Fair“ von Samba zum Beispiel oder „Schlimmer“ von den ewig talentierten Wolke. 22 gute Lieder wohnen hier. Wer eigentlich keine Platten mehr kauft sollte sich das mal wieder überlegen - mit dieser Scheibe spart man sich sehr viele andere.

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