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Hinter jeder Tür zwischen hier und Toronto steht die Uhlmannsche Aufrichtigkeit und klingelt Sturm

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Tomte – Buchstaben über der Stadt (Grand Hotel Van Cleef) Ich schlafe mit der neuen Tomte-Platte ein. Das geht gut. Nicht weil sie langweilig ist, sondern weil sie genau so beruhigt, als würde man seine Mutter im Nebenzimmer leise lachen hören. Jemand passt auf, jemand ist da, eine Band, und während sie singt, lässt sich ruhig träumen. Wenn ich aufwache habe ich einen Ohrwurm, es ist ein Tomte-Lied und es ist sehr schön. Aber es ist nicht von der neuen Platte sondern von der alten. Mehr muss über die Ähnlichkeit der beiden Werke nicht gesagt werden. Es spricht auch nichts dagegen, dass eine Band das eigene sehr gute Album als Maßstab für den Nachfolger nimmt. Die Frage ist nur, ob emotionale Ergriffenheit ähnlich reproduzierbar ist. Oder ob es nicht eigentlich ein bisschen dumm von Fan und Band ist, genau darauf noch mal zu hoffen. Ich meine: Der Uhlmann. Ein Großbauer der Gefühle, dessen Leiden und Zagen man besser zu kennen glaubt, als das des eigenen Bruders. (Woraus Uhlmann wieder ein Lied machen könnte). Mit jedem Wimpernschlag schüttelt er einen ehrlichen Moment, eine eherne Erinnerung, ein wahres Wort aus sich heraus, sei es auf der Bühne, im Booklet oder in seinen Liedtexten. Er ist wandelnde Klagemauer, singender Gebetsteppich und Erntedankfest in einer Person. Und das ist ein bisschen viel, ein bisschen zu überall. Wenn es heute an der Tür klingelt hat man doch schon Angst, die Uhlmannsche Aufrichtigkeit könnte davor stehen. Das macht (noch) nichts, denn bei (noch) keinem anderen würde man an der Tür lieber unterschreiben. Mich umtanzt nur der kleine Affe Angst, der befürchtet, dass Tomte für schlechte, überplakative Textzeilen wie „Ich habe mich mit Gott geprügelt“ demnächst die Bandgroßmutter verkaufen. Und Tomte wäre nicht die erste Band, die durch dauernden inzestuösen Missbrauch des eigenen Genies einsam und unecht wird. So viel zur Metaebene der neuen Tomte-Platte. Jetzt jagen wir den Poptheo mal aus dem Dorf und mit ihm alles, was einem sonst noch zu dieser Band (ist ja eher eine Bande), im Kopf rumscheuert. Übrig bleibt gute, epische Gitarrenmusik, mit viel Leichtigkeit und Luft komponiert. Der lange Atem, der in jedem Lied irgendwo aus der zweiten Gitarre atmet, verbindet die zehn Lieder zu einem Horizont, an dem man geruhsam auf und ab reiten kann, allerdings ohne dabei genau zu wissen, wo die Sonne am höchsten steht. Weniger Brecher-Refrains, dafür passiert im Hintergrund einiges, was man mit der Zeit lieben lernt. Klavier und so. The Go-Betweens haben ähnliche Platten gemacht. Würzig und warm - die neue Tomte ist ein gesundes Rosmarinbäumchen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Calla – Collisions (Beggars Banquet) Viel lieber bespreche ich aber Platten ohne fundamentalen Überbau, wie zum Beispiel die von Calla aus New York. Herausragende Jungs, hereinragender Wahnsinn. Langes, tiefstimmiges Beschwören auf Bass- und Gitarrenbasis, mehrstimmiger Gesang zu hustendem Schlagzeug und viel Betrübtheit. Ich sage Interpol, ich sage Low und Arab Strab, aber dann eben auch: New Yorker Garagenflohmarkt! Wir wollen das hören, so viel ist sicher. Die New Yorker haben diese angenehme Metropolenverlorenheit, die sich perfekt in traurige Hymnen kleistern lässt, ohne dabei weinerlich zu wirken. „This Better Go Is Planned“ zum Beispiel, ist ein so fein justiertes, trickreiches Stück Gejammer ohne eine einzige schwache Sekunde, das einen gestärkt entlässt. Absolut empfehlenswerte Platte, für Menschen mit und ohne Türsteher an der Herzklappe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

The Most Serene Republic - Underwater Cinematographer (Arts&Crafts) Nach Hamburg und New York fehlt nur noch ein Musikstädtel zum guten Dreiklang: Toronto. Wer sagt, dieser Ort hätte in den letzten 14 Monaten auch nur ein schlechtes Lied ans Licht befördert, hat sehr stark Unrecht. Mit „The Most Serene Republic“ knallt Toronto uns ein ebenso freches wie brillantes Sextett in den Posteingang. Im Pressetext wird ausdrücklich betont, dass bei dieser Band niemand von Broken Social Scene mitspielt. Hö, sind die dann trotzdem gut? Bis auf den 1:27 dauernden langweiligen Prolog: ja! Wo man hinhört nur protzgeile Vielfalt: Chanongesang, Folkhop und Händeklatschen, Flaming Lips für Gutaussehende. Stellenweise gibt es auch Zeug, dass man überhaupt noch nie auf Platte gehört hat: Knisternde Kriechspuren unter dem Schifferklavier, Abendbrotgespräche mit Tambourin. Reichlich verrückt aber nicht ohne Moral, das alles, ähnlich angenehme Verwirrung habe ich beim Hören von Architecture In Helsinki empfunden. Ist Experimentalpop wieder Trend? Egal, das klingt hier alles wie Belle&Sebastian mit gefährlichen Instrumenten. Schöner Hit mit dem besten Namen: „You’re a Loose Cannon McArthur, But You Get The Job Done“ – der auch gut das Spektrum dieser merkwürdigen Band umreißt. Ja, ich sage heute noch merkwürdig, und meine schon morgen bestimmt: denkwürdig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ant – Footprints Through The Snow (Homesleep Records) Kann mal bitte jemand meine Begeisterung einfangen? Die ist ausgebrochen. Oder habe ich heute einen hormonell weichen Tag? Jedenfalls will ich gerne sofort bei Ant anrufen und fragen, ob ich bei ihm übernachten darf. So was Schönes, Antony Harding! Das ist der Schlagzeuger der Band Hefner, den hatte man eigentlich auch nicht mehr für die Weltrettung auf der Rechnung. Jetzt macht er es zum Glück trotzdem, setzt sich hin und singt Songs, bei denen die Steine Honig schreien. Hefner war ja auch so eine unfassbar gute Band, ich wusste allerdings nicht, dass das an dem Schlagzeuger lag, obwohl der offenbar schon seit einigen Jahren Sologold vertickt. Jetzt endlich auch bei mir: Singer-Songwriteralbum des Jahres. Bester Nebendarsteller des eigenen Lebens, bester Soundtrack sowieso. Ron Sexsmith ohne Whisky, ganz weiche Zupfgitarre, vereinzelte Geigen am Wegesrand, sehr wenige Effekte – tausendmal schon woanders gehört, tausendmal ist nix Geiles passiert. Jetzt und hier bin aber so was von hin, dass ich bis zum nächsten Ersten keine andere Platten mehr hören kann. Außerdem erscheinen diese Woche: Madrugada – Live at Tralfamadore (EMI) Jason Collett – Idols of Exils (Arts&Crafts) Mew – And the Glass Handed Kites (Sony) The Gossip - Standing in the Way of Control (lado)

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