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Muse haben fast alles im Griff und die Dorfdisko bleibt weiterhin geschlossen, weil die Atari Teenage Riot Retrospektive kommt

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Muse – Black Holes and Relevations (Warner) Wie kaum eine andere Band, die im UK der Mittneunziger zu Ruhm und Ehren kam, schafft es Muse, ihren Status zu halten und auszubauen - ohne den Stil nennenswert zu ändern. Zumindest damit erweist sich ihr opulenter Dramarock letztlich doch dem Britpop überlegen, als dessen Gegenentwurf die Band 1998 ziemlich lange kein Plattenlabel fand. Seit dieser Zeit auch steht der martialisch unterfütterte Falsett-Gesang von Matt Bellamy im Mittelpunkt einer Genialfind-vs-Vollhass-Debatte des Indiediskutier-Clubs. Was nun dieses neue Werk angeht, so sind die grundsätzlichen Muse-Qualitäten vollzählig angetreten: druckvoll-düstere Songstrukturen, mitreißende Gitarrenstrudel und episch-cooles Gegniedel. Neu ist ein chamäleonhaftes Wechseln der Soundreferenzen, die mal sehr an Freddy Mercury, dann wieder nahe am schwedischen Keyboard-Pop vorbeischrammen, um schließlich gar wieder mit Metalrock zu flirten. Diese Vielseitigkeit weicht die düstere Rock-Kompaktheit des letzten Albums etwas auf und zerfranst das Phänomen Muse für meinen Geschmack ein bisschen. Die Primärorgane der Fans dürften sich aber davon unvermindert angesprochen fühlen, denn es ist bei allem Durcheinander doch vor allem ein gutes Muse-Album geworden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Joan as Police Woman - Real Life (Pias) Hier haben wir es mit einer überaus interessanten Frauensperson namens Joan Wasser zu tun. Als klassisch ausgebildete Violinistin hat sie schon mit allem gespielt, was in der US-Popszene eine intellektuelle Geige brauchte: Nick Cave und Lou Reed zum Beispiel. Mit Jeff Buckley verband sie bis zu dessen Tod eine innige Freundschaft, zuletzt tourte sie als Bandmitglied von Antony and the Johnsons durch die Welt und ließ sich von Rufus Wainwright dirigieren. Jede Menge Einflüsse also für ihr erstes eigenes Album, dessen größtes Verdienst es deswegen vielleicht zuerst ist, ganz eigenständig, zeitlos und unabhängig zu klingen. Als Multiinstrumentalistin führt uns Joan Wasser sehr souverän und mit toller Singstimme durch einen melancholischen Park, bestückt mit glasklaren Klavierbäumen und zart verhuschten Bläsersätzen - mit allem eigentlich, was die Zeit ein bisschen verschleiert. Wenn man Jazzpop sagt, klingt das so nach Bielefelder Musikfest - und es trifft auch nicht, es macht vielleicht nur die sehr versierte und ernste Art klar, mit der diese Frau komponiert und dank der sie es schafft, anders zu klingen als alle anderen Songwriterinnen, die mir zeitgenössisch einfallen. Klingt wie Ron Sexsmith, der als Mädchen verkleidet von Memphis nach New Orleans radeln muss. Alles klar?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dorfdisko – Kurz vor Malmö (Motor) Ich hätte ja nie gedacht, dass ich einmal den Überblick über die junge deutsche Popszene verliere. Ist aber in diesem Augenblick geschehen, es wird einfach überall gesignt und Label gegründet dass die Schwarte kracht. Die Verkaufserfolge von Juli, Helden und Sportfreunde dürften dieser Entwicklung den Weg geebnet haben, die auch erst mal ganz gut ist. Anderseits vergisst man in diesem Durcheinander vieles gleich wieder, zum Beispiel habe ich fast vergessen, dass ich Dorfdisko vor fast genau einem Jahr schon mal rezensieren musste. Und was gab’s damals vom Sugar Daddy mit auf den Weg? Ein bisschen mehr Profil, ein bisschen mehr Originäres zum Hochhalten, bitte! So richtig hat das die Band nicht beherzigt. Der Sound ist immer noch wahnsinnig clean, wie aus dem Gitarrenpop-Katalog bestellt, in den Texten wird immer noch „vom Meer geträumt“ und Grönemeyerhaft der Refrain angestimmt - alles nicht schlimm, wenn die Lieder so gut wären, dass man sie trotz aller Sterilität gerne vor sich hinsummen würde (wie das etwa bei Klee funktioniert). Dafür ist bei Dorfdisko die Sängerstimme aber viel zu verhalten und farblos und die Hooklines hooken auch nicht so recht. Was tun, Jungsband? Einfach trotzdem versuchen? Meinetwegen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

The Low Frequency in Stereo - The Last Temptation of…Vol.1 (Rec90) Himmel, diese Norweger. Machen da Zehn-Minuten-Stücke, auf denen mehrheitlich eine LoFi-Orgel solo durch die Kifferhöhle (so was gibts da noch!) orgelt und nur gelegentlich lässige Doors-Gitarren groovy rumslacken. Ziemlich eigenwillige Auslegung von Retro, die hier abgefeiert wird, teils mit wahnsinnig einnehmenden und tollem Surfgitarren-Sound, dann wieder mit längst überwunden geglaubten Abschnitten langer (nicht langweiliger) Woodstock-Instrumentals, bei denen man schon beim Anhören eine lange Haarfrisur kriegt. Man hört, dass hier beim Aufnehmen jemand von den Euroboys am Steuer saß, es ist so genau dieser extrem relaxte, abgefurzte Loungerock geworden, zu dem man am besten mit ein paar Screwdrivers im Roxy abhängt und zwar wochentags. Oder meinetwegen im Buick die Panamericana abfährt. Aber eher nix für den Lernnachmittag daheim.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Atari Teenage Riot 1992-2000 (Digital Hardcore Recordings) Für alle Zugspätgeborene die Chance, das nachzufassen, was sie in den wilden Neunzigern verpasst haben, als dieses E-Punk-Happening um Alec Empire die Musikjournaille und viele wütende junge Menschen an eine dreckige, politische Zukunft elektronischer Musik glauben ließ. Einer Zeit, in der die ATR-Konzerte den Live-Soundtrack zu Ausschreitungen und Straßenschlachten lieferten, und sie mit ihrem zerstörend brachialem Tech-Punk alle Gemütlichkeit hinwegboosteten, die sich in den neunziger Jahren abgelagert hatte. Ein Zeitphänomen rückblickend zu kapieren, funktioniert natürlich nicht recht und man würde keine rechte Wonne ernten, wenn man die 17 Sound-Apokalypsen hier zur Pflichtaufgabe erklärte. Ein, zwei Lieder pro Nachmittag reichen völlig, um wieder zu schmecken, mit welcher Energie und Radikalität elektronische Musik gemacht werden kann. Und um sich zu fragen, warum all das trotzdem irgendwie verhallt ist. Eko Fresh - Hart(z) IV (Subword/German Dream) Man könnte eigentlich meinen, die Aufgabe, Platten zu rezensieren, sein eine angenehme. Diese Woche ist es jedoch nicht so: Man muss bei fast 30 Grad 22 lieblos hingerotze Eko-Tracks hören, die rap-technisch und textlich so mittelmässig oder unterdurchschnittlich sind, dass man aus Scham sogar an heißen Tagen wie diesen die Fenster schließt. Der einzige Song, der interessant klingt, ist "Stenzgang" und auch hier überzeugen eigentlich nur die Parts von Hakan Abi und Kingsize. (hannes-kerber) Fler - Trendsetter (Aggro Berlin) Bei Fler macht man natürlich die Fenster gar nicht erst auf. Für alle, die sowas mögen: "Trendsetter" ist besser, vielfältiger und - es klingt paradox - sogar etwas reifer als "NDW". (hannes-kerber) Außerdem sind erschienen: Thom Yorke - The Eraser 2Mex&LifeRexall – Are Smartyr The Van Dogs – Stick To The Ground V.A. - Bargrooves Magenta Awol One – The War Of Art V.A. – Citylife Underground London Catney Tidwell – Don’t Let Stars Keep Us Tangled Up

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