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Wenn die Morgenlatte erschlafft

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Es scheint schon Ewigkeiten her, seit die Popwelt ihre Trendperiskope von New York weggedreht hat und damit kollektiv nur noch gen britische Inseln rüberspechtet. Sollen die Amis doch machen, das nächste große Ding kommt halbtodsicher aus Croydon oder Rotham. Über einen derartigen Vertrauensverlust ist man im Hipsterhimmel Williamsburg so traurig, dass nach Berichten des New York Magazine die Vorräte am White-Trash-Bier Pabst Blue Ribbon langsam knapp werden und selbst die wirklichen Truckerfahrer nichts mehr davon bekommen. Doch nun setzen Morningwood das gute alte Brooklyn wieder zurück auf die Trendlandkarte. Das ganze 2005 hindurch hat es schon gegärt: Hochglanzmagazine, die pro Monat nur eine Seite für Musik freiräumen, empfahlen diese Band als Lieblingsband in spe (mit Foto!) und auch auf der neuen Superstar-Stanze myspace.com scharte die Band virtuelle Freunde um sich, die glücklich jubilierten: „Your music is Rockin' Beauty!“, „I just got your cd today! its soooo great“ oder „Long story short, I banged the fuck out of my wife that night, simply because of your show.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und es ließ sich zunächst auch alles so trefflich für Morningwood an: Mit „Jetsetter“ einen veritablen Hit auf dem Gepäckträger, der an einer Affenschaukel zwischen Bigbeat, Glamrock und Punk hin- und herpendelt. Ein anzügliches Wortspiel im Bandnamen und gutaussehende Menschen beiderlei Geschlechts an Bord. Und mit „Nth Degree“ ein höchst unterhaltsames Video, in dem beinahe die komplette Popgeschichte optisch geschändet wird – inklusive Band im Kraftwerklook unter einem digitalen „Morgenholz“-Logo oder als Punks mit „Morning Jerks“ Schriftzug.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Doch nun ist das Debütalbum endlich da und die begeisterte Morgenlatte will sich nicht so recht aufrechthalten lassen. „Irony Is Over“ fällt einem ein, dieser reichlich überstrapazierte Satz, der ja auch nie so ganz wahr war. Morningwood möchte man ihn trotzdem ins Poesiealbum schreiben, wenn sie denn auf ihren Konzerten eins auslegen. Denn bei Morningwood wirkt alles so, als hätten sie ein eigenes Bandmitglied dafür angestellt, permanent mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft zu machen. Hey, zwinker, zwinker, weißt schon, damals Suzi Quattro. Damals Mötley Crue. Damals Joan Jett, die Carpenters, die B-52s. Aber alles natürlich nie ganz ernst gemeint, schon klar.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In guten Momenten erinnert dieser Ansatz an Liam Lynch, Andrew WK oder andere Gib-mir-Spaß-ich-will-Lachgas-Heroen. Die meiste Zeit über denkt man aber unweigerlich an eine großstädtische Variante der Bloodhound Gang oder andere Gelegenheiten, zu denen die Augen mit dem Holzhammer zum Zwinkern gebracht wurden. „New York Girls“ ist so ein Beispiel, das Lied, das sich nicht entscheiden kann, ob es die Mädchen der Stadt nun hochleben lassen will – oder sich heimlich darüber amüsiert, dass eben doch alle in Wirklichkeit aus der Provinz kommen. Die Morningwood-Logos auf den Marshall-Verstärkern, das Gitarrensolo, das natürlich im Metalquatsch enden muss, die übertriebenen Hintergrundchöre – die Liste ist lang.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dabei soll dies hier beileibe kein Manifest für ein Humorverbot in Rockland sein. Aber den halbdebilen Brüdern von The Darkness nimmt man es immerhin noch ab, dass Falsettohardrock tatsächlich ihr Leben ist – ob man das nun als eine kluge Entscheidung ratifiziert oder nicht. Und bei den großartigen Donnas (nach denen Morningwood oft genug klingen) merkt man auch, dass zwar nicht jede der klischeebeladenen Teenage-Party-Rumknutsch-Zeilen bierernst gemeint ist, dass aber auch niemand versucht, durch ironisches Anbiedern an die neonpinken Untiefen des guten Geschmacks cooler zu erscheinen als er eigentlich ist. Und all das wäre ja auch nicht weiter schlimm und eine reine Frage nach Humorgeschmack – wenn die Musik besser wäre. Aber leider bleibt, wenn man all die Gänsefüßchen rausgeangelt, all das KISS-Makeup abgekratzt hat und die beiden eingangs erwähnten Singles abzieht, nur ein höchst mittelmäßiges Songwriting übrig. Hey, jetzt mal ganz ohne Witz. (Fotos [4]: Capitol)

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