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Wie wenig ist wenig?

antifalten / photocase.com

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Eine Glaskugel braucht Doris Kappes nicht, um in die Zukunft zu schauen.

Ihr reichen ein paar Zahlen und ein Computer. Mit diesen Werkzeugen sagt sie ihren Klienten regelmäßig voraus, wie ihr Leben im Alter mal aussehen könnte. Kappes, blonder Kurzhaarschnitt und wacher Blick hinter violettem Brillenrahmen, ist Rechtsanwältin, 55 Jahre alt und arbeitet bei der Hamburger Verbraucherzentrale als Geldanlageberaterin. Sie hilft Menschen dabei, für ihr Alter vorzusorgen.

86 Prozent der jungen Erwachsenen glauben, dass sie privat vorsorgen müssen. Die wenigsten aber tun es auch

Mit Mitte Zwanzig scheint die Rente noch ein ganzes Leben entfernt. Aber schon junge Erwachsene sollten nicht allzu kurzsichtig sein, was das Alter betrifft. Zwar ist vollkommen unklar, wie unsere Rente tatsächlich aussehen wird, da letztlich politische Entscheidungen darüber bestimmen – und die kann niemand vorhersehen. Der Trend aber prophezeit keineswegs rosige Zeiten. Das Verhältnis der Rente zum Lohn sinkt seit Jahren. Bekommen Rentner heute im Schnitt noch 47,8 Prozent ihres durchschnittlichen Bruttolohns aus der gesetzlichen Rentenkasse, könnte dieser Satz bis 2045 auf 41,6 Prozent fallen. Zunehmend unstete Lebensläufe, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Niedriglohn-Jobs begünstigen die Armut im Alter zusätzlich. Laut Recherchen des WDR könnte es sein, dass ab 2030 schon jeder zweite Neurentner mit einer Rente auf Hartz IV-Niveau – auch Grundsicherung genannt –  rechnen muss. Eine Rentenreform soll dem zwar entgegenwirken. Aber der Traum vom längsten Urlaub des Lebens verpufft mit dieser Einsicht ziemlich schnell.

Die jungen Generationen wissen das, aber wahrhaben wollen sie es nicht wirklich. Laut Sozialforschungsinstitut TNS Infratest glauben 86 Prozent der jungen Erwachsenen bis 27, dass sie privat vorsorgen müssen, wenn sie im Alter nicht arm sein wollen. Die wenigsten aber tun es auch. Die eigenen Finanzen sind für viele eine Sprache, die nur das Mathe-Ass aus der Oberstufe und die Anzugträger der Bankenviertel verstehen können.

Dabei ist es gar nicht so schwierig, einen Überblick zu bekommen. Doris Kappes spürt, dass jüngere Erwachsene es zumindest verstärkt versuchen. Die Angst vor Altersarmut treibt sie zu ihr. „Es kommen immer öfter junge Menschen, die sind gerade 25, fertig mit dem Studium oder der Ausbildung und sagen: Ich muss sparen!“

Patrick, 28, Art Director, bisheriges Jahresgehalt: 31.000 Euro brutto

Patrick (Name von der Redaktion geändert) ist 28 Jahre alt und kennt das Gefühl. Es ist keine Panik, die sich in ihm ausgebreitet hat, eher der Wunsch nach Absicherung in einer unsicheren Situation. Im Sommer des vergangenen Jahres kündigte er seinen Agenturjob als Graifkdesigner. Das Gehalt empfand er für seine Arbeit nicht angemessen – er verdiente rund 31.000 Euro brutto im Jahr. In die Kündigung trieb ihn aber letztlich die katastrophale Führungsmentalität im Unternehmen. Seitdem ist Patrick selbstständig. Das klappt erstaunlich gut, ist aber natürlich unsicherer. Er weiß das – und will deswegen vorsorgen. Wie steht es um ihn?

Doris Kappes tippt die Gegenwart und gewünschte Zukunft Patricks in einen Online-Sparrechner ein: Der junge Art Director wünscht sich im Rentenalter rund 3000 Euro netto im Monat bei aktueller Kaufkraft. Inflation miteingerechnet wären das mehr als 6000 Euro netto. Wenn er weiter so einzahlt wie bisher, stehen ihm aus der gesetzlichen Rentenkasse ab 67 Jahren etwa 1620 Euro brutto zu. Wird er, wie von Kappes vorsichtig angenommen, rund 90 Jahre alt, fehlen ihm im Monat 4380 Euro –Steuerabzug nicht mit eingerechnet. Bei einer Rendite auf sein Erspartes von vier Prozent müsste der junge Art Director ab jetzt mehr als 1090 Euro im Monat sparen.

Patrick findet ziemlich schockierend, wie wenig Rente rumkommt, wenn jemand wie er ein Leben lang einzahlt. „Wie hätte ich das denn in der Festanstellung leisten sollen?“ Er spart seit Kurzem rund 500 Euro im Monat an. Das Geld fließt auf ein Tagesgeldkonto. „Das ist nicht die beste Anlageform“, sagt Kappes. Wer mehr von seinem Ersparten will, müsse auch über Fondsanlagen nachdenken – nur so könne man mit weniger später auch mehr bekommen. Aber sie lobt Patrick auch: Dass er als Selbstständiger weiter in die gesetzliche Rentenkasse einzahlt, verbessere seine Lage enorm. Neben Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen begünstigt auch Selbstständigkeit die Armut im Alter besonders.

Patrick investiert jetzt erstmal in Urlaub, eine andere Art der – gesundheitlichen – Vorsorge. Danach will er sich genauer mit Anlagemöglichkeiten auseinandersetzen. Mehr Angst vor Altersarmut hat er trotzdem nicht – er spare ja schon, was er könne. Aber: „Wenn ich das so sehe, werde ich auch stärker über Risikoinvestmentgeschichten nachdenken.“ Allerdings nur mit einem bestimmten Betrag, den er im Monat übrig hat ­und bei dem er es verschmerzen kann, wenn nichts daraus wird.

Lena, 29, Unternehmensberaterin, Jahresgehalt: 90.000 Euro brutto

 

Lena (Name geändert) besitzt zwar keine Aktien, dafür verdient sie schon heute so gut, dass sie doch eigentlich nichts befürchten müsste. Wenn die 29-Jährige so weitermacht, stünden ihr im Alter gut 2300 Euro brutto  zu. Zusätzlich zahlt sie 50 Euro im Monat in eine private Betriebsvorsorge ein, von der sie nach aktuellem Stand etwa 130 Euro im Monat erwarten könnte. Aber auch bei Lena gibt es eine Versorgungslücke. Bei einer Wunschrente von 2500 Euro netto im Monat plus Inflation fehlen ihr ab 2054 rund 2660 Euro im Monat. Um diese zu schließen, müsste Lena laut Kappes Berechnungen ab jetzt 700 Euro im Monat sparen.

 

Die junge Frau lacht daraufhin laut los. Sie findet den Betrag zu hoch. „300 Euro hätte ich noch in Ordnung gefunden. Aber 700 Euro, das ist doch lächerlich.“ Lena findet, sie zahle schon ziemlich viel in die gesetzliche Rente ein, plus private Vorsorge – dass es trotzdem nicht reicht, stimmt sie zynisch. „Kindererziehung ist da ja nicht mal mit eingerechnet. Und ich verdiene ziemlich gut. Was machen denn dann Leute, die im Monat 1000 Euro netto verdienen? Das kann doch nicht angehen – da ist die Armut ja vorprogrammiert.“

 

Natürlich hängt das auch davon ab, welche Ansprüche jemand an das Leben im Alter stellt. Aber Lena hat recht: Besonders Frauen sind später armutsgefährdet, weil Kindererziehungszeiten über die Rente kaum ausgeglichen werden. Gleichzeitig arbeiten sie noch immer häufiger Teilzeit als Männer – und zahlen so weniger in die Rentenkasse ein. Kappes verweist dabei gern auf das Buch „Ein Mann ist keine Altersvorsorge“ von Helma Sick und Renate Schmidt und rät vor allem unverheirateten Paaren, einen Extra-Betrag für die Altersvorsorge der Frau anzulegen.

 

Lena lebt mit ihrem Freund zusammen, er verdient ebenfalls auf hohem Niveau. Sich selbst mehr auf die Seite legen könnte sie gerade trotzdem nicht, weil sie noch einen Studienkredit abbezahlt und die Miete in Hamburg den Großteil ihres Einkommens frisst. Im Alter will Lena sowieso Eigentum besitzen, im besten Fall im Grünen, mit zwei Kindern, Mann, Hund und Pferd. Große Träume, die man sich erstmal leisten können muss. Bei ihrem Gehalt sollte die junge Frau doch eigentlich keine Probleme haben. Das aber kommt nicht ohne Ballast: „Das Pensum halte ich nicht ewig aus. Dass ich mein Leben lang so viel verdiene, ist vollkommen unrealistisch.“

 

Kappes ist trotzdem zuversichtlich. Sie hält ohnehin nicht viel von dieser „Versorgungslücke“. „Das ist ein Schlagwort der Versicherungsindustrie und wird total überschätzt.“ Unberücksichtigt bleiben dabei nicht nur Kinder, Ehen, Scheidungen, auch Erbe, Karriereveränderungen und politische Entwicklungen. „Im Grunde müsste man diese Lücke alle paar Jahre ausrechnen, um eine realistische Annäherung abzubilden“, sagt Kappes.

 

Die Geldanlageexpertin warnt daher davor, sich von solchen Zahlen demotivieren zu lassen. Wichtig ist: „Je früher Sie anfangen vorzusorgen, desto besser. Aber letztlich können Sie nicht mehr sparen, als sie haben.“ Die richtige Anlagestrategie hänge dabei sehr stark von der persönlichen Situation des Klienten ab. „Es gibt nicht DIE Altersvorsorge. Wir empfehlen auch nicht, einen bestimmten Prozentsatz des Einkommens zu sparen“, sagt die Finanzexpertin. Was sie jedem rät ist, ein Polster von zwei bis drei Nettolöhnen auf dem Konto zu haben – für unvorhergesehene Notfälle. „Ansonsten muss jeder herausfinden, was für ihn Sinn macht.“ Kappes hilft gerne dabei.

 

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