Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Schluss gemacht: Christine und Patrick und die geteilte Wohnung

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Christine, 24, erzählt: Drei Jahre Beziehung, davon zwei Zusammenwohnen, stapelten sich im Flur, der vom nächsten Morgen an nicht mehr uns gehören würde. Patricks Anteil am gemeinsamen Hab und Gut passte in vier Ikea-Umuzugskartons und zwei Müllsäcke. Ich hatte mindestens das dreifache. Patrick gehörten nur die Kaffeemaschine, die Playstation und der Fön. Der Umzugswagen war für den nächsten Morgen bestellt, seine Stereoanlage hatte er schon einen Tag vorher mit dem Auto mitgenommen. Was wollte er eigentlich damit? Unsere CDs hatte fast alle ich gebrannt. Mein Musikgeschmack war sein Musikgeschmack. Jetzt hatte er keinen mehr. Dass auch so etwas bei einer Trennung aufgeteilt wird, daran denkt man oft nicht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Patrick ist einer von denen, die immer darauf achten, dass sie nicht zu kurz kommen. Die einen lieben, die anderen investieren. Patrick gehört zur letzteren Sorte. Eine Beziehung sah er als ein faires Tauschgeschäft, im Idealfall als eines mit guten Erträgen. Das hat er fast wortwörtlich einmal so gesagt, in einer unseren ewigen Diskussionen darüber, dass ich seiner Meinung nach zu naiv durchs Leben gehen würde. Aber was ist das bitte für eine Neandertaler-Moral? Dass der andere zu einem Teil von dir wird, dass seine Bedürfnisse die deinen werden und sein Glück dein Glück, zu solchen Gedanken und Gefühlen war Patrik nicht fähig. Ich bin anders. Ich lasse mich auf Menschen ein, ohne Rücksicht auf Verluste. Ist doch traurig, so eine Welt, in der nichts weh tut. Ich glaube, am Ende hat er sich nach jemanden mit besserem Kosten-Nutzen-Verhältnis gesehnt. Ich machte zu viel Ärger, dachte öfter mit dem Bauch nach, anstatt mit dem Kopf, und wenn, dann zu verschwurbelt. Wir hatten schon Monate vor dem Auszug die Beziehung beendet – wegen unserer Unklarheit, wohin es gehen sollte und auch einer allgemeiner Ermüdung. Unser Sexleben: Kein Kommentar. Hinzu kam, dass ich mich verliebt hatte. Aber das hatte mit Patrick und mir nichts zu tun. Ich hätte es unterdrückt, wenn Patrick mir nur signalisiert hätte, dass unsere Beziehung es wert wäre. Stattdessen suhlte er sich im verletzten Stolz, ließ keine Spitze aus, bis sich alle Sticheleinen, alle Vorwürfe, in einem Riesenstreit entluden. Es war befreiend, weil die Fronten endlich geklärt waren. Doch danach war es, als hätte man unserer Gefühle mit einem Minus-Vorzeichen versehen. Früher war es: Egal wohin, Hauptsache mit dir! Jetzt war es: Egal wohin, Hauptsache weit weg voneinander. Ich habe mir sogar überlegt, meinen Krempel bei meinen Eltern unterzustellen, einen Urlaubssemester einzulegen und nach Asien zu reisen. Der Kontoauszug sagte mir aber: Ist nicht drin. Der Mietvertrag pflichtete bei: Wir hatten drei Monate Kündigungsfrist. Also blieben Patrick und ich wochenlang mit unserem Liebeskummer und Hass eingesperrt. Zwischenvermieten unmöglich. Wir hatten eine Pärchenglück-Maisonette – oben Schlafzimmer, unten Wohnküche mit großer Couch, auf der Patrick nach der Trennung schlief. Zwischen den Stockwerken gab es eine Leiter und nicht einmal eine richtige Tür, bloß so eine Platte zum Zuschieben. Früher hatten wir das sehr romantisch gefunden. Eine Trennung mit nur einer Holzplatte dazwischen – eigentlich war klar, dass das nicht gut gehen würde. Es ist viel Hässliches passiert. Und dann gab es auch noch Probleme mit der Wohnungsübergabe, es fehlten Schlüssel, das Waschbecken hatte einen Sprung. Liebe plus Kaution ist schon eine ungute Mischung. Unsauber beendete Beziehungen plus Mietangelegenheiten sind ein Molotowcocktail. Wir waren in den drei Monaten so mit Garstigkeiten beschäftigt, dass wir keine Zeit hatten, traurig zu sein. Erst an diesem Tag vor dem Auszug habe ich gespürt, was es wirklich heißt: Schluss zu maschen. Auch den Hass vorher hatten wir irgendwie gemeinsam geteilt. Jetzt fühlte es sich alleine an, endgültiger, echter. Ich watete durch die Staubknäuel im leergeräumten Schlafzimmer, sagte „Auf Wiedersehen“, dann kletterte ich nach unten, setzte mich auf den Bierkasten, den wir für die Umzugshelfer am nächsten Tag gekauft hatten, knackte eine Flasche mit der Zange auf und schaute lange unseren Krempel an. In mir drin sah es auch aus, wie in der Wohnung: Viel Leere mit einem Haufen altem Gepäck im Weg. Niemand ist nur mit einem Koffer in der Welt unterwegs. Jeder Beziehung hinterlässt ein paar Kisten. Dübellöcher auch. Auf der nächsten Seite erzählt Patrick die Geschichten, die Christine ausgelassen hat.


Patrick, 24, erzählt: Ich habe immer gehofft, so etwas niemals über einen Menschen sagen zu müssen, der mir wichtig war, aber mit Christine will ich nichts mehr zu tun haben. Vielleicht denke ich in ein paar Monaten anders darüber, aber im Moment bin ich zu enttäuscht. Nicht nur von ihr als Partnerin - ich bin vor allem menschlich enttäuscht. Warum wir uns getrennt haben, ist die eine Sache. Was danach passierte, machte aber deutlich, dass es die richtige Entscheidung war. Ich bin einfach nur froh, dass jetzt alles vorbei ist. Christine warf mir immer vor, egoistisch zu sein. Und was war sie? Hätte sie nicht warten können bis wir auseinander gezogen sind, mit ihrem...? Ach, das hat sie gar nicht erzählt? Stell dir vor, du bist frisch getrennt, bist auch noch so nett, auf dem Sofa im Wohnzimmer zu übernachten, musst am nächsten Morgen früh zur Arbeit, und sie schleicht sich mit ihrem neuen Typen an dir vorbei. Die beiden flüstern wie zwei Teenager, die Leiter knarzt. Dabei wusste sie doch ganz genau, was für einen leichten Schlaf ich habe und dass ich früh aufstehen musste. Und zwischen uns nur diese dünne Platte! Dabei hieß es noch vorher: „Da ist nichts, er ist definitiv nicht der Grund für die Trennung. Ich kann bloß so gut mit ihm reden, viel besser als mit dir.“ Na ist doch klar, dass sie gut miteinander reden konnten! Er kennt sie ja nicht, hatte noch keine Gelegenheit, sich all ihre Geschichten und Lebenspläne anzuhören. Ich hatte drei Jahre Zeit dazu gehabt. Er nickt ihre Flausen ab, hat ein bisschen Spaß und gut ist. Ich habe damit leben müssen. Besonders nachdem wir angefangen hatten zu studieren, hat Christine mich spüren lassen, dass sie Zugang zu geistigen Sphären hatte, die mir immer verwehrt bleiben würden. Sie die Geisteswissenschaftlerin, ich „nur“ Berufsakademie mit Ausbildungsteil bei einer großen Bank. Ich der böse, irdische Materialist, sie die flauschige Idealistin. Was Christine nie wahrhaben wollte: Trockene Buh-Männer müssen den Großteil der Miete zahlen, damit Sympathieträger Zeit für interessante Meinungen zu kulturellen Themen haben und große Weltgedanken. Und es kommt ja nicht nur darauf an, was in deinem Kopf so abgeht. Entscheidend ist, wie man sich verhält. Große Reden über Loyalität und Verpflichtungen schwingen und dann solche Aktionen – das ist doch Heuchelei. Schlimmer als alle Egoisten sind die, die glauben davon ausgenommen zu sein – und sich dabei noch im Recht sehen, alle anderen an ihre Fehler zu erinnern. Christine war am Ende der beste Gegenbeweis ihrer eigenen Theorien menschlicher Beziehungen. Jeder schaut, was das Beste für ihn ist. Jeder überlegt, ob es sich lohnt. Jeder. Ich war vielleicht der kalte Rationalist, dafür habe ich mich wenigstens korrekt verhalten und mich an simple Regeln des Zusammenwohnens gehalten. Beziehungen sind auch Abmachungen. Verträge, wenn man es so will. Natürlich gehört auch dazu, dass man sich halbverschlafen Träume erzählt, aber auch gegenseitiger Respekt und, ja, Mühe. Mir stank Christines dauernde Erwartungshaltung. Sie selbst hat sich keine Mühe mehr gegeben, ich mir irgendwann auch nicht mehr. Es war richtig, dass wir uns trennten. Aber so viel Anstand sollte man trotzdem besitzen, dass man auch nach dem Ende der Beziehung Rücksicht auf den anderen nimmt. Es ist sehr blöd gelaufen mit der Wohnung und mit uns. Wir hätten es beide besser machen können. Die letzten drei Monate haben drei Jahre kaputt gemacht, all die schönen Erinnerungen vergiftet. Ich verstehe ja, dass es die Situation war, die uns zu grausameren Menschen gemacht hat, als wir eigentlich sind. Es fällt mir momentan trotzdem schwer, in Christine die Frau zu sehen, in die ich mich damals verliebt habe. Ich mag mich ja gerade selbst nicht besonders. Vielleicht würde ich in ein paar Monaten eine ganz andere Geschichte erzählen. Nur fällt es gerade schwer, daran zu glauben.

  • teilen
  • schließen