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Was ich über die Liebe gelernt habe

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Will man mit anderen über die Liebe reden, kommt man manchmal nicht umhin, von sich zu erzählen. Für diese letzte Folge dieser Kolumne bin ich zu meiner Tante gefahren. Sie war mit ihrem Mann zusammen, seit sie 20 war, insgesamt 17 Jahre lang, dann hat er sie für eine Jüngere verlassen. Die Nacht war warm, wir saßen in ihrer Hollywoodschaukel im Garten. Sie erzählte gut, ihr Wein schmeckte gut. Ich finde meine Tante sehr weise, sie hegt keinen Groll auf ihren Exfreund. Ich hatte das Gefühl, sie weiß etwas über die Liebe, was ich noch nicht begreifen kann. Als sie mit ihrer Geschichte fertig war, hatte ich immer noch keine Lust aufzustehen, suchte nach Fragen, um noch ein bisschen zu bleiben. „Was ist Liebe?“, fragte ich sie. „Fragst du mich? Na du bist hier die Expertin“, sagte meine Tante. „Erzähl du’s mir.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Quantitativ gesehen, mag etwas an ihrer Feststellung dran sein. Zählt man die Liebespaare- und die Schlussmach-Kolumne zusammen, habe ich 60 Geschichten über die Liebe verfasst. Eigentlich sogar 80, wenn man all die Gespräche dazu rechnet, die nie zu einem Text wurden. Manche Menschen hatten nach dem Gespräch doch keine Lust, „dem Internet zum Fraß geworfen zu werden“, manchmal, wie im Fall meiner Tante, wollte der Expartner nicht mitmachen. Seit eineinhalb Jahren spitze ich meine Ohren, sobald ich höre, dass es um Zwischengeschlechtliches geht. Meine Freunde nennen mich sogar im Scherz „emotionaler Geier“. Dass ausgerechnet ich damit beauftragt wurde über die Liebe zu schreiben, ist so, als schickte man den Schüler zu Matheolympiade, der im Mathe-Grundkurs mit dem Schreibpult zu verschmelzen versucht, sobald der Lehrer nach Freiwilligen sucht. Geschichten werdender und kaputter Lieben aufschreiben? Ich kriegte nicht mal eine eigene gebacken! Um ehrlich zu sein, bin ich eher schlecht zu zweit. Ich frühstücke zwar selten alleine und es gibt so gut wie immer jemanden, der Händchen hält und bei Grippe Hühnersuppe kocht. An Worten „Freund“ oder gar „Liebe“ verschlucke ich mich meistens trotzdem. Das letzte Mal, als es mühelos von den Lippen ging, liegt so lang zurück, wie mein Abitur. Dabei halte ich ein kompliziertes Gefühlsleben nicht für eine Auszeichnung der eigener Vielschichtigkeit. Koketterie mit emotionaler Verpeiltheit oder der Angst vor Nähe finde ich ziemlich durchschaubar. Seit drei Jahren bleiben die Männer an meiner Seite trotzdem bei ihrem Vornamen, so ganz ohne Zuordnungswort oder Benennung der Gefühlzustände. Manchmal finde ich mich selbst ein wenig feige. An guten Tagen entschuldige ich meine Unverbindlichkeit damit, dass ich in letzten drei Jahren vier Mal die Anschrift gewechselt habe. An schlechten fürchte ich, ich bin einfach unbegabt. Ich fing die Kolumnen über die Liebe also an, obwohl ich sicher war, nichts davon zu verstehen. Wer Journalist werden möchte, muss schließlich die Fähigkeit haben, sich in Themen einarbeiten, die ihm fern sind. Es hat ja auch nicht jeder, der für den Wirtschaftsteil schreibt, ein DAX-Unternehmen geleitet. Die Anthropologin Helen Fischer, die in keinem wissenschaftlich angehauchten Artikel über die Liebe unzitiert bleibt, soll ein ganz verkorkstes Liebesleben haben. Und ein bisschen hoffte ich auch, durch Gespräche mit anderen Menschen schlauer zu werden in der Liebe, eine Art eigene Philosophie daraus zu destillieren. Manchen Paaren musste man ihre Geschichte aus der Nase ziehen, manche leiteten den gesamten Email-Verkehr der letzten Jahre weiter. Manche waren ergiebiger an Weisheit, manche weniger. Bei der Schlussmach-Kolumne achtete ich darauf, keine frisch getrennten Haudrauf-Expärchen zu befragen, weil das einzige, was man daraus lernen kann, ist, dass kaputte große Gefühle sehr garstige Sätze gebären können. In meinem Freundeskreis, in den Freundeskreisen meiner Freundeskreise und einfach durch Ohren-Offenhalten suchte ich nach Geschichten, die etwas über die Liebe lehren. Ich hatte gute und schlechte Tage mit den Kolumnen. Gute, wenn Paare schrieben, dass es gut getan habe, darüber zu reden, dass ich es geschafft habe, ihre Geschichte „richtig“ zu erzählen. (Wieder zusammengekommen ist übrigens niemand.) Schlechte Tage hatte ich wenn ich solche Mails bekam: „ Ich hab den großen Fehler gemacht und bei deinem Text über Christian und mich die Leserkommentare gelesen. Meine Gott, ich glaube so sehr wurde ich noch nie von unbekannten Menschen gehasst.“ Mit den Kolumnen stand ich zum ersten Mal vor der Frage: Was tun, wenn jemand die Menschen beleidigt, dessen Geschichte durch deinen Mund erzählt wird? Hatte ich überhaupt das Recht, sie nach ihrem Intimsten zu fragen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich habe ein paar Mal überlegt, die Kolumne hinzuschmeißen. Ich habe trotzdem weiter gemacht, weil auch positive Rückmeldungen kamen und ich auch ein bisschen weiter „destillieren“ wollte. Dass ich nie damit fertig werde, ist mir klar. Die größte Bibliothek, die vollständigste Musik- und Kunstsammlung, kann so etwas nicht leisten. Das habe ich meiner Tante an diesem Abend im Garten auch so erklärt. „Aber von mir wolltest du’s wissen!“, sagte sie und lachte so, dass sie den Wein verschüttete. Ich erzählte ihr dann, was für ein blutiger Anfänger ich auf dem Gebiet bin, erklärte, dass ich sie ja deshalb frage, weil ich es nicht besser weiß. Sie habe schließlich 17 Jahre Übung gehabt, ich nur ein paar Geschichten aufgeschrieben. Ich bin 23, sie 37 – was kann ich ihr schon über die Liebe erzählen? Sie ließ trotzdem nicht locker: „Komm, fünf Sätze über die Liebe, die du in den letzten eineinhalb Jahren gehört hast.“ Natürlich habe ich sie nicht aus dem Stegreif zusammenbekommen. Zu Hause, habe ich die alten Folgen nachgelesen und fünf Lieblingssätze in eine E-Mail rauskopiert: Ich glaube, die Gleichung für Liebe ist: Richtiger Mensch zur richtigen Zeit. Aber dann auch an ihm festhalten. Es hat mich fast verrückt gemacht. Und trotzdem habe ich mich noch nie so lebendig gefühlt. Die Liebe ist kein Wunder, die Liebe ist eine Charaktereinstellung. Es reiche nicht, auf das perfekte Gegenstück zu warten, man muss sich dazu erziehen, dran zu bleiben. Unsere Liebe ist eher die Melodie, die sich durch unser Leben durchzieht. „Byt“ hat die Liebe getötet. Byt lässt sich nicht so gut übersetzen, es stammt vom Wort „Sein“ ab und kann „Haushalt“ heißen, oder „Realität“, oder „Banalität des Daseins“. Meine Tante bedankte sich für meine Sätze, sagte, sie habe über unser Gespräch nachgedacht und schrieb in etwa Folgendes: „Du sagst, du kannst mir mit 23 nichts über die Liebe sagen – und das stimmt, mit 30 ist sie eine andere, als mit 23, sie ist deshalb nicht mehr oder weniger wert. Liebe ist eine Fähigkeit. Manche sind von Haus aus üppiger damit ausgestattet, mache müssen erst, wie du sagst, „üben“. Aber das ist doch kein Thema, in das man sich einarbeiten kann. [... ] Früher dachte ich: Wäre das Lebensglück ein Kuchen, wäre Liebe ein Stück davon. Ein Stück für Job, ein Stück für Kinder, ein Stück für Gesundheit. Jetzt weiß ich: Liebe ist der Kuchenboden, der alles zusammenhält. Nur dadurch ergibt alles andere Sinn.“ Und noch etwas hat sie geschrieben: „Mit der Liebe ist es wie mit dem Schwimmen, du kannst tausend Bücher darüber lesen, mit tausenden Menschen darüber reden, aber du weißt nichts darüber, bevor du nicht im Wasser strampelst. Aber mach dir keine Sorgen, sie schmeißt dich früh genug rein. Wenn du sie nur lässt.“ Ich finde, sie hat Recht. Und deshalb ist das hier die letzte Folge.

Text: wlada-kolosowa - Illustration: katharina-bitzl

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