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Eintrag aus dem Klassenbuch. Heute: Für was ist Schwänzen gut?

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Letztes Wochenende war also Rock am Ring. Das Festival, auf das Bernhard, Tim und die anderen seit Wochen, nein, Monaten hinfieberten. Entsprechend groß war ihr Entsetzen, als der Klausurplan veröffentlicht wurde und die Bioarbeit ausgerechnet für den einen, den besonderen Freitag angesetzt war. Eigentlich hatten die Jungs nämlich geplant, schon am frühen Freitagmorgen in ein verlängertes Wochenende (und in Richtung Eifel) zu starten. Da man aber von einer Klausur eben nur mit ärztlichem Attest zu entschuldigen ist, analysierten sie noch schnell Licht- und Dunkelreaktion der kanadischen Wasserpest, um dann nach zwei Stunden mit wehem Blick über den Schulhof zu taumeln. „Uhh, Benni, ist dir auch auf einmal so schlecht...?“ – „Tim, ich kann mich kaum noch halten!“ Einmal hinter dem Tor verschwunden, hörten wir von ihnen nur noch quietschende Reifen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich persönlich habe noch nie geschwänzt. Na gut, einmal, aber das war aus Versehen. Und noch in der Grundschule. Mein Fahrrad war kaputt, deswegen brachte meine Mutter mich morgens hin. Nach dem Unterricht wartete ich wie abgesprochen vor dem Eingang, aber sie kam und kam nicht. Allmählich waren auch alle anderen Kinder verschwunden und ich begann mich zu wundern. „Na gut“, dachte ich irgendwann, „vielleicht ist ihr etwas dazwischengekommen.“ Ich lief also los. Der Weg nach Hause war, für kleine Drittklässlerfüße, ein ziemlich langer. Kurz vor dem Ziel bog noch die Mutter meiner Freundin in ihrem Auto um die Ecke und guckte ganz verwundert drein. Und als ich dann endlich angekommen war, stieg meine Mutter gerade ins Auto. „Eva“, rief sie, „was machst du denn schon hier?“ Erst da fiel mir das Sportzeug auf, das über meiner Schulter baumelte. Hatte ich das heute nicht noch anziehen wollen? So habe ich zum allerersten Mal geschwänzt, und dann auch noch ausgerechnet Sport, dieses typischste aller Schwänzfächer. Zumindest unter Mädchen. Meine Entschuldigung war damals, dass ich es einfach vergessen hatte, und die Lehrerin lachte darüber. Aber heute muss man zu härteren Bandagen greifen. Es gibt Mitschülerinnen, die das völlig skrupellos tun. Ein „Ziehen in der Brust“ oder noch besser die obligatorischen „Unterleibsschmerzen“ sind einfach unschlagbare Waffen. Was soll ein Sportlehrer dagegen machen, selbst wenn er noch so sehr überzeugt davon ist, dass seine Schülerinnen sich bloß drücken? Einen Zykluskalender für sie führen? Jungs haben es da schwerer. Andererseits nehmen sie am Sportunterricht auch meistens mit großer Begeisterung teil. Müssen sie doch einmal kreativ werden, fällt ihnen höchstens „vergessenes Sportzeug“ ein. Naja. In anderen Fächern sind sie dafür umso dreister. So reichte ein Mitschüler neulich folgende Begründung für seine Abwesenheit ein: „Leider konnte ich letzten Donnerstag nicht am Mathematikunterricht teilnehmen, da ich nach dem Ende der ersten Klausurphase Ermüdungserscheinungen in Verbindung mit Kopfschmerzen hatte. Doch ich konnte mich im Laufe des Tages aufrappeln und in der 7. und 8. Stunde bin ich dann noch zum Englisch LK gekommen.“ Die erhoffte Unterschrift verweigerte ihm der Mathelehrer. Ich frage mich immer, was meine Mitschüler eigentlich tun, wenn sie blaumachen. Kathi musste neulich schwänzen, um ihr Kunstprojekt fertig zu stellen. Quasi Schule ausfallen lassen, der Schule wegen. Schwänzt man also üblicherweise aus Stress? Wohl kaum. Aber nach dem, was sie mir erzählt haben, wissen die meisten Blaumacher mit ihrer gesparten Zeit nicht viel Besseres anzufangen als irgendwo herumzuliegen, fernzusehen oder abzuwarten, bis die anderen nachkommen. Rock am Ring ist da natürlich etwas anderes. Bernhard sagt jedenfalls, es habe sich absolut gelohnt. Sein Wochenende (und sein Freitag) waren fantastisch, so fantastisch, dass er am Montag lieber auch noch mal gefehlt hat. Die Entschuldigung dafür liegt schon in seinem Block: „Bernhard fuhr am Freitag nach der Biologieklausur nach Hause, weil er unter starken Kopf- und Bauchschmerzen litt. Seine Erkältung und ein Tinnitus zogen sich über den Montag hin. Ich bitte, seine krankheitsbedingte Abwesenheit vom Unterricht zu entschuldigen. Mit freundlichen Grüßen – meine Mutter.“ Illustration: katharina-bitzl

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