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Eintrag aus dem Klassenbuch. Heute: Geschunkel im Russisch-Kurs

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Am vergangenen Montag habe ich von den Nachrichten nur die Hälfte verstanden. Es war der Tag nach den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, und der Anchorman schmiss geradezu um sich mit französischen Floskeln. „Rien ne va plus“, nichts geht mehr, das verstehe ich gerade noch, aber ansonsten fiel es mir dieses Mal schwer, der Sendung zu folgen. Denn als damals das Fach Französisch zur Wahl stand, habe ich kurzerhand meinen Bauch entscheiden lassen – und für den war die Sprache relativ schnell gegessen. Bereut habe ich diese Entscheidung (noch) selten. Vor allem angesichts des furchtbar strengen Lehrers, den meine Freunde bekamen. Neben französischer Grammatik lehrte er sie jede Menge Geschichte, von der Revolution bis zum zweiten Weltkrieg, und das ist ja oft nicht viel spannender als Satzbau. Dafür durften aber jene Mitschüler, die sich mit accent aigu und accent grave herumschlugen, auch an einem Austausch teilnehmen. Was für ein Abenteuer, all die schnieken Franzosen, die während der zwei Wochen bei uns lediglich die Worte „große Scheiße“ lernten. Inzwischen geht es lockerer zu im Französischkurs, jetzt werden dort Crêpes gebacken, und insgeheim freut man sich wahrscheinlich über den Neid, der deshalb von unserer nicht-französischen Seite dort hinüberschwappt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ganz anders der Russischkurs. Über den wird sich eigentlich nur noch lustig gemacht. Carolin sagt: „Was wir da machen, ist Volkslieder singen und dazu schunkeln!“ Diese Lieder heißen zum Beispiel „Du bist selber ne Natascha“ und tönen regelmäßig bis zu meinem Klassenraum hinüber, in dem ich dann gerade Latein habe. Aber dazu später. Der Russischkurs jedenfalls scheint eher ein Kurs in russischer Kulturgeschichte zu sein, ich möchte gar nicht wissen, wie genau „unsere Russen“ inzwischen die Architektur Moskaus und alle wichtigen Museen und geschichtlichen Eckpunkte kennen. Aber auch für sie gibt es hin und wieder Sternstunden. So fuhr der gesamte Kurs vor ein paar Monaten mit dem Lehrer und dessen Kindern ins Fußballstadion, wo der FC Schalke gegen Zenit St. Petersburg spielte. Merkwürdig eigentlich, dass es ausgerechnet vom Englischunterricht am wenigsten zu erzählen gibt. Damit verbinde ich lediglich alte Erinnerungen an trundle, die Schildkröte aus Band Eins des Lehrbuches, und jahrelange Übungen, bis das th endlich mühelos flutschte. Und natürlich den selbstgestrickten Pullover meines aufs Rentenalter zugehenden Lehrers Mr. Sparrow, auf den in fetten Lettern der Ausruf „CALL ME“ gestickt war. Vielleicht liegt das daran, dass Englisch einfach zu einem der gewöhnlichsten Fächer geworden ist, so selbstverständlich und routiniert wird es unterrichtet. Gar nicht mehr so selbstverständlich ist hingegen der Unterricht in Latein. Immer wieder kommt der Vorwurf auf, es nütze nichts, eine tote Sprache zu lernen – außer, man wollte später mal im Vatikan arbeiten. Ich merke aber, dass mein Latinum durchaus einen Sinn hat. Aus dem Spanischen und Portugiesischen kann ich immer wieder vieles ableiten, und auch Fremdwörter gehen mir dank des grünen Grundwortschatzes in 83 Lektionen leichter von der Zunge. Aber es stimmt, dass Lateinunterricht schrecklich langweilig sein kann. Denn tatsächlich wird die ganze Stunde über nur trocken übersetzt, noch dazu meist Texte aus vorchristlicher Zeit. Unser Lateinlehrer, der seit der siebten Klasse unterrichtet, versuchte diese Stunden mit gesungenen Deklinationstabellen und Lateinerwitzen aufzulockern. An seinen Lieblingsscherz erinnere ich mich sogar noch: „Caesar ora una classis Romana, das heißt: Cäsar küsste eine flotte Römerin.“ Das macht Spaß, nicht gerade, weil dieser Witz so originell ist, aber, weil es etwas für Fachleute ist. So etwas würde ich mir auch für die nächste Nachrichtensendung wünschen. Wie wärs denn mal mit einer Ausgabe voller lateinischer Floskeln? „Alea iacta est“ statt „rien ne va plus“! Dann könnte ich mitreden und –lachen, hach, das wäre schön. Aber da muss ich wohl warten, bis die nächste Papstwahl ante portas steht. Illustration: katharina-bitzl

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