Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Eintrag aus dem Klassenbuch. Heute: Warum ich mit Chemie nie konnte

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Allgemein kann man Schüler wohl in zwei Gruppen einteilen: Die, die gut in sprachlichen Fächern sind, und die, die Naturwissenschaften können. Kaum einer ist in beidem gleich gut, und kaum einer mag überhaupt beides gleich gern. Ich bin eindeutig ein Sprachentyp. Als es zu Beginn der Oberstufe ans Wählen ging, hätte ich deshalb am liebsten den gesamten naturwissenschaftlichen Zweig aus meinem Stundenplan gestrichen. Aber das ging leider nicht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dass ich allerdings auf keinen Fall ein Kreuzchen bei Chemie machen würde, stand schon zwei Jahre im Voraus fest. Rückblickend kann ich keine fünf Sachen benennen, die ich aus diesen Stunden behalten habe. Ich weiß lediglich, dass Lauge Indikatorpapier blau färbt – wahrscheinlich nur, weil wir das gleich am allerersten Tag lernten – und dass Ferrum ein anderes Wort für Eisen ist. Aber das hätte ich früher oder später auch in Latein mitbekommen. Bis heute kann ich nichts anfangen mit dem Periodensystem und all diesen Summenformeln. Ich erinnere mich nur an merkwürdig riechende und rauchende Versuchsvorführungen, an deren plötzlichem Ende mein Lehrer sagte: „Oh, jetzt haben wir so stark erhitzt, dass das Glas geschmolzen ist!“ Und an einen weiteren Versuch, bei dem unter Zugabe irgendeiner Flüssigkeit aus einer unschuldigen weißen Tablette eine meterlange schwarze Schlange puffte. Das Beste am Chemieunterricht waren die Versorgungssäulen in der Mitte der Gruppentische und die ständige Spannung zu Beginn der Stunde. Wenn nämlich der Lehrer vorne am Pult den Strom und die Gas- und Wasserhähne anstellte, hatte mindestens an einem Tisch ein Spaßvogel den Wasserhahn weit aufgedreht. Erst danach konnte man seine Hefte und Bücher auspacken. Ohne, dass sie völlig durchnässt wurden. Und dann gibt es in allen Naturwissenschaftsfachräumen immer eine Augendusche: dieses mysteriös-monströse, quietschgelbe Ding, das niemand jemals in Aktion gesehen hat. Ich glaube, es nutzt den Lehrern nur zur Drohung, falls jemand nicht die hässlichen Plastikschutzbrillen aufsetzen möchte. „Steffi, die Brille auf, oder du kriegst gleich eine Augendusche!“ Dass es die Dinger auch in der Physik gibt, verwirrt mich ein bisschen. Zwar war ich auch dort schon seit über einem Jahr nicht mehr, aber bisher habe ich nie davon gehört, dass da im Unterricht mit Säuren oder anderen, die Augen gefährdenden Substanzen gearbeitet wurde. Oder zählt Bier dazu? Einmal haben wir nämlich anhand verschiedener Biersorten den exponentiellen Verfall von Bläschen gemessen. Oder irgend etwas in der Art. Es handelte sich natürlich zu 90 Prozent um alkoholfreie Biere, die aber immerhin im Anschluss getrunken werden durften. Für alle anderen Versuche, wenn zum Beispiel einfallendes und ausfallendes Licht beobachtet oder Transistoren hintereinandergeschaltet werden mussten, war es immer gut, eine Lena in der Gruppe zu haben (hat in Physik immer eine 1). Dann konnte man sich zurücklehnen und sie machen lassen, am Ende (und nach dem ein oder anderen Stromschlag) würde schon etwas Richtiges dabei herumkommen. Weil mir nichts anderes übrig blieb, habe ich also Biologie gewählt. An Bio hatte ich gute Erinnerungen, zum Beispiel das Bienenreferat in der achten Klasse. Wir führten den Schwänzeltanz vor, höchstpersönlich und zu Biene-Maja-Musik, das war der Hit. Und wir haben den legendären Mentos-Cola-Versuch gemacht, der im Hinterhof des Biotrakts nicht halb so gut geklappt hat wie in all den YouTube-Videos. Der Horror in Form von selbstgemachten Herbarien oder sezierten Kuhaugen ist mir im Bioraum nie begegnet. Aber ich habe von Schülern gehört, die, nachdem sie im Unterricht mehrere Fische auseinander geschnitten hatten, deren mit Blut gefüllte Milz mitgehen und aus dem vierten Stock auf den Schulhof fallen ließen. Manchmal, wenn ich heute hinter der Versorgungssäule im Bioraum oder vor einer schrecklichen Bioklausur sitze, wünsche ich mir, so eine Milz zu sein. Ich müsste nie wieder in die Biostunde. Ich wäre echt fertig mit allem. Illustration: dirk-schmidt

  • teilen
  • schließen