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Eintrag aus dem Klassenbuch (III): Wenn der Lehrer austicken tut

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Vielleicht war es einfach eine von diesen ganz normalen Lateinstunden, in denen man 40 Minuten lang nichts anderes tut als zu übersetzen. Vielleicht war da auf einmal ein Satz wie: „Afra ludens in forum venit.“ Und ausgerechnet L. kam dran, die sprachlich noch nie wirklich gut war, und übersetzte: „Das Luder Afra kam ins Forum.“ An dieser Stelle hätte sich auch mein Lateinlehrer einen Spruch wie „Ja, L., du bist mir auch so ein Luder!“ nicht verkneifen können. Ludere nämlich bedeutet im Lateinischen lediglich „Spielen“ - und Afra ist spielend ins Forum gekommen. Aber wahrscheinlich war es ganz anders, und viel schlimmer. Alle reden auf einmal über den Vorfall am Harlachinger Einstein-Gymnasium, wo eine 17-jährige Schülerin auf eine Privatschule wechselte, nachdem sie von ihrem Deutsch- und Lateinlehrer als Luder bezeichnet worden war. Es gab weitere Vorfälle dieser Art, die sie letztendlich zu dem Wechsel bewogen. Trotzdem diskutiert man inner- und außerhalb deutscher Klassenzimmer, ob das wirklich nötig war. Wir erinnerten uns sofort an einen Tag in der Mittelstufe, wir hatten Biologie und unser Lehrer war ziemlich schlecht gelaunt. Irgendwann sagte eine Mitschülerin ein falsches Wort und brachte so das Fass zum Überlaufen. Der Wutausbruch unseres Lehrers gipfelte darin, dass er die Mädchen in der Klasse allesamt als „eitle, faule Zicken“ bezeichnete. Wir waren total perplex. So etwas darf ein Lehrer nicht tun. Er darf nicht beleidigen, er muss vielmehr Vorbild sein. Bisweilen gehören Selbstbeherrschung und Nachgeben ja auch mit zu diesem Job. Aber trotzdem gilt noch der Satz: Lehrer sind auch nur Menschen. Und wenn sie nun einen schlechten Tag haben? Dann ist wichtig, dass sie Fehler einsehen und sich zumindest vorbildhaft entschuldigen. Das tat unser Biolehrer schon am nächsten Tag. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass mancher Lehrer durchaus seine Lieblingsschüler hat. Und dann auch meistens welche, die er überhaupt nicht ausstehen kann. Beide haben es nicht leicht. Lieblingskinder sind immer wieder und oft zu Unrecht den Anfeindungen ihrer Klassenkameraden ausgesetzt – was kann Alessandra dafür, dass Herr Wettke-Lünning denkt, sie wäre gut in Chemie? –, während die Anderen unter den Paukern leiden. Manchmal sind diese Antipathien seitens der Lehrer begründet: Wenn ihnen beispielsweise der Klassenclown das Unterrichten schwer macht, schlagen sie irgendwann zurück. Sie sind auch nur Menschen. Schlimm ist aber, wenn sie sich verrennen in ihrem Hass und gar nicht erkennen, dass so jemand sich bessert. Dann wird es nämlich Zeit für ein Quäntchen Anerkennung. Von einem Lehrer gelobt werden ist toll. Unser Englischlehrer erklärte einmal, warum er unsere Klasse so mochte: „Man kommt morgens herein und everyone grinst.“ Das zeugte von einem gewissen Respekt. Aber selbst dieses Respektding kann nach hinten losgehen. Ich mag es zum Beispiel immer noch nicht, von meinen Lehrern gesiezt zu werden. Zu Beginn der Oberstufe wurden wir oft gefragt, ob uns das lieber sei - aber irgendwie war das stets eine rhetorische Frage, die wir alle mit „nein“ beantworteten. Nur meine Philosophielehrerin zog das Siezen von Anfang an und ohne zu fragen durch und schaffte so eine schreckliche Distanz. Heute beschwert sie sich darüber, dass wir in ihren Stunden zu wenig diskutieren. Der Harlachinger Lehrer hat seine Schüler bestimmt nicht gesiezt. Das kann ich mir bei einem Mann, der Goethes Gretchen als „geil auf Faust“ bezeichnet und seine Schüler mit „obszönen Fingerbewegungen“ belustigt haben soll, wirklich nicht vorstellen. Eher scheint er seine Vorbildfunktion vergessen zu haben. Wenn dem so ist, sollte man auch mit der Verwendung dieses einen Satzes, „Lehrer sind doch auch nur Menschen“, vorsichtig werden. Illustration: Dirk Schmidt +++ Bisher sind erschienen: Folge 1: Pärchen in der Schule Folge 2: Filme schau`n im Medienraum.

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