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Schwanger! Heute: Baby kommt!

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Los geht’s gegen halb zwei Uhr nachts, Max schnarcht neben mir, während der stärkste Schmerz meines Lebens in meinen Unterleib einfährt. Eine Wehe fühlt sich in etwa so an, wie die schlimmsten Tage-Schmerzen x 1000 (zum Vorstellen für die Mädels. Für die Jungs vielleicht: Elefant tritt auf irgendwas bei euch da unten, bleibt darauf stehen und versucht das dann mit leichten Drehbewegungen nach unten weg zu ziehen?). Und der liebe Gott hat äußerst gut daran getan, eine Wehe nie länger als eine Minute lang dauern zu lassen. Bei 1:20 würde man vermutlich sofort in Ohnmacht fallen. Doch zwischen den Wehen – nix mehr, kein Mucks. Ganz seltsam, wenn man im einen Moment noch denkt, man zerplatzt und im nächsten Schach spielen könnte. Die ersten Ruhepausen nutze ich dazu, mich über Max aufzuregen. Mit der Stoppuhr in der Hand soll er eigentlich die Wehenabstände messen – aber er pennt andauernd weg. Wir kriegen ein Kind, es geht los und Max schläft! Oh, da ist wieder eine, ... Gegen halb fünf kommen die Wehen regelmäßig alle fünf Minuten und der Herr hält auch langsam die Augen offen. Wir packen die Tasche mit den Müsliriegeln, dem Bademantel und dem allerersten Babyoutfit, die seit drei Wochen gepackt in einer Ecke steht. Ich bin aufgeregt, aber nicht ängstlich und freue mich, dass jetzt endlich, endlich was passiert. Naja, ich freue mich genau so lange, bis die nächste Wehe kommt, dann freue ich mich eine Minute lang nicht mehr, sondern röchel, krampfe, kämpfe und verfluche mein Geschlecht. Im Dunkeln, unter einem großen Regenschirm, schiebt mich Max Richtung Frauenklinik. „Jetzt gehen wir zu zweit da hin – und kommen zu dritt wieder raus!“ fasst er pointiert die Lage zusammen. Die erste Weg-Wehe atme ich an einen schwarzen Mercedes gestützt weg, die Zweite mit Blick auf das Schaufenster einer Zoohandlung. Kleine Wühlmäuse drücken sich in den Ecken herum. Eine Minute ist lang. Im Krankenhaus ist viel los, alle Kreissäle sind belegt und mein Muttermund ist erst drei Zentimeter offen – deshalb schicken sie uns noch ein paar Bahnen über den Flur. Wir laufen auf und ab, die Wehe kommt, die Wehe geht, irgendwann wird es hell draußen, die Frühstückstabletts klappern, Krankenhauspersonal schlurft an uns vorbei. Max streichelt meinen Rücken, während ich wie ein Wiesnopfer an die Flurwand gelehnt die nächste Wehe abatme. Dazwischen unterhalten wir uns wortkarg. „Keks?“ – „Nein. Du?“ – „Ja. Lecker.“ Um acht dürfen wir endlich in den Kreissaal. Müde lege ich mich auf den riesigen Geburtsstuhl. Das CTG macht pochpochpoch. Eine Minute wird länger. Durchatmen. Auf der nächsten Seite geht's weiter.


Um zwölf Uhr mittags, nach fast zehn Stunden anständigen Wehen, eine etwas enttäuschende Nachricht: Der Arzt untersucht und stellt fest, dass sich mein Muttermund seit dem Morgen kaum verändert hat. Drei, maximal vier Zentimeter offen. Zehn müssen es am Ende sein. Die Hebammenschülerin hält meine Hand. Ich denke: Na das wäre doch gelacht. Rechts nebenan im Kreissaal wird geschrieen und geschrieen. Erst kreischt eine Frau, dann Pause, dann ein Baby. Ich atme besonders motiviert. Max holt sich gegenüber was zu Essen. Er füttert mich mit ein bisschen Zwetschgendatschi. Zwischen den Wehen nicken wir beide kurz weg. Eine Minute dauert immer länger. Immer länger tut es ganz schön weh. Um 15 Uhr schreit das nächste Baby im Kreissaal links neben mir. Um 16 Uhr wieder eins rechts. Um 17 Uhr ist Schichtwechsel, ein neuer Arzt kommt vorbei. Er misst: Vier Zentimeter. Es schreit links. Der Arzt sagt: Wir brauchen mehr Power und schließen Sie jetzt an den Wehentropf an. Geburtsvorbereitungskurs, Pamela, adé! Nix da Kind kriegen im Vierfüßlerstand oder auf dem Gummiball. Jetzt wird angekabelt! Ich schlurfe noch ein letztes Mal auf die Toilette und gucke in den Spiegel, ich sehe aus wie Spongebob, mit all dem Wasser im Gesicht. Max hängt verpennt in seinem Stuhl neben dem Bett, irgendwie sieht er auch nicht mehr so frisch aus. Dann bekomme ich eine Infusion in die Hand, CTG-Kabel an die Brust, den Wehenschreiber an den Bauch. Wenn schon denn schon, denk ich mir, und bestelle die PDA (Narkose Bauchnabel abwärts) gleich dazu. Ehrlich gesagt pack ich es auch nicht mehr anders. Ich halte den Schmerz nicht mehr aus. Zwei Sekunden, nachdem mir der Anästhesist eine große Spritze in den Rücken steckt, wird mir schlecht, kalter Schweiß läuft über meine Backen. Die Geräte um mich herum fangen an zu piepsen. Plötzlich stehen viele Leute in weißen Kitteln im Raum. Aus dem Augenwinkel verfolge ich Max, wie er aus dem Zimmer springt. Die Ärzte sprechen, ich verstehe sie nicht, man spritzt mir wieder was. Ich bin kurz weg – und wieder da, wieder wach, die Geräte haben aufgehört zu piepsen. Max kommt zurück, ups, das war knapp, sagt er, irgendwie habe ich die Narkose nicht vertragen. Mir egal, denn jetzt wird alles besser: keine Schmerzen mehr. Ein unglaublich angenehmes, erleichterndes, befreiendes Gefühl. Ich beobachte, wie es draußen langsam dunkel wird und der Petziball, auf dem ich saß, noch durch den Raum rollt. Max gibt mir einen Kuss und bleibt am CTG-Kabel hängen. Unbeholfen stolpert er aus der Tür, kurz telefonieren, Familien informieren. Die Hebammenschülerin erzählt von ihrer Ausbildung und davon, wie gut ich das alles mache. Ich frage mich, wie oft am Tag sie das sagt, mag sie aber trotzdem gleich noch viel lieber. Kind, jetzt komm endlich raus! Ich muss schlafen! Die nächste Wehe spüre ich leicht aber schmerzlos. So toll, was die Medizin alles kann. Die Hebamme stellt den Wehentropf noch etwas stärker. Um 22.40 Uhr an diesem Dienstag, nach über 20 Stunden Wehen, am Ende mit volle Pulle aufgedrehtem Wehentropf und Abständen von einer Minute, misst die nächste Ärztin noch immer einen nur vier Zentimeter geöffneten Muttermund. Irgendwie will er nicht raus, der Bub. Sein Riesenschädel steckt irgendwo im Becken fest und kommt nicht richtig runter. Weil der Kopf nicht runter kommt, wird kein Druck auf den Muttermund ausgelöst – und er bleibt einfach zu. „Geburtsstillstand wegen Missverhältnis“ heißt es später in den Papieren. Während mir die Ärztin das Formblatt mit den Operationsrisiken für den Kaiserschnitt vorliest, kann ich meine Augen nicht mehr offen halten. Immer wieder kippt mein Kopf auf die Schultern. Sie ziehen mich aus, stecken mich in eines von diesen hübschen, hinten offenen OP-Hemden und hieven mich auf ein Schiebebett. Max sagt: „Ich warte draußen. Ein Patient da drin reicht.“ Ich weiß, dass es besser so ist. Aber könnte ich vielleicht auch draußen warten? Irgendwie ist das jetzt der komplett falsche Film. Jetzt wird es ernst.
Ich liege in einem silber verchromten Raum, um mich herum wuseln sehr viele Menschen mit grünen Hauben und Mundschutz herum, ab und an schüttelt mir einer die Hand. Mein Bauch ist hinter einer grünen Papierwand versteck, der Arzt neben mir flüstert mir zu, dass seine Frau am selben Tag Geburtstag hat wie ich. Dann merke ich, wie über meinem Schambein ein Messer angesetzt wird. Die da hinten schneiden mir die Bauchdecke auf. Es macht scheußliche, ratschende Geräusche. Sie arbeiten sich durch die einzelnen Gewebeschichten. Ich frage den Arzt neben mir, wie lange das jetzt dauert. „5 Minuten“, sagt er, doch ich bin schon wieder weggenickt. Sekundenschlaf – als ich wieder aufwache kommt es mir so vor, als ob die Männer da hinten bereits seit Stunden an, nein, in meinem Bauch rumzerren. Sie ziehen und drücken und es platscht und flatscht. Ich nicke ein, wache wieder auf, liege immer noch da und immer noch drücken sie mich aus. Das grelle Licht der riesigen OP-Lampe brennt in meinen Augen. Lange halte ich das Gezerre nicht mehr aus. Irgendwann – ein Schwall, ein großer Platsch und dann ein klapsen, aber ich schlafe schon wieder ein. Dann ein Krächzen, ein Quäken, ein Schrei. Mein Kind schreit! Es ist da! Ich darf schlafen!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich nicke weg und wache gleich wieder auf, weil jemand sagt, schauen Sie, da ist es! Ein Mann hält ein großes, nacktes Kind neben mir in die Luft, es heult und verschwindet gleich wieder. Die Männer hinter dem Tuch drücken währenddessen weiter auf mir herum. Zu zweit stemmen sie sich auf meine Bauchdecke, dann reißen sie etwas Großflächiges ab, wie ein totes Tier wird die Plazenta auf einem Silbertablett weggetragen, dem Mann mit dem Kind hinterher. Ich schlafe ein und werde währenddessen wieder zugenäht. Irgendwann liege ich in einem Zimmer mit orangefarbenen Vorhängen. Max weckt mich, mit einem kleinen Ding in einer Decke im Arm. Er legt das Ding zu mir aufs Bett, sich selbst halb daneben und sagt: „Schau, unser Baby!“ Ich hab Angst, dass es runter fällt, das Ding, weil ich es irgendwie nicht festhalten kann. Aber Max scheint es schon genau zu kennen. „Habs mir genauestens angesehen, während Du zugenäht wurdest. Ist alles dran! Ist super, unser Wurm! 4,4 Kilo, 57 Zentimeter, 23:18 Uhr!“ Ich schlage die Decke ein bisschen zurück und schaue mir sein Gesicht an. Sehr zerknautscht, sehr oval, sehr rot. Er schläft, ist so klein, unser Kind. Wir stecken unsere Köpfe so nah es geht zusammen und hören uns zu dritt beim Atmen zu. Mein Herz rutscht in den Hals und ich gucke mir meine beiden Jungs ganz genau an. Alles, was ich liebe, liegt jetzt hier in diesem Bett. Ich drücke einen Kuss auf die große und einen auf die kleine Nase. Ich fühle mich seltsam leer, aber glücklich. Dann schlafe ich endlich tief ein. Willkommen, Jan Marek. ENDE.

Text: linda-ende - Foto: privat

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