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Toll, toll, toll! Oder doch nicht?

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Der Fragenloop, der sich in dieser meiner zweiten Schwangerschaftswoche durch meinen mit beängstigenden Hormonladungen frisch aufpusteten Körper dreht, geht so: „Toll, toll, toll: Ich bin schwanger! Oh Gott: Der Chef bringt mich um. Wie kann ich es vor mir verantworten, dass ich in einer Zeit, in der merkwürdige Menschen wie Frank Schirrmacher und Eva Hermann unsympathische Bücher schreiben, tatsächlich ein Kind bekomme? Wieso tue ich nichts dafür, dass Deutschland endlich ausstirbt, und zwar indem ich auf die Zeugung von Statistikfutter verzichte?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sind solche Fragen pervers? Ist Kinderkriegen in einer Welt wie dieser pervers? Sind Kinder das natürlichste, allernormalstes und schönste von der Welt und ist es völlig verkrampft, verkopft und medial verblendet, je über diese Frage nachzudenken? Darf ich in meinem neuen Schwangerschaftsbuch schon das Kapitel über die zehnte Woche vorlesen? Wenn ich mich ganz privat für mein Baby entschieden habe und mich Herr Schirrmacher damit dann mal am Arsch lecken kann: bin ich dann ein typischer Klischeefall meiner Generation, die sich nur noch für ihr Privatleben interessiert? Warum ist das noch mal schlimm? Schwangerschaftsvitamine: Schluck- oder Brausetabletten? Toll, toll, toll: Ich bin schwanger! Oh Gott: Der Chef bringt mich um. Finde ich es auch toll, ein Kind zu bekommen, weil sich dann der Druck auf meine Karriere entspannt? Ist das ein Gedanke, den eine Frau haben darf – oder verrät sie damit die Emanzipation? Fände ich Männer, die solche Gedanken haben, attraktiv? Wenn man ganz, ganz ehrlich zu sich selbst ist, muss man dann zugeben, dass Kinderkriegen eine Egosache ist? In meinem Fall, ist es ein Egotripp von mir? Was macht man überhaupt jemals nicht für sich selbst? Ist Mutterliebe die einzige selbstlose Form der Liebe? Spüre ich schon irgendwas davon? Kann ich nach einem halben Jahr wieder arbeiten gehen, oder hätte ich das Kind dann überhaupt nicht erst bekommen müssen? Wäre es nicht viel gemütlicher, mindestens ein Jahr den Kinderwagen um den Gärtnerplatz herum zu schieben? Wenn der Vater Rabe mit Nachnamen heißt, wird man dann automatisch zur Rabenmutter? Was ist das überhaupt, eine Rabenmutter? Und warum Raben und nicht Schwäne oder Adler? Sind Kinder Accessoires, die zum Leben einer erfüllten Frau dazu gehören wie Männer oder eine gute Figur? Manifestiert sich dieser Accessoiregedanke in der Kinderwagenfrage? Hesba oder Bugaboo oder billig? Toll, toll, toll: Ich bin schwanger! Oh Gott: Der Chef bringt mich um. Begebe ich mich wieder in eine mühsam abgelegte Familienabhängigkeit, wenn ich meine Mutter als Babysitter einspanne? Bin ich wirklich bereit, meine Partyprioritäten abzugeben? Muss ich das überhaupt? Ist Partymachen heute alters- und familiensituationsunabhängig und stattdessen eine Frage der Nische? Wohin dann mit dem Kind? Welche Eltern kenne ich, die trotz Kind nicht spießig sind? Wieso habe ich so große Angst davor? Wie verhindere ich es, jetzt nur noch über Babys zu reden, obwohl es mich grad so brennend interessiert? Wie bleibe ich dabei trotzdem so locker, dass die Schwangerschaft kein einziger Krampf wird? Darf man zu Babys in Babysprache sprechen? Welche Rolle spielt Max? Welche Rolle will er spielen? Welche Rolle will ich, dass er spielt? Sind wir gleichberechtigt? Warum hat Max keine Busen? Wieso baut die Natur ein Gleichberechtigungshindernis in die ersten Monate ein? Soll ich mir eine elektronische oder eine Milchpumpe für die Hand kaufen? Ist es für solche Gedanken zu früh? Wieso habe ich mir das alles eigentlich nicht vorher überlegt?!? Toll, toll, toll: Ich bin schwanger! Oh Gott: Der Chef bringt mich um.“ Illustration: dirk-schmidt

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