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Im Weihnachts-Niemandsland

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Senator Film Der Film: "Merry Christmas" Das lernen wir: Wir lassen uns das Singen nicht verbieten. Eine große Nachricht eilte dem deutschen Filmstart voraus: "Merry Christmas" wird der nationale Vorschlag der Franzosen für den Oscar. Zu Recht, denkt zunächst der eingestimmte Zuschauer. Denn die historische Vorlage fasziniert. Pünktlich zum Advent geht es um den kleinen Frieden im großen Krieg, genauer gesagt, den Heiligen Abend 1914, an dem sich an der Westfront Deutsche, Schotten und Franzosen verbrüdern. Für einen Tag schließen die drei Nationen einen Waffenstillstand, um zusammen zu feiern. Das alles mutet surreal an in diesem Ersten Weltkrieg, der euphorisch angenommen wurde, dessen Realität sich jedoch schnell als hart und grausam erwies. Für Regisseur Christian Carion spielt die Musik woanders: Er steigt ein mit der Liebe der dänischen Sopranistin Anna Sörensen (Diane Kruger) und des Startenors Sprink (Benno Fürmann). Dank kaiserlichen Geleits schafft sie es ihren Geliebten am Weihnachtsabend an der Front zu sehen, um mit ihm zu singen. Schon hier wird es problematisch. Denn näher betrachtet sind alle Protagonisten Ausnahmen. Neben dem Deutschen Sprink geht es um den schottischen Priester Palmer (Gary Lewis), der seinen einberufenen Schäfchen folgt oder den französischen Offizier Audebert (Guillaume Canet), Sohn eines bedeutenden Generals. Sie stehen im Zentrum des Geschehens, die große Masse der Soldaten bleibt weitestgehend gesichtslos. Unterlegt vom Geräusch knirschenden Schnees schimmert in den Bildern von Weihnachten im kalten Graben die Absurdität des Frontenkrieges durch. Vor allem am Tag nach der Fraternisierungsnacht. Die Soldaten stehen vor dem Problem, wie es weitergehen soll. „Morgen zu sterben ist doch noch absurder als gestern“, sagt Adjutant Sprink. Seine Worte bringen die Botschaft des Films auf den Punkt. Es ist ein sinnloser Krieg, erst Recht im direkten Angesicht des vermeintlichen Feindes. Der Umsetzung dieses Konfliktes lässt Carion es nicht an Metaphorik fehlen. Ohne Helme beim gemeinsamen Gebet sind die Soldaten kaum zu unterscheiden, grollt jedoch in der Ferne das Artilleriefeuer ziehen sie Pickelhelme, Franzmützen und Schottenkappen wieder auf – und sind wieder Kämpfer feindlicher Heere. Leider wirkt die Annäherung im Frontenniemandsland oft chronologisch und aneinandergeschnitten. So wie die Männer unterschiedliche Tote begraben und Fotos ihrer Frauen austauschen, werden auch im Film lediglich einzelne Episoden aufgereiht und es gelingt nicht, all die verschiedenen Ebenen zusammenzufügen. Schon gar nicht, wenn dazu auch noch die Frau an der Front erklärt werden will. Zwischen Schnaps, Bajonett und Männerfreundschaften wirkt die kuschelige Liebesgeschichte im Schützengraben arg deplaziert. An den Schauspielern liegt es nicht, dass all diese Ereignisse keinen eindringlicheren Charakter zu entwickeln vermögen. Diane Kruger, im unschuldigen Rotkäppchencape sieht nicht nur fantastisch aus, sondern überzeugt auch darstellerisch. Ebenso wie Guillaume Canet und Gary Lewis. Einzig Benno Fürmann wirkt als Künstler etwas fehlbesetzt. Ungewohnt mit dreckig-rundem Gesicht und Bart ist auch Daniel Brühl in der Rolle des jungen Befehlshabers Horstmeyer. Nicht schlecht, wenn auch ein wenig blass. Schuld daran sind vor allem die Dialoge. Zu oft geraten sie zu Phrasen und platten Zwischenrufen. Wenn etwa der deutsche Horstmeyer bemerkt, dass er in genau der Straße in Paris, in der sein französischer Gegner lebt, seinen letzten Urlaub verbrachte. Die Opernsänger Natalie Dessay und Rolando Villazón sind eine gute Wahl für die Stimmen des verliebten Sängerpaars im Film. Begleitet von Kitsch und Dudelsack bleibt es aber nicht bei einem Mal „Ave Maria“ und „Stille Nacht“ – und so bleibt nicht die Zeit, den Hintergrund und vor allem die Menschen angemessen zu beschreiben. „Merry Christmas“ hat wenig von einem reinen Weihnachtsmärchen, noch ist es ausschließlich ein Kriegsfilm oder nur eine anrührende Liebesgeschichte – und bleibt somit selbst im Niemandsland.

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