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Krumpen statt Rappen

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Bild: RapidEyeMovies Der Film:“RIZE“ Das lernen wir: Ein schöner Körper ist nicht alles, aber er ist schon mal ein Anfang Was macht man mit einem Leben auf der falschen Seite der Stadt? Die verarmten Viertel von Los Angeles heißen Compton, Long Beach oder Inglewood. Ihre Bewohner sind zum allergrößten Teil Schwarze. Während Rapper wie 50Cent ihren Bling-Bling HipHop feiern und dabei immer wieder betonen, wie real und von der Straße sie sind, hängen die Jugendlichen in den Ghettos weiterhin herum, ohne Geld und ohne Aussichten. Sie glauben nicht an die dicken Autos und die Pelzmäntel, die MTV-Clips ihnen versprechen. Sie widmen ihr Leben etwas anderem: dem lieben Gott und dem Tanz. David LaChapelle hat darüber den Dokumentarfilm „RIZE“ gemacht. LaChapelle kennt man eigentlich nicht für filmische Sozialstudien, sondern eher für seine artifiziell schillernden Starportraits und für seine Musikvideoclips, die vor Glitz und Glam nur so triefen. Auch das unsägliche Romeo und Julia-Werbefilmchen von H&M, das zurzeit im Kino läuft, ist von ihm. In „RIZE“ sieht man von Glamour erstmal gar nichts. Der Film ist fast komplett digital und mit Handkamera gedreht, was ihm eine eher unprofessionelle, spontane Ästhetik verleiht. Das passt gut, denn im Großstadtghetto kann man nach Dekadenz lange suchen. LaChapelle hat stattdessen einen großen, dicken Mann mit einer regenbogenfarbenen Perücke auf dem Kopf gefunden: Tommy the Clown, Ex-Dealer, Entertainer und Direktor der Clowning Academy. Er bringt den Kindern von South Central das Tanzen bei. Sein Stil heißt Clowning und ist eine abgefahrene Mischung aus HipHop, Stripteaseelementen und Cheerleaden. Tommys Schüler sind in Gruppen organisiert, trainieren jeden Tag und tragen bei ihren Auftritten bunte Schminke und Kostüme. Sie sind diszipliniert und für Gewalt haben sie gar keine Zeit. „Hier wird man entweder gefragt, in welcher Gang man ist, oder wo man tanzt“, sagt ein Junge mit grünblauer Schminke im Gesicht. Wer als Tänzer nicht zu Tommy gehört, tanzt „Krump“. Dieser rasante, aggressive Tanzstil hat sich aus dem Clowning entwickelt. Er besteht zu gleichen Teilen aus HipHop, Breakdance und afrikanischen Stammestänzen und sieht unglaublich aus. Die Bewegungen der Tänzer kommen in erster Linie aus dem Becken und dem Bauch und sind so schnell und komplex, dass man sie schlicht nicht für möglich hält. Aggression und Sex wird im Tanz ausgelebt, statt auf der Straße. Die Krumper treffen sich täglich. Sie trainieren wie besessen und das sieht man ihnen an. Ihre Körper scheinen nur aus perfekt geformter Muskelmasse zu bestehen. Sie sind Luxusobjekte, die sie tragen, wie Puff Daddy seine Diamanten. „Es gibt nichts für uns zu tun hier.“ Diesen Satz hört man während des Films immer wieder. Neben atemberaubenden Tanzsequenzen zeigt LaChapelle die andere Seite des Ghettolebens: Die öden Straßen, die Langeweile, wenn die Musik mal nicht läuft. Und die toten Kinder, die willkürlich von Gangmitgliedern erschossen wurden. Anstatt zurück zu schießen, tanzen die Clowns und die Krumper ihren Frust weg. Und sie beten. So sexy wie sie tanzen, so lammfromm sind sie, was Gott betrifft. Viele von ihnen sind tiefchristlich und gehen regelmäßig in die Kirche. Es wirkt ziemlich bizarr, wenn dasselbe Mädchen, das gerade hochlasziv ihr Hinterteil vor der Kamera geschüttelt hat, im nächsten Moment den Erlöser anbetet. Doch ihr Gott scheint kein Problem damit zu haben, wenn sie und ihre Freunde sich halbnackt in Ekstase tanzen. Also bekommt er auch nichts ab von ihrer Wut auf ihr Leben und das Ghetto. In RIZE geht es um Subkultur mit einem sehr guten Soundtrack. Vor allem aber geht es um das Heil der Schönheit. Egal, wie hässlich und brutal deine Wirklichkeit ist – stell mit deinem Körper gute Dinge an und es wird auch deinem Geist gut tun. Der Film "RIZE" läuft seit Donnerstag im Kino.

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