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Schwangerschaftsmythen nerven

Illustration: Pia Wermuth

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Filme zeigen die schwangere Frau gerne als ein Wesen, das sich benimmt wie eine diebische Hausratte. Es isst Eiskartons leer, Aufbackpizza halbgar vom Blech und dann noch Schokoladenkekse hinterher. Mein Umfeld erwartete also, dass auch ich in meiner Schwangerschaft zumindest einen Essens-Spleen entwickeln sollte. Idealerweise: Spreewaldgurken mit Sprühsahne. Ich sollte sie wohl auf einem Fernsehsessel verzehren und mir dazu Frauen im Fernsehen angucken, die das gleiche tun. Denn so verrät eine Frau, zumindest in der Fernsehrealität: Ich bin schwanger! 

Natürlich ist nicht automatisch real, was im Fernsehen gezeigt wird. Als Schwangere sitzt man  beispielsweise viel häufiger bei der Ärztin als auf dem Fernsehsessel und die Ärztin will fast jedes Mal entweder Urin, Blut oder beides. Was dazu führt, dass man sich eher sehr gesund denn ungesund ernährt. Denn wer will schon mit erhöhten Cholesterinwerten bei der Ärztin sitzen, und damit zugeben, sein prinzipiell zartes Ungeborenes mit Sprühsahne, Pizza, Keksen und literweise Eiscreme zu ernähren? Vor allem nach den Warnungen, die man zu Schwangerschaftsbeginn ausgehändigt bekommt: Zu viel Zucker und Sie könnten eine Schwangerschaftsdiabetes entwickeln! Rohmilchkäse? Rohes Fleisch? Roher Fisch? Lebensmittelvergiftungen! Und achten Sie bloß darauf, dass Sie alle Spurenelemente beisammen haben!

Eine Schwangerschaft ist also wirklich nicht der ideale Zeitraum, um ein „Ratte im Hausmüll“-Leben zu beginnen. Warum werden schwangere Frauen so dargestellt? Und warum hat die Darstellung einer Schwangeren so oft etwas Tierisches? Denn auch Schwangerschaftsforen und -ratgeber beschreiben Frauen zwar nicht als die filmische „Hausratte“, dafür aber als eine Art „Tier mit geschärften Sinnen“. So heißt es da zum Beispiel:

„In der Schwangerschaft verbessert sich Ihr Geruchssinn“

Wirklich? Schwangerschaft und Tod sind die beiden wohl normalsten aller Vorkommnisse im Leben eines Menschen und trotzdem die, über die wir am wenigsten wissen. Kein Wunder, dass man da jeden Mythos begierig aufnimmt. Auf die „Ratte im Hausmüll“-Nummer konnte ich zwar gut verzichten, aber meinen Körper erleben, wie er 24/7 instinktsicher die Frucht im Bauch verteidigt? Nicht uninteressant. Allerdings konnte ich auch hier keine Veränderung an mir bemerken. Ich wollte sie aber. Also begann ich, mich zu testen. Als Jägerin! Also im Supermarkt. 

Oder noch genauer im Supermarkteingang, wo ich zur Seite trat, den Kopf leicht reckte und schnupperte, ob ich die nahe Obst- und Gemüseabteilung nicht schon von hier aus riechen könnte, aber ich roch die Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkteingang nicht, ich roch die Obst- und Gemüseabteilung erst, als ich mittendrin stand. Wie so ein ganz normaler Mensch eben. Unfassbar enttäuschend!

Mit zunehmender Rundbäuchigkeit – zumindest die tritt wirklich bei fast allen Schwangeren ein – verzichtete ich auf diesen öffentlichen Geruchstest, da ich befürchtete, vorbeilaufende Menschen könnten sich sonst eine neue Schwangerschaftserwartung zusammendichten. Etwa: Schwangere Frauen bekommen Atemprobleme in Supermarkteingängen. Was sie sich dann natürlich rasend schnell verbreitet hätte in Foren, Fluren, Filmen, und schwangere Frauen weltweit im vorauseilenden Gehorsam dazu gebracht hätte, reihenweise in Supermarkteingängen zu hyperventilieren. Also verlegte ich meine Geruchstests auf einen privateren Rahmen wie in der Dusche, wo ich fortan an meinem Duschgel schnupperte. Denn auch hier gilt angeblich: 

„Du wirst dein Duschgel bald nicht mehr riechen können. Künstliche Duftstoffe werden Übelkeit bei dir auslösen“

Nun muss ich leider zu Protokoll geben, dass mein Duschgel auch nach über 200 Tagen Schwangerschaft immer noch „seifig“ und „ein bisschen nach Kindheit“ riecht und ich das immer noch als sehr angenehm empfinde. Das ist soweit auch völlig in Ordnung, finde ich. Genauso, wie ich den folgenden Schwangerschaftsmythos völlig in Ordnung gefunden hätte:

„Gerüche von Kaffee, Wein und Bier wirst du als giftig, schlecht und übelriechend identifizieren“

Hier trat leider das absolute Gegenteil ein. Bier begann mit jedem schwangerschaftsbedingten Tag Abstinenz noch besser zu riechen. Mittlerweile bin ich so weit, dass Menschen mit Bieratem mir sehr gerne direkt ins Gesicht atmen dürfen. Über dieses Phänomen allerdings liest man in keinem mir bekannten Schwangerschaftsratgeber. 

„Du wirst den besten Sex deines Lebens haben“

Die meisten Erwartungen aber werden von anderen an einen herangetragen. So traf ich im Rahmen meines Jobs einen weiblichen Popstar, der insgesamt sehr begeistert ist von Schwangerschaften. Der Popstar sagte mir, dass ich mich auf den besten Sex meines Lebens freuen könne, denn nun endlich müsse ich mir beim Geschlechtsakt keine Gedanken mehr um meine Figur machen! „Sex ohne Bauch einziehen!!!“, sagte sie mit vielen Ausrufezeichen, und ich sagte erstmal nichts. Außerdem, erklärte sie weiter, ab dem zweiten Trimester sei „dort unten“ alles derart gut durchblutet, dass man noch viel empfindsamer sei.

Hierzu habe ich Folgendes anzumerken: Schwanger mit jemandem zu schlafen ist, wie einen Hund während des Beischlafs im Zimmer zu haben – nur noch ein bisschen invasiver. Denn in dem speziellen Fall hat man den „Hund“ – also den eher ratlosen Dritten – halt direkt im Bauch. Es ist vielleicht eine der natürlichsten Sachen der Welt, aber komisch ist sie doch. 

„Du wirst einen Nestbautrieb verspüren“

Am hinterhältigsten ist die Erwartung des sogenannten Nestbautriebs. Hier ist die Frau den Ratgebern zufolge wieder ganz Tier, allerdings ein allzu reinliches, nützliches Tier. Es will alle Zimmer putzen, die bereits gekaufte Babywäsche waschen oder liebevoll das Kinderzimmer einrichten. Mit einer ebenfalls schwangeren Freundin saß ich vor wenigen Wochen auf dem Sofa ihres völlig durchschnittlich gereinigten Wohnzimmers, in dessen hinterletzten Ecke ein schwarzer Kinderwagen stand. Sie sagte, sie hasse eigentlich, dass er da stehe, und musste mir das gar nicht weiter erklären. Denn Kleidung und Möbel für ein Wesen zu kaufen, das noch nicht atmet, fühlt sich mitunter seltsam an. Einkaufen für einen eingebildeten Freund! Dazu gesellt sich die Angst, dass man Bett oder Strampler am Ende gar nicht brauchen und dann auch nicht in der Lage sein wird, diese Dinge wieder zu verkaufen, sondern sie eines Tages unter Tränen wegschmeißen muss. Zudem ist man natürlich auch ziemlich ratlos. Braucht ein Wesen, das garantiert nicht laufen kann, wirklich Schuhe? Man weiß kaum etwas. 

Fakt scheint also: Schwangerschaftshormone führen nicht immer Persönlichkeitsveränderungen herbei, und wirklich nicht dazu, dass man gerne putzt, einkauft und aufräumt, wenn man das nicht vorher schon gerne gemacht hat. Im Gegenteil: Der Prozess einer Schwangerschaft im Bauch ist – und das ist doch sehr nachvollziehbar  – mitunter ein wenig Kräfte zehrend, so dass man eher noch lieber liegen bleibt und schläft, statt zu putzen, einzukaufen und aufzuräumen.

Die Mythen, mit denen man konfrontiert wird, verwirren, wecken unrealistische Erwartungen und machen nicht selten auch Angst. Es ist also wirklich nötig, einmal zu sagen: Wenn man das Glück hat, eine gesunde Schwangerschaft zu erleben, passiert im Zweifel einfach gar nichts – außer, dass man rund wird.  

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