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Sieben Menschen und ihre Sexting-Erfahrungen

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Nein, klug ist das alles natürlich nicht. Spätestens seit im vergangenen Sommer die Nacktselfies von Jennifer Lawrence und den dutzenden anderen Prominenten aus der iCloud gestohlen wurden, dürfte jedem das Risiko bewusst sein. Wer „sextet“, also expliziten Content übers Smartphone verschickt, handelt unvorsichtig. Aber wer ist schon immer total vernünftig, wenn es um Sex geht?

Die Mehrheit der 18- bis 24-Jährigen offenbar nicht. Im letzten Jahr ergab eine Umfrage in den USA , dass 70 Prozent von ihnen aufreizende Nachrichten oder Fotos auf dem Smartphone empfangen. Bei Teenagern ist Sexting die neue „first base“. Es hat also das Küssen als ersten Checkpoint auf dem Weg zum echten Sex ersetzt. Sagen Soziologen aus den USA, wo man die Etappen bis zum Geschlechtsverkehr traditionell in Baseball-Metaphern verpackt. Nein, man muss es nicht mögen, seine Tagträume in Echtzeit mit jemandem zu teilen – aber unsere Smartphones machen es möglich. Also wollten wir wissen, wie diese Möglichkeit genutzt wird. Und was daran so faszinierend ist.

Daniel, 30, Arzt

Ich verschicke eigentlich kaum Fotos von mir selbst, bekomme aber sehr viele von Mädchen. Wenn ich mich auf Tinder mit einer gut verstehe, wechseln wir bald zu Whatsapp – auf Tinder kann man ja keine Fotos verschicken. Ich bitte da eigentlich nie drum, die meisten Mädels schicken die Fotos von allein. Meistens ist es erst mal der Nacktfoto-Klassiker: Oben ohne, der eine Arm hält das Handy schräg nach oben, der andere drückt die Brüste so an den Oberkörper, dass sie größer aussehen. Wenn sie unbedingt wollen, schicke ich den Mädchen auch ein Foto von mir. Immer das gleiche übrigens – da stehe ich splitternackt mit einem Sektglas in der Hand vor dem Schlafzimmerspiegel. Das wirkt offenbar unverklemmt und selbstironisch auf die und hat schon oft funktioniert. Wenn ich die Mädchen dann in echt treffe, sind wir gleich auf einem sehr lockeren Flirt-Niveau. Fotos von Vaginas bekomme ich übrigens nie. Irgendwie denken Mädchen wohl, dass die nicht fotogen sind. Dabei ist das doch Unsinn!

 

Jana, 24, Philosophie-Studentin

Sexting ist geil. Punkt. Und eigentlich würde ich gerne nicht mehr dazu sagen – wenn da nicht dieses Scheißgefühl wäre: Wer liest die anzüglichen SMS, die ich meinem Freund schreibe? Wer sieht die Nacktfotos, die ich ihm schicke? Man hört ja immer wieder, dass sich die Dateien auch bei Diensten wie Snapchat gar nicht dauerhaft selbst zerstören, sondern auf riesigen Servern irgendwo in Amerika gespeichert bleiben. Seit Edward Snowden sollte man eh davon ausgehen, dass es keine völlig private Kommunikation mehr gibt – irgendein Geheimdienst liest oder lauscht immer. Im Zweifel ein 21-jähriger, postpubertärer Informatik-Crack, der bei der NSA gelandet ist, weil er gut mit Computern kann, und der mit seinen Kollegen dreckige Witze über meine Brüste reißt. Wenn ich mir das nur vorstelle, werde ich schon sauer. Und an Ereignisse wie das im vergangenen Jahr, als plötzlich hunderttausende private Bilder im Netz standen, will ich erst gar nicht denken. Wer regelmäßig sextet, muss den Kopf ein Stück weit ausschalten. Aber das Blut strömt in solchen Momenten ja ohnehin durch andere Körperteile.

 

Leonie, 27, Werbetexterin

Ich habe mit dem Sexting angefangen, bevor ich überhaupt ein Handy hatte, geschweige denn ein Smartphone. Mit meinem ersten Freund habe ich mir in der Schule Briefe geschrieben, in denen wir uns erzählt haben, was wir am Nachmittag miteinander anstellen wollen. Das war mitunter ziemlich explizit. Wir haben die Zettel in Umschläge gesteckt und von unseren Freunden und Freundinnen quer durchs Klassenzimmer reichen lassen. Ich weiß nicht, ob es meinem Freund genauso ging, aber für mich war der Nervenkitzel noch wichtiger als der Inhalt. Das ging so lange gut, bis unser Mathe-Lehrer einen der Briefe einkassiert hat. Eigentlich hat er immer alle Zettel vorgelesen – unseren nicht. Ich habe mich danach ein paar Wochen nicht mehr getraut, mich in seinem Unterricht zu melden, so peinlich war mir das. Diese Erfahrung hat mich aber nicht allzu lange vom Sexting abgehalten. Das Schuljahr war kurz danach eh vorbei, dann kamen die großen Ferien, neue Lehrer und neue Zettel unter der Bank. Wenig später habe ich mir mein erstes eigenes Handy gekauft – eigentlich viel besser für kurze, anzügliche Nachrichten geeignet als alle analogen Wege. Das habe ich aber erst viel später realisiert, als ich ein Auslandssemester in Amerika gemacht habe. Dort wurde bereits fleißig gesextet, als hier noch niemand davon geredet hat, und dank Smartphones nicht nur in Form von Texten, sondern auch mit Fotos. Das war für mich eine ganz neue Erfahrung und noch mal ein ganzes Stück aufregender. Leider hält mein aktueller Freund nicht allzu viel davon, aber ich bin gerade dabei, ihn zu überzeugen

Jonas, 29, Kunsthistoriker

Angefangen habe ich mit dem Sexting vor genau einem Jahr. Da bekam ich zu Weihnachten ein Smartphone, mit dem ich endlich Fotos machen und empfangen konnte. Meine Freundin schickte mir am selben Abend noch ein Bild von sich in neuer Unterwäsche vor dem Spiegel, die typische Pose dieser Selfie-Tussis auf Instagram. Bis heute sind alle Nackt- oder Halbnacktfotos, die wir uns schicken, ironisch. Man kann sich ja unmöglich ernst nehmen, wenn man seinen Körper so in Szene setzt. Aber trotzdem macht es uns irgendwie an: Du bekommst ein superprivates Bild, das nur zwischen dir und deinem Partner ausgetauscht wird und weiß Gott was auslösen könnte, wenn es öffentlich werden würde. Aus diesem Grund hatte ich am Anfang eine Regel: Wenn mein Schwanz auf dem Foto ist, darf mein Gesicht nicht gleichzeitig zu sehen sein. Wer weiß, wo das Foto mal landet, wenn wir nicht mehr zusammen sind. Aber die Regel habe ich schon nach ein paar Wochen gebrochen. Weil es so wahnsinnig lustig aussah, oben ohne vor dem Spiegel in der Sportumkleide und mit total ernstem Gesichtsausdruck meinen Penis raushängen zu lassen. Wir wohnen in derselben Stadt, haben es also eigentlich gar nicht nötig, uns übers Handy scharf zu machen. Es ist eher eine Art Running Gag in unserer Beziehung: Wenn ich irgendwo ohne sie unterwegs bin, schicke ich ihr typische Touristenselfies von mir, vor Bergpanorama oder berühmten Bauwerken, und lasse dabei wie versehentlich meinen Penis aus der Hose hängen. Sie macht das gleiche ab und zu mit ihren Brüsten.   Ist das schon Sexting oder einfach ein seltsamer Humor? Keine Ahnung, aber irgendwie finden wir diese ironische Brechung von Nacktheit schon ziemlich scharf.

 

Denise, 27, PR-Beraterin

 

Halb herunter gelassene Jeans. Eine Hand, die in den Slip gleitet. Brüste, Brüste, Brüste aus zwei Dutzend unterschiedlichen Perspektiven. Meine ersten Werke erinnerten an Billigposter und Klo-Magazine, die ich aus Jungen-WGs kannte – nur mit meinen eigenen Körperteilen in der Hauptrolle. Mein damaliger Freund und ich hatten 4000 Kilometer zwischen uns. Wenn wir ein Jahr Fernbeziehung überleben wollten, mussten wir uns was einfallen lassen. Das erste Bild schickte ich ohne Vorwarnung los. Es machte mich an, mir vorzustellen, was er fühlt, wenn er meine Nachricht aufmacht – und plötzlich meinen nackten Körper sieht. Mit der Zeit warf das improvisierte Studio aus Bett, Laken, Nachttischlampe und Handykamera immer elaboriertere Kreationen ab. Ich fand das äußerst albern. Aber auch ziemlich gut. Nicht ganz so enthusiastisch empfing ich die Nacktbilder meines damaligen Freundes. Vermutlich, weil er genau eine Kameraeinstellung bevorzugte: Riesenmonsterpenis im Vordergrund, an dem sich im Hintergrund ein kleiner Mann mit heruntergelassener Hose festhält. Gesagt habe ich es ihm aber nie: Vielleicht machte es ihn ja genau so an, seine Nacktbilder zu verschicken, wie mich. Ich wollte ihm das nicht kaputt machen. Leider bleibt der Penis bis heute das Lieblingsmotiv der Männer, die mir Nacktbilder schicken. Dabei wirken Schultern, Brusthaare oder ein Bauch-V viel mehr auf mich!   Die Fernbeziehung überstanden mein damaliger Freund und ich übrigens. Wir trennten uns erst mehr als ein Jahr danach. Ich mache mir keine Sorgen, dass er meine Nacktbilder gegen mich verwenden könnte – dazu kenne ich ihn zu gut und vertraue ihm zu sehr. Aber manchmal ist das schon komisch zu wissen, dass er jederzeit wieder meine Brüste angucken könnte.

 

 

Nora, 25, Designerin

 

Meine beste Freundin hat mir vor einigen Monaten erzählt, dass sie und ihr Freund sich Nacktfotos und ab und zu auch Videos schicken, wenn sie sich ein paar Tage nicht gesehen haben. Ich habe überhaupt nicht verstanden, wozu das gut sein soll: Warum soll man sich heiß machen, wenn man sich in dem Moment eh nicht haben kann? Ich koche mir doch auch kein Drei-Gänge-Menü, wenn ich gerade vom Zahnarzt komme und nichts essen darf. Wenige Wochen später habe ich auf einer Party in Berlin Til kennengelernt. Wir sind noch am ersten Wochenende im Bett gelandet. Er arbeitet in Hamburg, ich wohne in München. Gleich am Montagmorgen hat er mir ein Foto von sich beim Duschen geschickt, nackt und offensichtlich sehr erregt. Der Text: „Ich will dich. Jetzt.“ Das fand ich in dem Moment unglaublich geil, für mich war das wie ein Erweckungserlebnis. Ich habe ihn sofort angerufen und hatte kurz darauf das erste Mal in meinem Leben Telefonsex. Noch vor der Arbeit. Seitdem sexten wir regelmäßig, wenn wir uns am Wochenende nicht in echt sehen können. Videos haben wir noch nicht ausprobiert, aber auch das ist nur eine Frage der Zeit und der Gelegenheit.

 

 

Thilo, 27, Chemiker

 

Ich bin bisexuell und lebe in einer offenen Beziehung. Meine Freundin Jana weiß, dass ich ein paar Mal im Jahr Sex mit Männern habe und findet das okay, zweimal war sie sogar schon mit dabei. Mit Jana kann ich mir Sexting überhaupt nicht vorstellen, das würde gar nicht passen. Wir sehen uns eh sehr regelmäßig, da bleibt genügend Gelegenheit, um uns in echt zu spüren.   Mit meinen Affären (ich nenne sie so, obwohl alle Beteiligten davon wissen) sexte ich dagegen regelmäßig. Angefangen haben wir mit virtuellem Sex über Skype oder andere Video-Messenger. Das Problem dabei: Es müssen beide gleichzeitig online sein und Zeit haben. Deshalb sind wir dazu übergegangen, uns erotische Fotos per MMS zu schicken.   Mittlerweile nutzen wir fast nur noch Snapchat. Ob sich die Bilder und Videos wirklich selbst zerstören oder nicht doch irgendwo gespeichert bleiben, weiß ich nicht. Aber zumindest sind sie dann nicht mehr auf dem Handy meines Sexting-Partners. Selbst wenn wir uns total zerstreiten sollten, brauche ich keine Sorgen haben, dass er mir plötzlich droht, die Fotos zu veröffentlichen. Sicher ist sicher. Ich glaube, dass Schwule oder Lesben generell öfter sexten als heterosexuelle Paare. Zumindest ist das in meinem Bekanntenkreis so. Vermutlich hat das etwas damit zu tun, dass Homosexuelle in der Öffentlichkeit oft schon schief angeschaut werden, wenn sie nur Händchen halten oder es wagen, sich zu küssen. Deshalb haben Schwule das Internet schon früh dafür genutzt, um sich zu One-Night-Stands zu verabreden. Und wer schon beim Online-Dating seiner Zeit voraus war, ist das anscheinend auch beim Sexting.

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