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Deine, meine, unsere Termine

Foto: paperized / photocase.de

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An manchen Tagen überkommt mich das siedend heiße Gefühl, dass ich gerade eigentlich irgendwo anders sein müsste. Auf einem Geburtstag, einer Veranstaltung, einem wichtigen Treffen, und dass ich es einfach vergessen habe. Dann stürze ich zum Kalender und kann (meistens) erleichtert sein oder muss (manchmal) überstürzt aufbrechen. Ohne meinen Kalender wäre ich verloren. Ich habe nicht übertrieben viele Termine, ich kann sie mir nur so schrecklich schlecht merken. Noch weniger kann ich mir die Termine anderer merken, auch nicht die meines Freundes. Viel zu oft vergesse ich, dass er länger irgendwo hinmuss, irgendetwas vorbereiten muss, an einem Tag sehr eingespannt ist. Wenn ich dann vorsichtig nachfrage, was noch mal anstand, ist da immer diese leichte Enttäuschung in seiner Stimme, wenn er „Aber das habe ich dir doch vorige Woche schon erzählt“ sagt. Darum gibt es in unserem Leben jetzt etwas, von dem ich nie gedacht hätte, dass wir es mal haben würden: einen gemeinsamen Google-Kalender.

Ein gemeinsamer Kalender, wie er in vielen Paar-Wohnungen an der Küchenwand hängt, war für mich immer der Inbegriff der Spießigkeit. Er erinnert mich an diese seltsamen Familienkalender mit vier oder fünf nebeneinander verlaufenden Spalten, in die man oben „Papa“, „Mama“, „Nils“ und „Lena“ einträgt und daneben womöglich noch „Familien-Termine“. Er ist die papiergewordene Abhängigkeit, das Abbild eines durchchoreographierten Lebens, dem jede Spontaneität verlorengegangen ist. Dass wir einen Online-Kalender haben, macht das Ganze nicht besser und ist nur dem Umstand geschuldet, dass wir nicht in einer gemeinsamen Wohnung und noch nicht mal in derselben Stadt wohnen. 

Ich selbst war es, die den gemeinsamen Kalender vorgeschlagen hat, inspiriert von meinem Kopf, der keine Termine behalten kann. Gleichzeitig kam mir diese Idee so absurd vor und ich rechnete so fest mit Gegenwehr, dass ich sofort fragte, ob das „zu kontrollsüchtig“ von mir sei. Mein Freund fand das nicht. Also luden wir uns gegenseitig zu unseren Kalendern ein und vereinten sie. Dort stehen nun seine Termine in rot und meine in violett und man sieht auf den ersten Blick, wann sich etwas überschneidet und wann Lücken für gemeinsame Zeit sind, wer an welchem Wochenende den anderen besuchen oder eben nicht besuchen kann. Diese Ansicht voller Daten und farblich gekennzeichneter, knapp benannter Termine ist das Unromantischste, was ich jemals gesehen habe, und ich kann mich noch immer nicht so recht entscheiden, was ich davon halten soll.  

Zum einen macht mir der Kalender Angst. Werde ich jetzt nie wieder irgendwem spontan zum Feierabendbier zusagen, ohne vorher nachzuschauen, ob das eventuell der einzige Abend in dieser Woche ist, den ich terminfrei mit meinem Freund verbringen kann? Wie viel Planung verträgt Liebe denn? Und verschluckt dieser Kalender vielleicht den letzten Rest Unabhängigkeit in unserer Beziehung? Immerhin erzeugt er dieses große „Wir“, das man nur sehr ungern ausspricht: „WIR haben da Zeit / können da nicht / kommen gern!“ Ich fürchte mich davor, auf eine Einladung hin in den Kalender zu schauen und sofort für uns beide antworten zu können. Wenn ich meinen Freund erst fragen muss, ob er Zeit hat, kann er viel leichter absagen. Natürlich will ich auch weiterhin erstmal nachfragen, aber durch die gemeinsame Terminübersicht wird es einfacher, diesen Schritt auszulassen, es verführt zur Kontrolle über die Planung des anderen. Es verführt dazu, so zu werden, wie man nie sein wollte.  

Andererseits habe ich das Gefühl, diese Übersicht zu brauchen. Zum Beispiel, um mir das Leben meines Freundes vorstellen zu können. Er hat keinen festen Tagesablauf und ist viel unterwegs. Ich wäre gerne zu null Prozent kontrollsüchtig, aber ich mag es zu wissen, ob er sich gerade in einem klimatisierten Büro oder in einem Park mit akuter Heuschnupfengefahr aufhält. Ich mag es, am Abend gleich die richtigen Fragen stellen zu können, weil ich ja weiß, was er gemacht hat. Und ich mag es ebenfalls, unsere Termine vereinbaren zu können. Wenn ich beispielsweise sehe, dass er die kommenden drei Wochenenden Termine in seiner Stadt hat, wir uns also nur sehen können, wenn ich zu ihm fahre, muss ich eventuell auf eine Geburtstagsparty in meiner Stadt verzichten und weiß das früh genug. So ungern ich es zugebe, aber eine Beziehung (und besonders eine auf Distanz) braucht Planung.  

Als Letztes ist da noch ein schönes Gefühl, das ich trotz unromantischer Tabellenästhetik und trotz aller Angst vor Kontrollsucht und Spießigkeit beim Anblick des Kalenders habe: das heimelige Gefühl, etwas zu teilen, ein gemeinsames Leben zu führen, auf den anderen zu achten, Interesse zu haben. Wenn die Angst vor der Kontrollsüchtigen in mir zu groß wird, dann denke ich daran und dass ich bis jetzt noch nie im Namen meines Freundes einen Termin zu- oder abgesagt habe. Und wenn selbst das nicht hilft, dann sage ich mir eben: Es ist nur ein Kalender. Es sind nur rote und violette Kästchen, die uns nicht daran hindern werden, weiterhin spontan zu sein. Hoffentlich.

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