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Der Mensch im Affen

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Vor ein paar Tagen veröffentlichte die Frankfurter Rundschau eine Meldung der Nachrichtenagentur AP: Jungen spielen gerne mit Autos und Baggern, Mädchen lieber mit Puppen. Solche Geschlechter-Stereotypen sind nicht spezifisch menschlich. Wie Forscher laut einem Bericht des britischen Wissenschaftsmagazins „New Scientist“ jetzt feststellten, gibt es ähnliche Verhaltensweisen bei Affen. Eigentlich müsste man annehmen, dass der Artikel wie folgt weiter geht: „Eine repräsentative Befragung unterschiedlicher Primatengruppen ergab, dass auch Schimpansen ihre Geschlechterverhältnisse mit einem komplexen Kategoriensystem ordnen. In ausführlichen Einzelgesprächen klagten Bonobomännchen über ihre Weibchen, die sich in ihrer Freizeit exzessiv mit Diäten und Celebrities befassten. Schimpansenfrauen warfen hingegen ihren männlichen Artgenossen vor, sich eigentlich nur für Dosenbier und Tischfussball zu interessieren.“ Natürlich geht der Artikel anders weiter. Er handelt von einem Experiment, das angeblich beweist, dass Frauen und Männer in ihren Hobbys biologisch festgelegt seien und nicht sozial geprägt. Und zwar war das so: Einer Gruppe Rhesus-Affenkindern wurden verschiedene Spielzeuge vorgesetzt, ein Auto und eine Plüschpuppe. Die Affenboys beschäftigten sich länger und ausführlicher mit den „typisch männlichen“ Spielsachen; die kleinen Äffinnen spielten hingegen sowohl mit Puppen als auch mit Baggern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Beweis: Rhesusaffen sitzen lieber auf Jungsschultern! Genau wie Jungs! Die Schlussfolgerung der zuständigen Tier-Psychologen und der Medien, die über die Studie berichten, ergibt sich von selbst. Primaten sind genau wie wir! Frauen nämlich flexibel und fürsorglich, Männer haben in erster Linie Interesse an Sachen mit Rädern. An sozialem Druck, Erziehung, Werbung kann das nicht liegen, schließlich waren die Äffleins keinem gendergerechten Marketing ausgesetzt und auch nicht von ihren Eltern zu einer bestimmten Geschlechtsidentität erzogen worden. Und in einem ähnlichen Experiment hatten 80 Meerkatzenkinder ein ähnliches Verhaltensmuster an den Tag gelegt. Das wirft natürlich die Frage auf: Was zur Hölle sind eigentlich genau Meerkatzen?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diese possierlichen Tierchen! Interessanter als die Gewohnheiten verschiedener Affenarten ist die Art und Weise, wie diese Sorte Meldungen verfasst werden - und zwar nicht nur von den Redakteuren dieser bestimmten Zeitung, sondern durchgehend von allen Medien, die über das Experiment berichteten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und auch dieser Affe nennt sich Meerkatze. Bild dpa Diese erfüllt nämlich offenbar nur einen Zweck: Die ohnehin enorm starren Vorstellungen, die wir von Frauen und Männern haben, mittels angeblich neutraler, wissenschaftlicher Ergebnisse in diskursiven Zement zu gießen. Dass die Farbe oder Funktion von Spielzeugen Affen möglicherweise ganz anders ansprechen als Menschen, dass es auch unter Affen so etwas wie eine Gruppendynamik geben kann – bleibt unerwähnt. Und auch die Formulierungen, in welche die Nachricht gegossen wird, sprechen für sich: Es fängt an mit der Aussage, dass Jungen bestimmte Vorlieben haben und Mädchen andere. Dass es sich dabei eigentlich nicht um eine unumstößliche Tatsache handelt, sondern um ein Klischee, wird nicht gekennzeichnet. Ein Zusatz wie „viele Leute glauben“ oder „eine gängige Annahme ist“, hätte dem Ganzen gut getan. Weiter geht es mit der – ebenfalls ziemlich gewagten – Aussage, dass Stereotypen auch im Tierreich existierten. Nun ist bisher einzig die menschliche Art bekannt dafür, sowohl Charaktereigenschaften als auch Tätigkeitsfelder nach Geschlechtern zu ordnen. Doch abgesehen davon schwingt in diesem Satz die Aussage mit: Dann ist ja alles in Ordnung – wir können uns wieder zurück lehnen, was die Darstellung und Bewertung von Geschlechtern betrifft. Wir müssen die Vorstellung, dass Frauen „von Natur aus“ weich und nachwuchsorientiert seien, und Männer mit Technik mehr anfangen können als mit Babys, nicht über Bord werfen, auch wenn das in unserer Gesellschaft gefragt ist. Denn wenn die Tiere sich wie ein Klischee verhalten, dann ist uns das Klischee in die DNS eingepflanzt. Und wenn es die DNS befiehlt, ist Widerstand zwecklos. Adieu Aufklärung, tschausen Freiheit des Willens. See you back in der Höhle! Denn aus der, so sieht es die populärwissenschaftliche Berichterstattung, sind wir eigentlich nie so richtig raus gekommen.

Text: meredith-haaf - Fotos: ap, dpa

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