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Die Beziehungen der Anderen

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Neben der Massendynamik gibt es noch ein Phänomen beim Fußball und das geht so: So ziemlich jeder der bei einem Spiel zuschaut, kann die Lage auf dem Spielfeld nach eigener Überzeugung wesentlich besser einschätzen als alle beteiligten Spieler. Bei den Liebesbeziehungen anderer Leute verhält es sich nicht wesentlich anders.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Christian Wulff und seine Ehefrau im Landtags-Wahlkampf 2003; Foto: AP Meine Oma zum Beispiel. Sie wünscht sich für mich nichts sehnlicher, als dass ich wieder mit dem Jungen zusammen kommen möge, der mein erster richtiger Freund war. „Der war einfach der Richtige für dich“, teilt sie mir bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit mit. Genauso oft habe ich schon versucht ihr zu erklären, dass besagter Ex-Freund und ich mittlerweile nicht nur ein paar Jahre älter geworden sind, sondern in dieser Zeit auch jegliche Fähigkeit verloren haben, uns länger als eine halbe Stunde zu unterhalten. Es hilft nichts – meine Oma ist felsenfest davon überzeugt, dass wir füreinander geschaffen sind und uns das früher oder später auch noch klar werden wird. Oder mein guter Freund S. Jahrelang pflegte er mit einem Mädchen ein Verhältnis, welches nach Ansicht unseres gesamten Bekanntenkreises nicht so sehr einer Beziehung, sondern eher dem Vorhof zur Hölle glich. Als er sich endlich trennte, versank S. in einer monatelangen Depression, weil er sich ohne seine große Liebe zutiefst einsam fühlte. Wir anderen ließen dagegen heimlich die Sektkorken knallen, weil unser Freund es geschafft hatte, sich seine Freiheit endlich zurück zu erobern. Wo eine Liebesbeziehung ist, da sind auch immer Zuschauer. Jeder von ihnen nimmt Anteil am Geschehen – ob als Fan oder Gegner. Und so ziemlich jeder hält sich für einen Experten. Das gilt auch und ganz besonders für öffentliche Paare. Tom Cruise und Katie Holmes etwa sind seit Monaten Objekt unendlicher Spekulationen und Werteurteile. Wir kennen sie zwar nicht persönlich, trotzdem hat jeder, der sich halbwegs für Promigeschichten interessiert, eine Meinung zu ihrem Verhältnis. Die einen machen sich große Sorgen, um das Mädchen in den Klauen des verrückten Scientologen, die anderen machen sich höchstens lustig darüber, wie jemand so doof sein kann, mit diesem Clown ein Kind zu zeugen. Die Beziehungsteilnehmer selbst bekommen von all diesen Analysen und Einschätzungen meistens wenig bis nichts mit – und wenn sie es tun, interessieren sie sich genauso wenig dafür, wie Michael Ballack für die Spielanweisungen von Heinz B. vor seinem Fernseher. Denn schließlich sind Liebesbeziehungen vor allem eins: Intim. Niemand versteht, was zwischen zwei Menschen stattfindet, die sich ineinander verlieben, genauso wenig wie jemand verstehen kann, wenn so eine Liebe endet. Es ist ja selten genug, dass die Verliebten das selbst begreifen. Und darin liegt wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass wir – aller offensichtlichen Überflüssigkeit unserer Erklärungs- und Lösungsversuche immer wieder Anteil nehmen und Rat geben wollen. Ich glaube, wir bilden uns deswegen über die Liebesbeziehungen der anderen so gerne ein Urteil, weil wir uns da sicher fühlen dürfen. Probleme im eigenen Liebesleben überfordern uns eher. Wenn etwas schief läuft, merken wir es zwar vielleicht, aber besser lösen können wir es deshalb noch längst nicht. Das ist manchmal ziemlich demütigend und teilweise auch schmerzhaft. Bei den Beziehungen der anderen fühlen wir uns sicher – wir sind schließlich weder für den Verlauf noch für den Ausgang verantwortlich und haben trotzdem das Gefühl, dabei zu sein.

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