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Du und . . . die Fernbeziehung

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dirk-schmidt Phase Eins - Das große Vermissen Der Tag, an dem ihr beide drei Stunden vor dem Weckerklingeln aufwacht, ist der Abschiedstag. Tendenziell würdest du gerne sofort losheulen, stattdessen destilliert ihr in die drei gewonnenen Stunden noch mal ein Partnerschaftskonzentrat: innige Gespräche, innige Liebesschwüre, inniger Sex. Selten ist dieser Abschiedssex aber richtig gut, weil ihr beide dabei möglichst hingebungsvoll und wunschlos seid– darf ja nix schief gehen beim letzten Mal für Wochen, Monate. Die ernüchternde Phase danach: Er packt seine Tasche, du liegst im Bett und schaust. Der Packende macht müde Späße, und du sagst dazu mindestens einmal den Satz: „Ach, ohne dich macht mir das hier alles keinen Spaß.“ Gemeinsam verkündet ihr die unbedingte Absicht, „keinen großen Abschied“ zu zelebrieren, schließlich seht ihr euch ja vermutlich, fast ganz sicher, in fünf Wochen schon wieder. Das funktioniert genau so gut wie die Vereinbarung, sich an Weihnachten nichts zu schenken. Am Bahnhof oder Flughafen dann wird es irgendwie hektisch und wenn ihr gut drauf seid, lässt sich hier noch mal prima ein Streit vom Zaun brechen, der dann gerade noch rechtzeitig in einer umso leidenschaftlicheren Versöhnung mündet. Ihr brecht jetzt abwechselnd zusammen. Immer derjenige, der gerade Mut gefasst hat, hilft dem Zusammengebrochenen auf die Beine. Ihr seid ein emotionales perpetuum mobile! Es findet sein Ende in anruckenden Zugrädern oder „last call“ – Gequake. Die Türen zu und alle Schleusen offen. Allein bist du jetzt zu Hause, allein wäscht du das Rotweinglas des anderen ab, so allein ist das alles, dass du doch gleich mal anrufen musst und der großen Chronik sinnloser Telefongespräche einen neuen Eintrag bescherst. Die Phase des Vermissens und vielstimmigen Anseufzens dauert nun eine Weile an. Ziemlich genau bis zu dem Tag, an dem du doch die Bettwäsche wechselst, weil sie beim besten Willen nicht mehr nach dem anderen riecht. Phase 2 – Die gute Wut In deiner neuen Bettwäsche schläft es sich gut, es ist die, die du nie benutzen darfst wenn der Freund da ist, weil er eine Satin-Allergie hat. Der mit seinen ganzen Wehwehchen! Ha, der würde hier alleine doch eingehen. Du beschließt beim nächsten Mal, wenn er kommt absichtlich die Satin-Bettwäsche aufzuziehen, und wenn er meckert, sagst du: „Mir gefällt das aber so, warum sollen wir immer nur Sachen machen, die dir gefallen?“ Das wirst du sagen. Du sagst es jetzt schon hundertmal leise vor dich hin. Ist doch wahr. Haut der Idiot einfach ab. Steht überhaupt nicht zu dir. Ist doch beziehungsunfähig. Und wenn er dann gnädigerweise mal da ist, sollst du dich immer verrenken! Du gehst jetzt alleine ins Kino, weil du dir das noch nicht entgehen lässt, nur weil der Herr Freund ausgerechnet in Scheiß-Kapstadt studieren muss. Lächerlich. Ihr streitet jetzt viel am Telefon. Wenn er anruft sagst du: „Du, es ist gleich Mitternacht, ich muss noch mal weg.“ Und sonst nichts. Nicht wohin und nicht mit wem. Soll er doch in Kapstadt mal ein schlechtes Gefühl haben. Du mobilisierst abwegige Bekannte und Freunde und hast gar nichts dagegen, wenn sie mit dir flirten. Du lässt dich betrunken machen. Das Problem ist, dass die Freunde und Bekannte ebenfalls betrunken sind und dir dann von ihrer verlorenen Liebe erzählen. Diese Liebe bist nicht du, auch wenn du das die ersten zehn Sekunden gedacht hast. Diese Liebe wird sich stattdessen zufällig morgen bei deinem Bekannten melden und sie werden schon überübermorgen in eine gemeinsame Wohnung ziehen. So was passiert dir dauernd. Es hagelt Tiefschläge. Du hast einen Freund, aber du hast keinen, das ist doch ungerecht. Diese Phase dauert, wenn es gut läuft, solange bis der andere wieder aus dem Zug hüpft und du ganz schnell alle Bekannten und Satin-Bettwäschen vergessen hast. Wenn niemand aus dem Zug steigt, wird aus Phase 2 die Phase 3 Phase 3 – Die gemeine Gleichgültigkeit Ihr redet jetzt wieder nett am Telefon, ja, ihr führt richtig gute Gespräche. Allerdings nicht miteinander sondern nacheinander, er erzählt, du erzählst, fertig. Am Anfang und am Ende sagt ihr euch noch ein paar Floskeln, aber bald nur noch: „Mach’s mal gut.“ Das sagst du zu deiner Mutter am Telefon auch. Von der weißt du allerdings noch ziemlich genau, wie sie aussieht, von dem Menschen in Kapstadt mit der umständlichen Telefonnummer, weißt du gar nichts mehr. Jetzt will er auch noch zu Besuch kommen, in drei Wochen! Du bekommst per E-Mail Fotos von ihm geschickt, auf denen er seltsame Klamotten anhat. Du schaust die Fotos nur ganz kurz an, weil du nicht länger darüber nachdenken willst. Ja, das ist dein Freund schon klar, aber muss er deswegen wirklich herkommen? Es ist doch gerade so schön ruhig und du hast so viel Zeit für dich selber - die du auch dringend brauchst. Auf den ollen Sex hast du eigentlich auch keine große Lust. Muss er wirklich hier schlafen? Das fragst du ganz nebenbei am Telefon. Da gibt es einen Höllenkrach, er schreit rum und sagt, ihm wäre jetzt alles klar und dann könnte man es ja überhaupt auch sein lassen. Du legst auf. Soll der sich doch mal beruhigen. Bis es soweit ist, diskutierst du mit Freunden und Bekannten die Vorzüge des Singlelebens, während ihr einen Hindernislauf durch den Wald macht. Das ist nämlich dein neues Hobby, das dir unheimlich viel Selbstbewusstsein gibt. Leider gibt es dabei auch ständig nasse Socken und du wirst krank. So richtig. Du liegst tagelang im Bett und kannst dich nicht bewegen. Gerade in dem Moment, in dem dein letztes Taschentuch zerfasert, deine Tapete vor lauter Luftfeuchtigkeit abgeht und dein Immunsystem final kapituliert, rumpelt es an der Tür. Herein kommt ein junger Mann, der das Fenster aufreißt, dir die Nase putzt und dich badet, nebenbei Pfannkuchen kocht und ein afrikanisches Wundermittel gegen Grippe dabei hat. Du verliebst dich natürlich sofort in ihn, was ziemlich praktisch ist, denn er ist dein Freund. Am Abend habt ihr dann auch Sex. Dieser erste Sex nach langer Zeit ist selten richtig gut, weil ihr beide dabei möglichst hingebungsvoll und wunschlos seid. Aber das wird in den nächsten Tagen besser.

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