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Joggen, Sex und mehr, als man wissen will

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Ich kann nicht mehr joggen. Also nicht, dass es mir körperlich unmöglich wäre, es ist eine psychische Blockade, die mich vom Laufen in der Öffentlichkeit abhält. Schuld ist der vergangene Sonntag im Park. Ich saß dort auf einer rotgemusterten Decke auf einer sattgrünen Wiese und wartete. Meine Freundin, die die Decke mitgebracht und dann ausgebreitet hatte, wurde in der Sekunde angerufen, in der das Rot auf dem Grün zum Liegen kam. Also platzierte ich mich auf der Decke und tat, was man um jeden Preis vermeiden soll: Ich beobachtete die Menschen um mich herum.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich erspare euch die ekligen Details der Nahrungsaufnahme in der Öffentlichkeit (euphemistisch Picknick genannt) und komme direkt zu meinem Jogger-Problem. Denn während ich ruhte und blickte, wurde ich beständig von schwitzenden Menschen umkreist, die rund um die Wiese joggten. Es liefen an diesem Sonntag im Park junge Frauen und alte Männer, dicke Jungs und schlanke Mädchen. Es liefen Menschen in hautengen Sport-Kleidern, in weiten Basketball-Shirts und einer trug sogar eine Jeans. Sie liefen als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, an einem sonnigen Wochenende durch den Park zu rennen. Irgendwann – es muss zwischen dem sechsten und achten Jogger gewesen sein – setzte sich ein kleiner aber sehr unschöner Gedanke zu mir auf die schöne rote Decke. Ich nenne ihn den Sex-Gedanken und er geht so: „Stell dir vor“, sagte der Gedanke, „wie diese schwitzenden Leute wohl beim Sex aussehen. Bestimmt gar nicht so viel anders als beim Laufen.“ Ich versuchte den Gedanken zum Schweigen zu bringen, in dem ich möglichst gedankenfrei Grashalme rupfte und von der Handfläche pustete. Es half nichts: „So hektisch“, sagte der Gedanke, lauter und direkter als zuvor, „so hektisch wie der Basketball-Typ dort hinten läuft, ist er bestimmt auch im Bett zugange.“ Ich setzte meine Sonnenbrille ab und beobachtete den Mitzwanziger im roten Chicago Bulls-Shirt wie er sich heftig mühte, seinen schwitzenden Körper in Bewegung zu halten. Dabei schien der obere Teil den unteren irgendwie zu ziehen, die Beine waren jedenfalls weit hinter dem Kopf, der die Farbe des Hemdes angenommen hatte. Die Zähne waren fest und entschlossen aufeinander gepresst. „Entspannter Sex sieht sicher anders aus“, sagte der Gedanke, ich hörte ihn lachen. Ich erklärte ihm, dass ich ohnehin nicht wissen will, wie Jungs beim Sex aussehen und winkte meiner Freundin, die weiter hinten auf einer Parkbank saß und noch immer telefonierte. Eine Blondine joggte ins Bild und ich merkte, wie mein Gedanke auf der Decke wie ein Flummi sprang. „Da, da, da“, rief er. Ich saß den Pferdeschwanz der Joggerin hüpfen, ich sah wie ihre Beine über den Schotter staksten – beides in einem Nähmaschinentempo, das den Verdacht nahe legte: die Frau will mit ihren kleinen Schritten keine Distanz bewältigen, sondern Löcher in den Boden stochern. Ich musste schmunzeln. Als meine Freundin von der Parkbank aufstand und zu mir rüber ging, war der Platz auf der Decke frei. Der Gedanke saß nicht mehr da, er ist jetzt meiner. Unabänderlich. „Was ist denn los?“, fragte sie. „Ach, nichts“, sagte ich und schaute an ihr vorbei auf ein joggendes Pärchen, das in riesigen Schritten über die Wiese federte. Und deshalb kann ich nicht mehr joggen. Ich möchte nicht, dass Menschen anhand meines Laufstils beurteilen, wie ich im Bett bin.

Text: christian-berg - Illustration: Katharina Bitzl

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