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So war's unterwegs: Che Che und Avi erzählen von ihren Reisen

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Che Che, 16, Schülerin aus der Schweiz

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Strecke: Schweiz - Schkölen - Riesa - München Treffpunkt: Hauptbahnhof München Nützlichstes Gepäckstück: Ego, Arroganz, Schlafsack und Glätteisen Mitbringsel: „Pfeffi“, den Pfefferminzlikör. Gibt‘s nur im Osten. Gelernt: Wenn‘s zur Demo nicht mehr reicht, geht nicht mehr hin - manchmal erlebt man unerwartet noch viel Spannenderes. Die Erzählung: „Eigentlich wollte ich zu diesem Zeitpunkt sagen können, dass ich gerade von der großen Dresdner Demo komme. Aber nein, alles kam anders. Von vorn: Ich befinde mich gerade mitten auf einer kleinen Rundreise. Donnerstag bin ich aus der Schweiz nach Schkölen - ein winziges Provinzkaff in Sachsen - zu ein paar Freunden gefahren, mit denen ich am Tag darauf nach Dresden auf die besagte Demo fahren wollte. Ich habe also meine Sachen dort abgeladen, mir ein Nachtlager bei ihnen eingerichtet und am nächsten Morgen sollte es gleich um vier Uhr Richtung Dresden gehen. Leider haben wir aber verschlafen. Wir waren also sowieso schon spät dran an diesem Morgen und als ob das noch nicht genug des Übels gewesen wäre, wurden wir in Riesa auch noch aus dem ICE geschmissen. Anscheinend waren wir im Besitz der falschen Fahrkarte. Dort, gerade mal eine Station vor Dresden, mussten wir also auf die nächste Bahn warten. Nach einer Stunde langen Wartens traf sie endlich ein. Wir waren in diesem Niemandsland-Bahnhof in der Kälte schon beinahe erfroren. Als wir einsteigen wollten, stellte sich der Schaffner plötzlich quer in den Eingang. Er ließ uns nicht einsteigen. Er deutete in Richtung der vielen Faschisten, die in den Gängen standen, saßen und grölten und sagte: „Kinder, die gucken euch alle schon so gierig an, wir wollen kein Unglück riskieren. Bitte fahrt zu unser aller Wohl mit dem nächsten oder dreht am besten wieder um.“ Irgendwie ja auch kein Wunder - wir mit unseren bunten Haaren und Anti-Nazi Aufnähern. Also mussten wir noch eine weitere Stunde in Riesa warten. Weil es mittlerweile sowieso zu spät für die Demo geworden war, fuhren wir tatsächlich einfach wieder zurück nach Schkölen. Beim Umsteigen am Leipziger Bahnhof mussten wir durch eine riesige Massenfestnahme von Faschisten wuseln, bis wir unseren Zug erreichten. Wir kletterten in die obere Etage und kurz bevor wir - uns endlich in Ruhe und Sicherheit wähnend - erleichtert aufatmen konnten, trauten wir unseren Augen nicht: schon wieder Faschos! Eine ganze Horde und diesmal waren wir wirklich mittendrin. Zwanzig, dreissig Faschos, die anfingen auf uns einzuschreien. Es regnete Flüche, Bier, Brot, Kekse und sogar Kotze auf unsere Häupter. Aber das passiert eben, man kann sich ja waschen. Schockierend war eigentlich nur, dass die Frauen am aggressivsten drauf waren. Ich wusste irgendwann gar nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte, so primitiv waren die uns entgegen fliegenden Sprüche („Eure Eltern sind Geschwister“) und Argumente („weil ihr Scheiße seid“). Ich habe noch nie eine so sinnfreie Machtgeilheit beobachtet. Wir haben uns lieber zurückgehalten, um nicht nachher noch besinnungslos geprügelt zu werden. Diesen Tag werde ich nie vergessen. Ich bin noch bis heute morgen in Schkölen geblieben und besuche nun ein paar weitere Freunde in München. Danach geht‘s noch kurz ins Allgäu, auch zu Freunden. Ich bin dauernd unterwegs, wie man sieht. Ich gehe viel auf Rock- und Punk-Konzerte und bin in antifaschistischen Foren im Internet unterwegs, da ergeben sich eine Menge Kontakte. Ich kaufe mir jeden Monat ein Interrail-Ticket für Deutschland und kann mir dann vier beliebige Tage aussuchen, an denen ich fahren kann wohin ich will. Als Schweizerin ist mir das ja glücklicherweise möglich. So kann ich ziemlich günstig und völlig planlos alle meine Bekanntschaften besuchen.“


Avi, 30, Verkäufer aus Israel

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Strecke: Israel - München - Israel Treffpunkt: Hauptbahnhof München. Avi macht sich nach einer Woche Urlaub auf den Heimweg nach Israel. Nützlichstes Gepäckstück: Meine Kamera Mitbringsel für Freunde und Familie: H&M Klamotten und jede Menge Fleisch- und Wurstwaren Erste Handlung zurück in der Heimat: Urlaubsfotos als Facebookset ins Internet laden, dann nach Tel Aviv fahren und ins Meer springen Die Erzählung: „Ich komme ursprünglich aus Israel und habe eine Woche Urlaub bei Verwandten in München gemacht. Meine ganze Familie kommt ursprünglich aus Russland, 1990 sind wir ausgewandert, einige nach München, andere nach Israel. Das Highlight der Woche war ohne Frage der hohe Schnee. Seit zwanzig Jahren habe ich keinen Schnee mehr gesehen! Und Schnee ist schon irgendwie ein Abenteuer, wenn man es so abstrakt und naiv betrachten kann. Man muss sich überlegen, was man anzieht - und wenn man ordentlich isoliert ist, kann man total lustige Sachen draußen erleben. Nicht nur, dass man Ski- oder Schlittenfahren kann, man kann auch noch etwas daraus bauen - als läge überall Modellbaumasse herum. Das Schönste für mich persönlich war aber vielleicht doch, einfach nach so langer Zeit wieder in München zu sein. Auch das ist Jahre her und ich war erstaunt, wie viel ich noch wiedererkannt habe. An einigen Ecken habe ich sogar dieses komische Kindheitsgefühl erlebt - wenn man plötzlich am ganzen Leib spürt, wie man die Umgebung damals empfunden hat. So viele kindhafte Erinnerungen. München ist schon schön. Alles ist so sauber und geordnet, außerdem gibt es so viele gute Modegeschäfte. Ich arbeite in Israel auch in einem Modeladen, daher liebe ich Shopping. Leider ist bei uns alles so teuer. Zwar haben wir jetzt endlich einen H&M, aber leisten kann man sich das einfach nicht. Deshalb habe hier wahnsinnig viel eingekauft, auch für meine Freunde. Fast noch besser ist aber das deutsche Essen. In München riecht es immer nach Fleisch. Überall gibt es Wurst, Wurst, Wurst und Braten. In Israel essen wir hauptsächlich vegetarisch, Hummus ist für uns wahrscheinlich das, was für euch Fleisch ist. Trotzdem freue ich mich, wieder zurückzufliegen. Israel ist meine Heimat und das Lebensgefühl ist meines Erachtens nach insgesamt ein Besseres. Bei uns bilden die Menschen eine Einheit, und zwar alle. Man lacht sich auf der Straße an, spricht sich hemmungslos an und fühlt sich daher nie alleingelassen. Hier wiederum herrscht gar keine Verbindung zwischen Fremden, im Gegenteil, eher Mißtrauen. Natürlich ist unser Land in keiner schönen Situation und überall steht Sicherheitspersonal, aber es ist nicht ansatzweise so schlimm, wie es im Fernsehen dargestellt wird. Die zeigen immer nur Gewalt, dabei ist das der winzigste Bruchteil unseres Alltags. Wir sind fröhliche, gelassene Menschen, viel entspannter als viele Deutsche. Was sollen wir uns in Israel auch über Pläne den Kopf zerbrechen, wir wissen doch sowieso nicht, was morgen kommt. Daran liegt das. Wenn ich Israel irgendwann doch einmal verlassen sollte, dann nur für Australien. Ich war zwar nie dort, aber ein Freund hat mir erzählt, dass die Menschen dort eine ähnlich entspannte Mentalität vorweisen wie wir.“

Text: mercedes-lauenstein - Fotos: Autorin

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