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Frag Raúl

Raúl Krauthausen
© Anna Spindelndreier, 2020

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Raúl Krauthausen ist allgegenwärtig: Wer sich auch nur ein bisschen für Inklusion interessiert, hat ihn auf mindestens einem Kanal abonniert. Er hat mehrere Podcasts, einen Newsletter, ist öfter im Fernsehen zu sehen, engagiert sich in zahlreichen Projekten. Auf der Videoplattform TikTok hat er mehr als 141.000 Follower*innen. Und das mit einem Thema, das angeblich ziemlich unsexy ist: Barrierefreiheit.

 

„Mittlerweile mache ich ein bis zwei Videos pro Woche“, erzählt er im Interview. Dabei war er am Anfang skeptisch, ob TikTok wirklich etwas für ihn ist, ob es zu seinen Themen passt. Anfangs habe er die Plattform nicht verstanden.

 

„Die Plattform kann unglaublich empowernd sein“

 

Aber Raúl ist ein neugieriger Mensch, also entschied er sich für eine Challenge: einen Monat lang TikTok ausprobieren und selbst Videos posten. Er blieb dabei, und heute sieht seine Einschätzung der Plattform anders aus. „Ich finde TikTok immer noch unglaublich schnell, und guten Content zu produzieren, ist aufwändig. Die Plattform kann aber auch unglaublich empowernd sein!“

 

Zum Empowerment gehört für Raúl Barrierefreiheit. „Ich versuche, auf TikTok authentisch zu sein und eine verständliche, diskriminierungsfreie Sprache zu verwenden“, sagt er. Für die Barrierefreiheit nimmt Raúl auch Mehrarbeit in Kauf. Zu jedem seiner Videos legt er manuell Untertitel an, auch wenn das derzeit noch aufwändig sei. „Wenn ich mir ein Feature für die Zukunft wünschen könnte, dann wären das deswegen Untertitel.“

 

„Natürlich wollen sie wissen, warum ich im Rollstuhl sitze“

 

Die Community auf TikTok ist divers, für Raúl ist eine Zielgruppe aber besonders wichtig: TikTok ist für ihn ein Ort, „an dem Jugendliche stattfinden“. Also ist es für Raúl logisch, dort einen Account zu haben, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Jüngere Menschen seien neugierig, sagt er. Für Raúl ist es deswegen ganz normal, dass Fragen kommen. „Natürlich wollen sie wissen, warum ich klein bin, warum ich im Rollstuhl sitze, ob das weh tut.“ Er beantwortet solche Fragen in seinen TikTok-Videos und erklärt in kleinen Anekdoten, was es bedeutet, mit einer Behinderung zu leben.

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Raúl Krauthausen

© Anna Spindelndreier, 2020

Wenn die Jugendlichen danach sagten „‘Ich hab was gelernt von dem kleinen Mann‘, dann ist der kleine Mann plötzlich nicht mehr klein, sondern einfach jemand, der einem so einen Aha-Moment verschafft hat“, ist seine Erfahrung. Vereinzelt bekommt Raúl auch beleidigende Kommentare zu seinem Aussehen. Kommentare gar nicht mehr zu lesen, kommt für ihn aber nicht in Frage. „Gerade auf TikTok gibt es viele gute und interessante Kommentare, die ich nicht verpassen möchte.“ Auf beleidigende Inhalte gehe er aber nicht ein.

 

Er folgt bewusst Menschen mit Behinderung

 

TikTok ist für den Inklusionsaktivisten eine direkte Verbindung zu jüngeren Zielgruppen und gleichzeitig eine Fundgrube für spannende Inhalte. „Ich finde, es gibt total viele qualitativ hochwertige Videos und viele interessante, kurze Wissensbits, bei denen ich viel lerne“, sagt er. „Ich folge bewusst Menschen mit Behinderungen, die Vielfalt der Inhalte ist unglaublich.“

 

Mit dem Hashtag #Privilegiencheck macht er bei TikTok auf die Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen aufmerksam – oft Dinge, die Menschen ohne Behinderungen gar nicht auffallen. „Ich wollte zeigen, wie es ist, in Deutschland mit einer Behinderung zu leben“, sagt Raúl. Die Resonanz sei sehr groß gewesen, besonders bei den Themen Reisen mit Behinderung und Bildung. „Es gab zahlreiche Nachfragen, aus denen dann oft weitere Videos entstanden sind, um sie zu beantworten.“

 

Was beschäftigt ihn gerade? „Ich hoffe, dass die technischen Errungenschaften, an die sich jetzt so viele gewöhnt haben, nach der Pandemie nicht plötzlich wieder uncool werden: Arbeiten von zu Hause aus, virtuell an Veranstaltungen teilnehmen machen nämlich das Leben von vielen Menschen mit Behinderung einfacher“, sagt Raúl.

 

Bühne für neue, diverse Talente

 

TikTok hat für ihn das Potenzial, gerade auch Menschen mit Behinderungen eine Bühne zu bieten. „Ich finde es toll, dass solche neuen Talente über Plattformen wie TikTok auch an den Chefredaktionen großer Medien vorbei ihr Publikum finden.“ In den Redaktionen sind Menschen mit sichtbaren Behinderungen nämlich noch die große Ausnahme. Es sei aber wichtig, dass nicht nur Nichtbehinderte über Behinderte sprechen, sondern sie selbst mehr zu Wort kämen.

 

Damit das funktioniert, müssen Menschen mit Behinderungen auf den Plattform auch ungestört posten können. Algorithmen müssten so gestaltet sein, dass sie Menschen mit Behinderungen nicht abstrafen, fordert Raúl. 

 

Raúl ist keiner, der sich mit den Verhältnissen abfindet. Gerade hat er einen neuen Podcast gestartet, in dem es darum geht, wie man Aktivist*in wird und etwas bewegen kann. Und auch für die Zeit nach Corona hat er schon Pläne: „Wenn die Pandemie vorbei ist, will ich noch mehr aus meinem Alltag zeigen. Ich würde mich auch gern von jungen Menschen interviewen lassen!“

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