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Die Geschichte von der glücklichen Kuh

Foto: Magda Ehlers /Pexels

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Foto: Magda Ehlers /Pexels

Jakob Sichler (28) leitet einen der ältesten Erbhöfe Bayerns, den Großrachlhof im Chiemgau. Seit über 500 Jahren ist er in Familienbesitz. Wie ist das so, wenn man mit den Eltern arbeitet? Und warum ist an schlechter Milch nichts gut?

 

Der Arbeitstag von Jakob Sichler beginnt so, wie man ihn aus Erzählungen und Ausflügen als Kind in Erinnerung hat. Früh um sechs werden die Kühe gemolken, die Kälber, Hasen und Ziegen versorgt – und erst wenn alle Tiere satt und glücklich sind, isst der Bauer selbst. Die ganze Familie samt Eltern und Frau arbeiten auf dem Hof mit und das funktioniert so – seit 500 Jahren. Wenn man bedenkt, dass manche Menschen ihren Arbeitgeber alle paar Jahre wechseln und in welcher Geschwindigkeit heute Firmen pleitegehen, kommen einem solche Zeitspannen utopisch vor, noch utopischer ist für viele die Vorstellung rund um die Uhr mit der Familie zuarbeiten. Mit den Eltern! Im Chiemgau bei den Sichlers klappt das: „Wir verstehen uns blind und legen viel Wert auf Gleichberechtigung und offene Kommunikation.“ Das Geheimnis erfolgreichen Zusammenarbeitens hört sich erstaunlich simpel an.

 

Wie alle Generationen vor ihm, übernahm Jakob vor Kurzem die Führung des Hofes von seinen Eltern. Mit Mitte 20 hatte er die Gesamtverantwortung. Und die nächste Generation liegt schon in der Wiege: In Form von seiner Tochter Franziska, die wenige Wochen alt ist. Geld verdient der Hof unter anderem mit Bio-Milch, nebenbei werden Ferienwohnungen vermietet – Ferien auf dem Bauernhof, der Klassiker für geplagte Großstädter und Familien. Anders als früher kommt auch deshalb heute Büroarbeit für viele Bauern dazu; Verträge, Umsätze, Bestellungen, Buchungen das alles muss gemacht und verschriftlicht werden. Wenn das ansteht, sind es die „schlechten Tage“ für Jakob, nicht seine Welt. Er ist mittags lieber auf dem Feld, in der Werkstatt oder peppt das frische Kälbchen auf. Mit Muttermilch aus der Flasche.

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Foto: Thomas Plettenberg

Irgendwie klingt das alles nicht außergewöhnlich, man hat das Klischee von der glücklichen grasfressenden Kuh vor Augen, von der die Milch auf dem Frühstückstisch stammt. Wir Konsumenten, so scheint es, hoffen einfach es ist so und schütten kräftig nach. Enge Ställe, Antibiotika, Bedingungen, ach egal, jetzt erstmal einen Milchkaffee. Der Durchschnittsbürger verbraucht 92 Liter Milch pro Jahr, das ist etwa ein Glas pro Tag. Jakobs Anspruch: „Ich will nicht nur gute Milch herstellen, sondern die beste. Das erreichen wir, indem wir die Tiere im Sommer auf die Weide lassen – Gras ist das allerbeste Futter. Dazu kommen Silage und Heu von unseren Kräuterwiesen, auf denen auch Bienen den Sommer über Futter und Lebensraum finden.“ Die Wiesen werden nur dreimal im Jahr gemäht, damit sie sich voll entwickeln können und viele Arten wie Kohldistel oder Schwingel in Ruhe wachsen können. Auf einer Nutzwiese oder Weide, wo viel häufiger gemäht wird, hat man sehr viel weniger Artenvielfalt. Die Kühe fressen eine Gräser-Mischung am liebsten, so Jakob. „Da schmeckt ein Halm etwas bitterer, der nächste süßer – das ist wie gemischter Salat.“ Klingt lecker und idyllisch – und exakt so, sieht es dort auch aus. Ein bisschen wie auf den Bildern der Milchverpackung.

 

Der Großrachlhof ist ein Naturland Betrieb. Das bedeutet, dass nach Öko-Richtlinien und nach den Vorgaben des Naturland-Siegels gearbeitet wird: ökologisch, sozial und fair. Und ja: Das Siegel zeigt dem Kunden, dass die Milch, die er kauft, auf einem Hof produziert wurde, wo die Kühe stressfrei und glücklich leben und keine Chemie eingesetzt wurde. Es steht also für gesunde Lebensmittel. Und auch für Fairness: Jakob liefert die Milch an die Molkerei Berchtesgadener Land, die angemessene Preise dafür zahlt. Sie steht für sehr hochwertige Lebensmittel und hält bei ihren Bio-Produkten höchste Standards ein. “Wir arbeiten schon viele Jahre sehr gut zusammen – und es ist natürlich toll, dass man solche Partner hat, denen man vertrauen kann und denen Nachhaltigkeit und Qualität genauso wichtig sind. Im Supermarkt sehen ja viele Produkte gleich aus, man kennt die Geschichte dahinter nicht. Aber wenn ein Naturland Siegel auf der Packung gedruckt ist, kann man sicher sein, dass der Bauer, also ich, strenge Regeln eingehalten hat, die dafür sorgen, dass alle nachhaltig gesund bleiben: Tier, Mensch, Natur und Umwelt,“ so Jakob.  

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Foto: Thomas Plettenberg

Der Hof wurde 2009 auf Bio umgestellt – eine Entscheidung der Eltern, ein Glücksfall für Jakob. “Ich habe mich sehr schnell damit identifiziert und extra die Staatliche Fachschule für Ökologischen Landbau in Landshut besucht, in der man von der Pike auf alles lernt, was man braucht“. Und was ist das, was man braucht? Ganz einfach: Man muss lernen (wieder) auf die Natur zu hören. Wenn man Naturland-zertifiziert ist, muss man vorgegebenen Kriterien gerecht werden. Bei den Tieren ist das zum Beispiel, dass für jede Kuh ein eigener Fress- und Liegeplatz vorhanden ist, also dass sie genug Platz haben. Im Stall gibt es oft Rangkämpfe und das bedeutet vor allem für die rangniederen Tiere viel Stress. Wenn draußen jede Kuh Raum hat und sich frei bewegen kann, bleiben diese Konflikte aus. Seit der Hof ökologisch wirtschaftet, gehen die Tiere wieder auf die Weide und man spüre, dass ihnen das guttue. Und vielleicht trägt zum Glück auch bei, dass jede Kuh einen Namen hat. Kuh Nummer 625? Nein, Antonia. Und Antonia läuft sogar unaufgefordert zum Melkstand. Es werden auch keine künstlich hergestellten Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel verwendet. Das sei nicht immer ganz leicht, denn viele Probleme auf dem Feld, wären so leichter in den Griff zu kriegen. Aber die Probleme entstehen meist, wenn der Bauer einen Fehler mache, sagt Jakob selbstkritisch. „Wenn ich etwas rechtzeitig erkenne und in Zukunft besser mache, brauche ich auch keine künstlichen Helfer mehr. Die Natur gibt uns alles, was wir brauchen. Wir müssen sie nur verstehen und mit ihr arbeiten.“

 

In der konventionellen Landwirtschaft ist „auf die Natur hören“ oft längst Vergangenheit: Dort wird künstlich gedüngt – man nutzt Spritzmittel, um Fehler zu retuschieren. Jakob vermutet, es falle irgendwann wieder auf den Menschen zurück. Auf dem Hof tue er viel, um die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten oder sie sogar noch besser zu machen statt sie durch Monokulturen und industrielle Landwirtschaft zu schwächen. „Wir möchten die Natur bereichern und den Schatz, den unsere Vorfahren uns gegeben haben, vermehren und an unsere Kinder weiterreichen.“ Diese Kulturlandschaft gestaltet Jakob tagtäglich mit. “Wir müssen zwar hart arbeiten, ein Zwölf-Stunden-Tag ist für mich manchmal ganz normal. Aber es ist auch toll, wenn man einfach rausgehen und die Schönheit der Natur erleben kann. Deswegen mache ich das mit Leib und Seele. Ich würde niemals tauschen wollen – auch weil es für mich mehr ist als das – es ist meine Berufung.“

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Foto: Thomas Plettenberg

Ein Geheimnis des langen Bestehens des Hofes ist die Fähigkeit auf die Veränderungen der Branche zu reagieren – die Preise, den Markt, das Klima die Bedürfnisse der Konsumenten, das Bewusstsein. Die Veränderung ist Teil des Erfolgs, Tradition heißt nicht nur an altem festzuhalten, sondern es auch bewusst loszulassen: „Meine Vorfahren haben hier Pferde gezüchtet. Die haben sich wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass wir heute Milchvieh haben und Ferienwohnungen vermieten. Und wer weiß, wo uns die Reise noch hinführt.“ Der aktuelle Bio-Trend hilft auf dieser Reise sicher, aber eine Herausforderung bleibt: Deutschland gibt im europäischen Vergleich prozentuell mit am wenigsten für Lebensmittel aus – billig ist wichtiger als hochwertig. Das Auto ist wichtiger als das Essen, während unsere Nachbarländer jeden Cent für beste Zutaten ausgeben. Ein Euro für die Milch erscheint da schon viel. Aber wer Jakob Sichlers Geschichte kennt, weiß: Es gibt das Klischee der glücklichen Kuh und jeder kann etwas dazu beitragen.  

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